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# taz.de -- Nazis in Dortmund: Tief im Westen
> Neonazi-Attacken werden oft als ausschließliches Ostproblem wahrgenommen.
> Doch militante Neonazis und No-go-Areas gibt es auch in Dortmund.
Bild: Von wegen Skinheads! Autonome Nationalisten (hier in Halbe/Brandenburg) s…
Das Schönste? Das sei die Unterstützung durch Freunde und die Familie, sagt
Stefan Pötter. Das Schlimmste? Das sei die Ignoranz der Polizei, der
Politiker, der Nachbarn - ja eigentlich das Wegducken der Gesellschaft.
Am unbegreiflichsten aber sei, "dass die es geschafft haben, uns aus der
Stadt zu vertreiben", bilanziert der Dortmunder. Dabei schwankt seine
Stimme zwischen Nicht-wahrhaben-Wollen und Verzweiflung. "Die" – das sind
die Rechtsextremisten, die Familie Pötter schikanieren.
Stefan Pötter bittet um Anonymität, er will sich und seine Familie
schützen. Zwar haben die Lokalmedien über seine Geschichte berichtet, "aber
die Öffentlichkeit hat uns bisher nicht geholfen". Kurz wütete ein
Flächenbrand der Empörung, Politiker und Kirchenvertreter setzten ihre
Betroffenheitsmiene auf. Der Skandal kam ins Rollen und verpuffte rasch.
Und Familie Pötter wird immer noch von Nazis bedroht, die ihre Aktivitäten
durch ihr Engagement gestört sehen. Denn immer wieder, wenn Stefan Pötter
antisemitische Schmierereien, Plakate und Aufkleber von Rechtsextremen
sieht, entfernt er diese. Der Mediziner hat früher schon an
Friedensdemonstrationen teilgenommen, war 1981 im Bonner Hofgarten dabei,
als 300.000 Menschen für die atomare Abrüstung demonstrierten. Er ist
politisch nicht organisiert, der 53-Jährige vertraute der Demokratie. Bis
zum letzten Jahr.
Als er im April 2009 mal wieder einen Naziaufkleber abknibbelt, merkt er,
wie er von drei Rechten beobachtet wird. Er ruft die Polizei, aber die
Männer sind schon verschwunden. Die Lage spitzt sich zu, im August werfen
Unbekannte nachts einen Stein durch sein Küchenfenster, und im Oktober wird
das Auto demoliert, mit einem Hakenkreuz beschmiert.
Dann hängen in der Stadt Plakate mit einem Foto von Stefan Pötter und
seiner Tochter, auf denen vor den "Linksextremisten" gewarnt wird – wie bei
einer Kopfgeldjagd. Die Anschrift der Familie wird auf einer Naziwebsite
veröffentlicht, die Schule der Tochter genannt.
In die Mitte der Gesellschaft
Es geht etwas vor in Dortmund, und es ist durchaus beunruhigend. Hier hat
sich der rechtsradikale Rand in die Mitte der Gesellschaft gemogelt. Dabei
werden Probleme mit Rechten gerne als Ostproblem wahrgenommen.
Die Zahl der registrierten rechtsextremistischen Delikte hat sich in
Dortmund in den letzten Jahren mehr als verdoppelt. 2005 wurden 184
Straftaten mit einem rechten Hintergrund gemeldet, 2008 waren es schon 402.
Seit den Kommunalwahlen 2009 sitzt je ein Vertreter der rechtsextremen DVU
und der NPD im Rat. Mitten im Ruhrgebiet.
Mitten im Westen, in einer Stadt mit 600.000 Einwohnern hat sich zwischen
grauen Plattenbauten und gepflegten Eigenheimen ein Wohlfühlraum rechter
Gesinnungsgenossen entwickelt.
"Dortmund ist eine Stadt, in der die Auseinandersetzung zwischen
rechtsextremen und demokratischen Kräften öffentlich und offensiv geführt
wird", heißt es in der Studie zum Rechtsextremismus in Dortmund, die von
der Universität Bielefeld 2009 veröffentlicht wurde. In der Untersuchung
wird deutlich, dass der Rechtsextremismus in der Stadt in Bewegung ist:
"Die Stadt mit ihrer Tradition als Arbeiterhochburg und ,Herzkammer' steht
stellvertretend für die Zukunft des Ruhrgebiets. Was hier passiert, strahlt
auf die Nachbarstädte aus.
