# taz.de -- Modelagenten auf der Gesichter-Suche: Kantig und ein bisschen wild | |
> Zur Fashion Week kommen neben Designern und Händlern auch dutzende | |
> Modelagenten in die Stadt - sie haben Berlin auf der Suche nach "New | |
> Faces" entdeckt. | |
Bild: Nicht nur neue Looks, sondern auch neue Models werden in Berlin gesucht | |
Es ist schwer zu sagen, warum die Menschen in der Buslinie 245 Kenya Lima | |
anschauen. Sie ist groß, sitzt sehr aufrecht im Polster, trägt einen roten | |
Mantel. Ein paar Strähnen ihrer langen Haare hat sie mit Klammern am | |
Hinterkopf zusammengesteckt. Sie klappt ihre Puderdose auf, schaut in den | |
Spiegel, tuscht sich die Wimpern, klappt die Dose zu, holt den Kajalstift | |
aus der Tasche, klappt die Dose wieder auf. | |
Dass Kenya Lima Model ist und auf dem Weg zu einem Casting, weiß in dem Bus | |
Richtung Bahnhof Zoo niemand. Lima ist neu in Berlin, sie hat hier kaum | |
Bekannte. Das Phänomen, dass die Blicke der Menschen trotzdem immer wieder | |
auf ihrem Gesicht ruhen, nennen Modelscouts den "X-Faktor". Agenten aus der | |
ganzen Welt jagen ihm nach; sie sagen, der X-Faktor sei etwas, das über | |
Proportionen und Make-up hinaus gehe, man könne ihn nicht antrainieren. Na, | |
Ausstrahlung halt? Modelscouts schütteln genervt den Kopf. Es sei mehr. Sie | |
suchen auf der Straße danach, und in diesen Tagen suchen sie in Berlin. | |
Greg Chan ist dafür extra aus New York gekommen. Er arbeitet für die | |
Modelagentur Wilhelmina, eine der größten der Welt. Schon eine Woche vor | |
der seit Mittwoch laufenden Fashion Week war er in Berlin, um Agenturen | |
abzuklappern, Models anzusehen, eine nach dem anderen, auf der Suche nach | |
"New Faces". "In den letzten zehn Jahren kam aus Deutschland immer die | |
gleiche Art Model. Aber in den letzten ein, zwei Jahren stelle ich fest, | |
dass plötzlich Models eines ganz neuen Typs auftauchen, und sie kommen fast | |
immer aus Berlin", sagt er. Was das Neue sei? Sie seien "edgy", kantig, ein | |
bisschen wild. Nicht unbedingt Berliner, sondern Menschen, die sich in | |
Berlin sammeln. | |
Vor der Tür der Modelagentur hat Kenya Lima ihre flachen Wattestiefel gegen | |
hochhackige Pumps getauscht. Lima ist zusammen mit der "Bread & Butter" | |
umgezogen. Die 24-Jährige hat in Spanien gelebt, wo die Modemesse bis zum | |
letzten Jahr war. Jetzt arbeitet sie in Berlin, "weil sich hier vielleicht | |
etwas entwickelt", sagt sie. Ihre Mutter war Model, Lima hatte ihren ersten | |
Auftrag mit sechs Jahren. Als sie mit 17 Jahren kurz davor war, | |
Vollzeitmodel zu werden, schritt ihre Mutter ein: "Du machst die Schule | |
fertig und gehst zur Uni." Kenya Lima studiert jetzt nebenbei online, | |
Psychologie, ihre Prüfungen schreibt sie in der spanischen Botschaft. | |
Greg Chan gibt Kenya Lima zwei Minuten. Sie steht vor ihm, er sitzt. Das | |
Büro der Agentur on1, in dem Chan an diesem Tag castet, ist ein großer | |
Loftraum - rechts die Computer, in der Mitte eine Sitzgruppe, links eine | |
Teeküche mit Stehtisch und Barhockern. Lima gibt dem Agenten ihre Mappe, er | |
blättert flüchtig zwischen den Fotos hin und her. Woher ihr Aussehen komme, | |
fragt er. "Halb portugiesisch, halb karibisch", antwortet Kenya Lima. Zwei, | |
drei Sätze, Blicke, dann sagt Greg Chan: "Thank you." Er macht keine | |
Polaroids, keine Laufvideos. "Ich weiß, was ich suche", sagt er. Nur | |
diejenige, an deren Gesicht er sich abends im Hotel noch erinnert, hat eine | |
Chance. | |
Es ist ein mechanisches Geschäft, Chan hat es in Los Angeles gelernt. "Ich | |
gucke zuerst ins Gesicht, dann auf den Körper. Ich kann bewerten, ob sich | |
Merkmale auch über die Kamera transportieren lassen", sagt Chan. In den | |
letzten Jahren gab es viele Nachrichten darüber, was sich in seiner Branche | |
verändere, dass Models älter seien dürften und weniger mager. Diese | |
Meldungen beziehen sich auf Frauen in Katalogen und Werbeanzeigen. Auf den | |
Laufstegen - erst recht in der Haute Couture - steht die Welt still. "Mode | |
neigt dazu, sich selbst zu beschränken", sagt er. Das übliche Laufstegmodel | |
sei weiterhin über 1,70 groß, dünn, habe einen schmalen Knochenbau, meist | |
schmale Hüften, wenig Oberweite. | |
Chan weiß, dass er, selbst wenn er auch Übergrößenmodels castet, nur einen | |
kleinen Ausschnitt der Realität sucht. Aber er glaubt, dass es gut ist, | |
etwas anzustreben. "Was ist falsch daran, sich von Schönheit inspirieren zu | |
lassen? Nach etwas Besserem aufzuschauen?" Es müsse nur intelligent | |
geschehen. | |
Kenya Lima kennt die Bedeutung des Worts "Diversität" in der westlichen | |
Modelszene: weiße Models mit verschiedenen Haarfarben, eine Asiatin, eine | |
Schwarze. "In den USA gibt es seit Obamas Amtsantritt die Entwicklung, dass | |
mehr schwarze Models in den Katalogen zu sehen sind. Aber das ist Amerika." | |
Hier muss sie darauf hoffen, die eine schwarze Frau zwischen den anderen | |
sein zu dürfen. | |
Die letzten Castings für die Fashion Week sind vorbei. Es hat für Kenya | |
Lima nicht geklappt. Trotz X-Faktor. | |
21 Jan 2010 | |
## AUTOREN | |
Luise Strothmann | |
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