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# taz.de -- Berliner Brause Wostok: Fichte im Abgang
> Weder Bio noch Nade. Wostok will eine ehrliche kleine Brause sein. Der
> Erfinder und viele Kneipiers schwören auf das Zuckerwasser, das im Abgang
> an ein Erkältungsbad erinnert.
Bild: "Manche lieben die Brause, de anderen finden sie ekelhaft."
Was für ein Moment! Wenn einer vor einem 10.000-Liter-Bottich steht, in
einem hessischen Ort namens Butzbach, der ihm kurz zuvor völlig unbekannt
war. Wenn es schäumt, weil er noch etwas Zitronensäure in den Bottich
gekippt hat. In so einem Moment müssen sich Glück und Panik abwechseln.
Panik, weil er weiß, dass in Deutschland gerade haufenweise Leute mit
Modebrausen reich werden wollen. Und Glück, weil er gerade etwas selber
gemacht hat. Etwas Eigenes, das es nicht gäbe, wenn Joris van Velzen nicht
da wäre. Wostok.
Wostok ist ein Getränk aus Berlin-Kreuzberg. Es schmeckt nach
Haribo-Colafläschchen, nach etwas Zitrone, nach Schwarztee und einer Spur
Kardamom. Die Kohlensäure bitzelt angenehm an die Nase, und im Abgang
verblüfft ein Geruch, der an Erkältungsbad mit Tannen- oder Fichtenöl
denken lässt. Manche lieben die Brause, sagt ihr Hersteller Joris van
Velzen. Die anderen finden sie ekelhaft.
Das ist offenherzig, wenn man bedenkt, dass van Velzen Wostok gerade erst
in den Markt drücken will. Aber damit sind wir auch schon bei einer
Besonderheit, denn der Mann mit dem Schneeflöckchenmuster auf dem Pullover
propagiert nicht nur ein Erfrischungsgetränk, sondern auch eine neue
Qualitätskategorie: die Ehrlichkeit.
Trägt Wostok das Biosiegel? "Bio ist überschätzt - ehrlich ist gut genug."
Ist Wostok gesund? "Nee, ist Zuckerwasser mit Geschmack. Aber manchmal hat
man eben Bock auf Zuckerwasser mit Geschmack." Solche Sätze sind
erstaunlich, denn Herr van Velzen, der sich hier als eine Art Meister Eder
der Brausen inszeniert, ist Werbeprofi. Er ist Fotograf, und das Ziel
seiner Auftraggeber ist es, das sagt er ja selbst mit seinem leichten
niederländischen Akzent, den Leuten ein Produkt "anzuschmieren".
Bevor Joris van Velzen zum Anschmieren und von dort zum Anrühren kam, zog
er erst mal in die Sowjetunion. 1989 war das, er ging dorthin, um als
Pressefotograf zu arbeiten. Er machte Reportagen über frühere Gulags oder
den Hafen von Murmansk. In Moskau wohnte er in der Marksiskaja 1. Im Haus
war eine Kaufhalle, wo van Velzen sich Milch, Brot und Fisch besorgte.
Wodka mochte er nicht. Aber Brausen. Er nahm sich mal das knallgrüne
Tarchun mit Waldmeister- und mal Buratino mit Kaugummigeschmack. Oder das
hellbraune Baikal, die sowjetische Antwort auf Cola, das Taigawurzel
enthielt und sogar das stimmungsaufhellende Johanniskraut. Immer wenn es
Baikal gab, packte sich Joris van Velzen gleich zehn Flaschen ein.
Im August 1991 hatte der Fotograf Panzer vor der Linse. Auf Gorbatschow
folgte Jelzin, die Sowjetunion meldete sich ab. In der Kaufhalle in der
Marksiskaja 1 kamen Westprodukte in die Regale. Die Kapitalisten, die mit
ihren Waren den Markt erobern wollten, brauchten für ihre Werbung einen
guten Fotografen. Van Velzen sagt: "Im Prinzip habe ich denen geholfen,
ihre Produkte den Russen anzuschmieren."
Zehn Jahre später hat er Moskau nicht mehr gemocht. Zu hart und zu schnell,
sagt er, zu viele Menschen und Autos. Da ging er mit der Familie nach
Berlin, macht er eben seine Fotos für Russland von Berlin aus. In seinem
Kreuzberger Studio steht eine Magnumflasche Wodka, nicht für ihn, denn, wie
gesagt, er mag keinen Schnaps. Sondern für die Kampagne eines Kunden.
Im Oktober 2008 saß er allein in einem Café in Berlin. In Moskau machten
die Kapitalisten wieder mal eine Krise durch, es gab weniger Werbeaufträge.
