Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Kolumne Die Charts: Wollen Sie noch Tiere essen?
> Die Charts mit der Serie: Was im 21. Jahrhundert wirklich zählt. Folge 2:
> Fleisch.
Unlängst kaufte ich am Bahnhof eine Zigarre und rauchte sie dann zu Besuch
bei Menschen, die da gar nicht drauf stehen. Sie dachten lange, ich mache
einen Witz. Das war auch so. Auf eine Art. Soll heißen: Ich mache viele
Dinge, obwohl sie scheiße sind. Oder weil. Eins allerdings beschäftigt mich
gerade so sehr, dass ich erwäge, es bleiben zu lassen. Und das ist Fleisch
essen. Genauer gesagt: Tiere essen.
Klar ist: Ich werde nicht einfach damit aufhören, um den Klimawandel zu
begrenzen. Nach der Logik: Eigentlich super, aber jetzt müssen wir leider
wegen CO2-Vermeidung auf das Essen von Tieren und speziell Kühen
verzichten. Ich werde auch nicht aufhören, um Hunger und Elend zu
verringern, weil für ein Kilo Kuh zehn Kilo Getreide und unzählige Liter
Wasser draufgehen. Die entscheidende Frage ist auch nicht: Ist es richtig,
so Tiere zu essen, wie es in unseren bürgerlichen und proletarischen
Massentierhaltungsgesellschaften getan wird? (Die Antwort ist eh klar.) Und
auch nicht: Ist es überhaupt richtig, Tiere zu essen? (Das wird im 21.
Jahrhundert nicht auszudiskutieren sein.) Die entscheidende Frage lautet:
Ist mir und uns auch morgen noch danach, Tiere zu essen?
Z. B.: Es gehört schlicht zu meiner eingeübten Kultur und Vorstellung von
einem guten Leben, dass man Schnitzel essen geht. (Auf keinen Fall aber
Innereien.) In Deutschland. Nun das Spannende: In Kalifornien ist das
anders. Meine Frau und meine Tochter sind Flexitarierinnen, d. h., sie
leben zu Hause weitgehend fleischfrei. Beide ernähren sich in den USA
komplett ohne Fleisch (ohne Fisch sowieso). Ich habe in vier Wochen dreimal
zu den Spiegeleiern Bacon-Streifen bestellt. Ansonsten Humus-Bagel. Pasta.
Salate. Ab und zu einen Getreide-Burger mit Fries.
Es war nicht mal so, dass wir Fleischfreiheit als kategorischen
Urlaubsimperativ ausgegeben hatten. In dem kalifornischen Haus stand
selbstverständlich neben dem Surfboard auch ein Grill auf der Veranda. Das
Grillen von Tierteilen gehört da auch in der bildungs-, ernährungs- und
klimabewussten Mittelschicht zum Lebensstil. Und doch: Die Tage vergingen
und am Ende waren sie fleischfrei gewesen. Die Gedanken und die Träume
übrigens auch. Und dann landeten wir in Berlin, und ich dachte an
Schnitzel. Und meine Tochter fuhr zu ihrem Metzger-Opa und haute sich eine
gleich mal eine Riesencurrywurst rein.
Da stellt sich die Frage: Wie kommt es, dass wir an einem anderen Ort einen
fleischfreien Lebensstil begehrenswert finden? Offenbar ist es in anderer
Umgebung leichter, Lebensstilprägungen zu hinterfragen und neue
auszuprobieren. Vielleicht ist das ja übertragbar und man kann einen neuen
geistigen Ort für eine gesellschaftliche Überarbeitung unserer
Ernährungskultur (und entsprechende politische und wirtschaftliche
Allianzen) schaffen.
Ja, aber. Was wird aus Argentiniens BIP, was aus dem Großvater meiner
Kinder und vor allem: Was wird aus meinen geselligen Schnitzelabenden? Tja.
Es geht darum, sich kulturell so zu entwickeln, dass Veränderungen nicht
als Freiheitsberaubung verstanden werden. Um mal mit einem Missverständnis
aufzuräumen: Die derzeit herrschende Kultur ist ja in Wahrheit die Kultur
des unbewussten Verzichts - des Verzichts auf ausgeblendete Aspekte von
Lebensqualität und Teile der Zukunft. Die Frage ist demnach nicht: Was
dürfen wir noch? Die Frage ist: Was wollen wir?
Für unseren einzigen echten Familienvegetarier war das nie ein Thema. Er
ist 2000 geboren und lebt unaufgefordert und unaufgeregt die zeitgemäße
Esskultur des 21. Jahrhunderts. Here, There and Everywhere.
27 Jan 2010
## AUTOREN
Peter Unfried
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.