Entsprechend wichtig ist es den örtlichen rechtsextremen Strukturen, hier
an Einfluss und Macht zu gewinnen." Dabei seien die "Autonomen
Nationalisten" momentan die handlungsfähigste rechte Gruppe. Neben Berlin
sei Dortmund eine Hochburg dieser Gruppierung, so die Studie.
Lange bestimmte die sogenannte Borussenfront die Neonazi-Szene in Dortmund.
Die Autonomen Nationalisten (AN) sind eine vergleichsweise junge
rechtsextreme Bewegung in der Region. Bei Demonstrationen treten sie mit
Palästinensertuch, Sonnenbrille und Che-Guevara-T-Shirts auf.
Die äußerliche Anpassung an die linksautonome Szene geht einher mit einer
Anpassung der Aktionsformen. Bei Aufmärschen ahmen sie den "schwarzen
Block" der linken Autonomen nach. Sie übernehmen Motive aus der linken
Szene und fügen lediglich rechtsextreme Parolen hinzu. Dadurch üben sie auf
Jugendliche eine stärkere Anziehungskraft aus als die konventionelle rechte
Szene, hieß es dazu 2009 aus dem Bundesinnenministerium.
Seit drei Jahren verkauft ein Wortführer der Dortmunder AN im Internet
rechtsextremes Propagandamaterial. Bei seiner Existenzgründung wurde er von
der städtischen Arge gefördert. Die mehrheitlich jungen AN versuchen die
Dortmunder Jugend für sich zu interessieren, indem sie in der ganzen Stadt
Klebezettel mit nationalistischen Sprüchen oder etwa der Forderung nach
"Todesstrafe für Kinderschänder" verteilen.
Sie suchen sich gezielt einzelne Familien oder Einrichtungen aus und
attackieren diese. Damit will man ganze Stadtteile einschüchtern und eine
sogenannte nationale Zone schaffen, um sich frei bewegen zu können. Sie
erobern in ihrer Gegend Macht über den Alltag. Bestimmen, wer sich frei
bewegen kann und wer nicht.
Ursula und Wolfgang Richter wundert diese Entwicklung nicht. Bereits vor 20
Jahren – damals wurden ihre Fensterscheiben eingeschlagen – wurden sie von
Rechten schikaniert. Seitdem wird das Haus des Ehepaars, das sich im
Dortmunder Bündnis gegen Rechts engagiert, in größeren Abständen mit
Steinen oder Farbbeuteln attackiert, oder sie bekommen Drohbriefe. An ihre
Hauswand waren 2007 und 2008 zu Weihnachten Graffiti geschmiert: "Ein
frohes Fest! Die Anti-Antifa". Die Anti-Antifa ist ein Bündnis von
Rechtsextremisten, das Daten von politischen Gegnern sammelt und
veröffentlicht.
Und was machen die Politiker? Der ehemalige Oberbürgermeister Ullrich
Sierau (SPD), der letzte Woche wegen seiner umstrittenen Wahl die
Amtsgeschäfte niederlegen musste, leugnet das Problem zwar nicht, sorgt
sich aber eher um das Image der Stadt als um die Opfer rechtsextremer
Bewegungen.
Er erzählt lieber von seinem Engagement gegen rechts, betont immer wieder,
wie viel Geld die Stadt in Initiativen gegen rechts investiere. Für
Projekte gegen Nazis hat die Stadt im letzten Jahr 100.000 Euro zur
Verfügung gestellt – 0,03 Prozent des städtischen Haushaltsvolumens.
Zusätzlich gibt es seit 2007 die städtische Koordinierungsstelle für
Vielfalt, Toleranz und Demokratie, in der gegen braunes Gedankengut
gearbeitet wird.