Van Velzen dachte an das Getränk, das er damals so gern gehabt hatte und
das es nicht mehr gab. Baikal. Er fasste einen Plan. Er würde Baikal nach
Deutschland holen. "Wenn ich es trinke, würden es andere auch tun. Weil ich
bin ja nicht pervers."
Beim nächsten Moskauaufenthalt fuhr er zum zuständigen Staatsinstitut und
traf einen Professor namens Lew Oganestjants. Der kannte die Baikal-Formel.
Er recherchierte weiter, es gab ein Labor in Darmstadt, das Baikal nach
seinen Wünschen verändern konnte. Johanniskraut musste raus, weil die
deutschen Getränkevorschriften es verbieten. Die Konservierungsstoffe
mussten raus, stattdessen sollte Sellerie die Brause haltbar machen. Der
Zuckeranteil sollte runter. Aus Baikal wurde Wostok.
Er schnüffelte an Geschmacksmustern aus dem Labor. Foto einer
Kreuzbergerin, Mütze auf den Kopf, Tannenzweig in die Hand, Etikett,
fertig. Er fand die Äppelwoi-Kelterei in Butzbach und stand am 29. April,
zwei Tage vor seinem 40. Geburtstag, vor dem 10.000-Liter-Bottich. Der
Sattelschlepper, der die 30.000 Flaschen nach Berlin bringen sollte,
wartete schon.
Jetzt ist Wostok natürlich eine kleine Nummer. Es gibt Skull und LemonAid.
Aloha und Premium Cola. Beo und Zisch. Fanta und Cola sind auch noch da.
Allein von der Bionade werden jährlich 150 Millionen Flaschen abgefüllt.
Aber van Velzen sagt, dass er zufrieden ist. Nicht mal ein Jahr nach dem
Start, hat er dem Finanzamt nur 35.000 Euro Minus melden müssen. Einen
Kredit hat er nicht aufgenommen, sagt er, da könnte er nicht gut schlafen.
Er möchte keine Vertreter mit Dienstwagen und Kosten und Abrechnungen.
Teure Werbung sowieso nicht.
Er hat die Internetseite [1][www.tannenwald.de], er hat das Etikett und er
hat die Story von Baikal, der sowjetischen Antwort auf Cola. All das ist
geschickt zusammengebaut, die Assoziationen gehen auf wie kleine Fenster.
Wostok heißt Osten. Es war zugleich der Name der sowjetischen Antwort auf
das Apollo-Programm der Amerikaner, in der Wostok 1 flog 1961 Juri Gagarin
um den Erdball. Und die Frau auf der Flasche transportiert Retro und
Leidenschaft. Auf dem Etikett hinten steht Kreuzberg. Arbeiterviertel,
links, Boheme. Die Filmchen auf der Website haben Eisenstein-Ästhetik,
etwas Riefenstahl und etwas liebevollen Gaga. Schwarz-Grün, Lenin, Leni,
Tanne, Fichte und Frische - alles in einer Flasche. Er sagt: "Die Kneipiers
stehen drauf."
Es läuft. Er hat jetzt eine Mitarbeiterin einstellen müssen. Bald sind die
Wostok-Kästen schon wieder alle, und er muss in Butzbach nachordern. Aber
er will langsam machen. "Die Bionade-Falle ist: zu schnell wachsen. Meine
Brause soll weder Bio noch Nade sein. Bei mir soll es gemütlich bleiben."
Das hört sich arg ehrlich an. Wo er noch hinterher ätzt, dass Bionade ja
jetzt mehrheitlich Dr. Oetker gehört und von Coca-Cola vertrieben wird. Wo
er doch sagt, dass er Wostok ja nicht Baikal nennen konnte, weil der Name
auf dem spanischen Markt geschützt ist. Wo er sich die Domains wostok.ch
und wostok.at gesichert hat. wostok.be, wostok.nl, wostok.dk, wostok.fr
ebenfalls. Und so einer behauptet, er wolle um Gottes willen nicht so
schnell wachsen?
Aber womöglich stimmt es doch. Womöglich will Joris van Velzen diesmal
nicht verschmelzen mit der gefräßigen Welt, für die er Reklamebilder
schießt. Nicht mit seinem eigenen seltsamen Produkt, das er von A bis Z
selber gemacht hat und das nach Colafläschchen schmeckt, nach Zitrone und
Kardamom und das einen im Abgang an ein Erkältungsbad denken lässt. Mit
Tannen- oder Fichtenöl drin.
23 Jan 2010
## LINKS
[1] http://www.tannenwald.de
## AUTOREN
Georg Löwisch
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