# taz.de -- Rapper gegen Geert Wilders: HipHop, Hass und die Holländer | |
> Weil er gegen Muslime hetzt, kommt der rechte Politiker Geert Wilders vor | |
> Gericht. Ein paar Rapper wollen nicht auf seine Verurteilung warten und | |
> bedrohen Wilders in ihren Texten. | |
Bild: "Pim Fortuyn redete über Muslime. Er wurde abgeknallt. Theo van Gogh red… | |
AMSTERDAM | Sobald die Beats einsetzen, legt er den Finger in die Wunde. | |
Die, die seit Jahren immer wieder aufreißt. Genau da tut es weh, und genau | |
da drückt er zu: "Pim Fortuyn redete über Muslime. Er wurde abgeknallt. | |
Theo van Gogh redete über Muslime. Er wurde niedergeknallt. Wer ist der | |
Nächste?", fragt Mo$heb drohend. Die harten Konsonanten seines Akzents | |
zerstechen den Keyboardteppich im Hintergrund. Nur ein paar Takte später | |
taucht der Name Wilders auf, als Mo$heb, ein 20-jähriger Rotterdamer | |
pakistanischer Abstammung, seine Gewaltfantasien loslässt: "Wenn ich dich | |
treffe, heißt es bam-bam", droht er dem Chef der Partij voor de Vrijheid | |
(PVV) an. Und: "Wenn du so weitermachst, bist du der Nächste." | |
80 Sozialstunden und zwei Monate auf Bewährung brachte der Song "Wie Iz de | |
Volgende?" (Wer ist der Nächste?) dem Rapper im Dezember ein. Anderthalb | |
Jahre zuvor hatte Wilders ihn angezeigt. "In dem Moment, in dem man | |
Menschen mit dem Tod bedroht oder damit, ihnen Kugeln durch den Körper zu | |
schießen, sehe ich in künstlerischer Freiheit wenig Sinn", so der Politiker | |
damals. Genau darauf jedoch bezog sich Mo$heb und ging in Berufung. Zudem | |
lasse er in seinem Text keinen Zweifel daran, dass es nur Rhetorik sei, | |
wenn er sagt: "Hör zu, Geert, das ist kein Witz, gestern Nacht träumte ich, | |
ich hätte deinen Kopf abgehackt." | |
Mo$heb ist nicht der Einzige, der derartige Träume hat. In einer Ecke des | |
eher clownesken niederländischsprachigen HipHop ist in den letzten Jahren | |
ein radikales Subgenre entstanden. Die MCs, meist Kinder muslimischer | |
Einwanderer, wenden sich gegen das Leben in den schäbigen Neubaugettos am | |
Rand der Städte, die latente Segregation im Bildungssektor, wo man schon | |
seit Langem von "schwarzen" Schulen und "weißen" Schulen spricht, die | |
schlechten Jobaussichten. Und nicht zuletzt gegen eine Entwicklung, die | |
sich auf ein Wort reduzieren lässt: "Scheißmarokkaner". In der Zeit, da die | |
Niederlande als Vorbild einer toleranten Gesellschaft galten, bestand ein | |
breiter Konsens gegen solche Aussprüche. Vor rund zehn Jahren jedoch brach | |
sich ein Bedürfnis Bahn, die Dinge beim Namen zu nennen, vor allem, wenn es | |
um Integration ging. "Scheißmarokkaner", das musste man doch wohl noch | |
sagen dürfen! In breiten Kreisen wurde diese Meinung salonfähig. | |
"Scheißmarokkaner" avancierte zu einem geflügelten Wort, zum inoffiziellen | |
Leitspruch einer Bewegung, die alles, was nach politischer Korrektheit | |
klingen könnte, rabiat ablehnt. Pim Fortuyn gab diesem Bedürfnis eine | |
politische Stimme. Wilders hat längst sein Erbe angetreten. Er hetzt gegen | |
"marokkanische Straßenterroristen" und spricht von "Pack", das abgeschoben | |
gehöre. Die Einwanderung von "nichtwestlichen Ausländern", also Muslimen, | |
will er stoppen, den Koran vergleicht er mit "Mein Kampf" und will ihn | |
verbieten lassen. Wegen Anstiftung zu Hass und Diskriminierung steht der | |
Politiker nun selbst vor Gericht, am Dienstag beginnt in Amsterdam der | |
Prozess gegen ihn. | |
Die Rapper aus der zweiten Migrantengeneration erwarten sich nicht viel vom | |
Rechtsstaat. Sie haben ihre Texte, um mit Wilders abzurechnen. "Wenn du es | |
tust, tun wir es auch", drohte die Nieuwe Straat Generatie, ebenfalls aus | |
Rotterdam, als Wilders 2008 seinen Film "Fitna" veröffentlichte. Dann | |
knallen Schüsse, die MCs fantasieren über Schwerter, Uzis und darüber, | |
Wilders einfach zu ertränken, und auch das kommt vor: "Hamas, Hamas!" Der | |
Gazakrieg erwies sich als Kickstart einer weiteren Radikalisierung. Wo die | |
eigene Identität vor allem als muslimisch erfahren wird, lassen sich die | |
Bilder von toten palästinensischen Kindern allzu leicht einfügen in ein | |
Weltbild, das geprägt wird durch die Existenz am Rand der Gesellschaft und | |
den ungebrochenen Zulauf von Wilders Partei. Während die PVV seit Monaten | |
in Umfragen Rekordwerte erreicht, bedienen sich manche Rapper immer | |
unverhohlener im Sortiment militant-islamistischer Symbolik: In Videoclips | |
zu den oft einfach nur "Wilders-Diss" betitelten Songs tauchen brennende | |
USA-Flaggen auf oder Dschihadisten mit Maschinenpistolen. In einem Clip | |