"Alles nur Symbolpolitik", kritisiert Dagmar Piotrowski, eine Mutter, deren
Sohn Raphael mehrfach von Rechten angegriffen wurde; seine Daten wurden
ebenfalls online veröffentlicht. Genau wie Stefan Pötter knibbelt auch der
18-Jährige Naziaufkleber ab. Ein Polizist warf dem Schüler vor, er sei doch
selber schuld, wenn er sich engagiere und deswegen attackiert werde, sagt
Raphael.
Auch Stefan Pötter fühlt sich von den Behörden alleingelassen. "Wozu ist
eigentlich die Polizei da?", fragt er und bemüht sich erst gar nicht zu
vermitteln. "Wenn ich eine Anzeige aufgebe, läuft es doch nur unter
Sachbeschädigung oder Belästigung", klagt er an.
Wolfgang Wieland von der Polizei in Dortmund sagt: "Wir ermittelten gegen
unbekannt." Natürlich könne wegen des politischen Engagements der Familie
ein rechter Hintergrund vermutet werden, räumt er ein, die drei Anzeigen
der Familie seien aber mittlerweile an die Staatsanwaltschaft weitergegeben
worden.
Gegen seinen Vorgesetzten, Polizeipräsident Hans Schulze, initiierte die
Linke-Bundestagsabgeordnete Ulla Jelpke mit dem Bündnis gegen Rechts 2008
eine Unterschriftenaktion, weil dieser "durch sein Fehlverhalten dazu
beigetragen hat, dass sich in Dortmund eine stetig wachsende und extrem
gewaltbereite Neonazi-Szene etablieren konnte". Die Aktion wurde nicht
weiterverfolgt. "Die Einstellung dieser Angelegenheit zeigt doch, dass die
Kritik an Hans Schulze nicht von der Mehrheit erhoben wird", entgegnet
Ingolf Möhring, Schulzes Stellvertreter, auf den Vorwurf, die Dortmunder
Polizei sei auf dem rechten Auge blind.
Das "Andersdenkende" – also Linke – von den AN verfolgt werden, spürt Hasan
Sahin regelmäßig. Der gebürtige Türke betreibt das Literaturcafé Taranta
Babu seit 30 Jahren. Allein seit Ende 2007 hat es sieben Anschläge auf das
Geschäft gegeben - ob diese von Rechtsextremisten verübt wurden, ist zwar
unklar, aber mehrfach wurden Nazisymbole hinterlassen.
Hasan Sahin geht noch nicht mal jedes Mal zur Polizei, wenn er Hakenkreuze
an der Hauswand findet. Sahin hat die Farbe griffbereit im Keller stehen.
Und wie oft er Jugendliche mit Hitlergruß an seiner Bücherei vorbeiziehen
sieht, das zählt er schon gar nicht mehr. Von den vielen Anwohnern will
niemand etwas gemerkt haben, das macht Hasan Sahin Sorge. "Die Stadt ist
eine Hochburg der Rechten. Aber der Polizeipräsident und der Bürgermeister
wollen das nicht wahrhaben."
Wie soll es weitergehen?
Hasan Sahin ist verzweifelt, er denkt über neue Sicherheitsmaßnahmen für
sein Geschäft nach.
Das Ehepaar Richter wird sich weiterhin gegen rechts engagieren.
Auch Raphael Piotrowski denkt nicht ans Aufgeben. "Sonst haben die Nazis
erreicht, was sie wollen."
Stefan Pötter ist vorsichtiger geworden. Er sieht sich ein paarmal um, wenn
er am Bahnhof ist. Aus dem Haus, in dem sie 15 Jahre lebten, ist die
Familie ausgezogen, sie planen "Vorkehrungen", die er nicht konkretisieren
will. Der Schwebezustand nimmt ihn nervlich mit.
Ob er nach all dem Ärger noch mal so handeln würde? "Es ist unsere Aufgabe
als Deutsche, wir haben eine Vergangenheit, die sich nie wiederholen darf",
sagt er und klingt entschlossen. Stefan Pötter sagt aber auch: "Manchmal
habe ich schon Zweifel. Im Magen bleibt ein Unbehagen."
25 Jan 2010
## AUTOREN
Cigdem Akyol
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