erscheint das Bild des rituell abgeschlachteten Filmemachers Theo van Gogh, | |
auf dem Rücken liegend, das Messer im Bauch. Auch in den Clips zu | |
Mo$hebs-Songs gibt es solche Anspielungen. Der Rapper betont jedoch, dass | |
diese nicht von ihm seien. Schließlich kann heute jeder ein paar Bilder | |
zusammenkleben, mit Musik unterlegen und auf YouTube hochladen. Mo$heb | |
bleibt dabei: "Ich bin nicht gefährlich." Warum dann die ganze gewalttätige | |
Drohkulisse? "Genau diese Frage", sagt der Sohn pakistanischer Einwanderer, | |
"wird mir nie gestellt." Es ist eine Frage von Ursache und Wirkung, und | |
glaubt man Mo$heb, haben die Muslime nicht zuerst geschlagen. "Guck dir all | |
die Dinge an, die Wilders gesagt hat. Ich bin darüber sehr wütend. Und das | |
Rappen ist mein Ventil. Darum habe ich ,Wie Iz De Volgende' geschrieben." | |
Töten, beteuert Mo$heb, will er Wilders keineswegs. Und auch wenn ein | |
anderer das täte, könnte er das nicht gutheißen. Trotz allem gibt es | |
zwischen Mo$heb und Wilders Parallelen. Zum einen berufen sich beide auf | |
die Meinungsfreiheit. Der Politiker, um seine Aussagen über Muslime und den | |
Islam zu decken, der Rapper, um seine verbalradikale Opposition zu | |
unterbauen. Das Zweite hat mit Rhetorik zu tun: "Wenn du Grenzen | |
überschreitest, bekommst du Aufmerksamkeit," sagt Mo$heb. "Das zeigt mein | |
Lied, und das sieht man auch bei Wilders. Wenn du extreme Dinge rufst, | |
hören die Menschen dir zu." | |
Eine Erfahrung, die MC-Kollege Appa bestätigen kann. Der 26-Jährige, der | |
aus einem sogenannten Problemviertel in Amsterdam-Noord stammt, widmete | |
sich dem Thema zunächst eher von der satirischen Seite her. In einem Lied | |
namens "MC Wilders" entwarf er ein Persönlichkeitsprofil des Politikers und | |
führte dessen Aussagen auf eine schwere Kindheit zurück: "Ich hasse | |
Ausländer, ich war immer der Prügelknabe auf der Grundschule. Sie haben | |
mehr als mein Herz gebrochen, darum sind meine Ansichten so eindeutig." | |
Dann aber kam dieses Interview im Sommer 2007. Nachdem seine Lieder im | |
Internet immer populärer geworden waren, stellte ihm die Tageszeitung De | |
Pers einige Fragen. "Wenn ich Wilders treffe, gehört er mir. Ich schwöre, | |
ich packe ihn an. Und es gibt mehr Menschen, bei denen dieses Bedürfnis | |
wächst", antwortete Appa und fügte hinzu: "Man muss sich nicht wundern, | |
wenn demnächst Mohammed C. aufsteht. Wenn jemand eine Kugel durch seinen | |
verdammten Kopf schießt, finde ich das nicht schlimm." | |
Da war sie wieder, die Narbe. Mohammed C., der fiktive Nachfolger des | |
Van-Gogh-Mörders, des Islamisten Mohammed B. "Dieses Land hat noch immer | |
ein Trauma, sagte der GroenLinks-Politiker Tofik Dibi, selbst erklärter | |
"urholländischer Marokkaner", einmal. Und als Appas Aussage in den | |
Zeitungen stand, erstattete Wilders Anzeige wegen Bedrohung. Anders als | |
Mo$heb gewann Appa, der Sohn marokkanischer Einwanderer, seinen Prozess. | |
"Ich sagte nur, dass ich nicht weine, wenn ihn jemand umlegt. Das darf ich | |
ja wohl finden!" Eigentlich aber findet Appa, man müsse mit Wilders | |
sprechen. Ihn mitnehmen in die Viertel, die er verteufelt. "Ihn mit | |
Menschen konfrontieren, die versuchen, etwas aus ihrem Leben zu machen. | |
Menschen, die es schwerer haben durch seine Politik. Er sagt sehr viele | |
Dinge, aber er kennt uns nicht. Ich würde gern einen richtigen Prozess mit | |
ihm beginnen. Und als allererstes reden." | |
Appa, der ehemalige Kleinkriminelle, versucht, sich von seinem alten Leben | |
zu lösen. Er sagt, er wolle ein guter Muslim sein, ein guter Mensch. Seine | |
Texte klingen nach Läuterung, der frühere "Internetrapper" hat ein | |
richtiges Album herausgebracht, das "Straßenphilosoph" heißt. Wird er dann | |
also zu einer Art Sozialarbeiter zur Reintegration des Politikers Wilders? | |
Appa lacht. "So kann man das nennen." | |
Vielleicht sollten sie sich anfangs über Politik unterhalten. Neue Parteien | |
hält Appa für dringend notwendig. "Mit Menschen, die wissen, was Arbeit | |
bedeutet und wie es unten in der Gesellschaft aussieht. Keine Typen in | |
schnieken Anzügen, sondern der nüchterne Niederländer und der nüchterne | |
Marokkaner, die knallhart für ihr Brot arbeiten." Bis auf die Marokkaner | |
klingt das wie ein Wahlprogramm des Mannes, dem er einst den Tod wünschte. | |
"Aber in diesem Punkt" sagt Appa, "haben wir etwas gemeinsam." | |
19 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Tobias Müller | |
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