# taz.de -- Weltsozialforum in Porto Alegre: Gutes Leben heißt Selbstentfaltung | |
> Die kapitalistische Wachstumslogik zu überwinden ist für viele Teilnehmer | |
> des Weltsozialforums ein Ziel. Dies zu erreichen könnte an der | |
> Wachstumsfixierung einiger Regierungen scheitern. | |
Bild: Bis zu 35.000 TeilnehmerInnen kamen zum Sozialforum nach Porto Alegre. | |
Wohl kein Konzept wurde auf dem zehnten Geburtstag des Weltsozialforums in | |
Südbrasilien öfter beschworen als jenes vom "guten Leben", das seine | |
Wurzeln im Denken der Anden-Indígenas hat und bereits in den Verfassungen | |
Ecuadors und Boliviens verankert ist. Brasiliens grüne | |
Präsidentschaftskandidatin Marina Silva bezog sich ebenso darauf wie Daniel | |
Pascual vom "Komitee für die Einheit der Kleinbauern" aus Guatemala oder | |
der portugiesische Soziologe Boaventura de Sousa Santos. Das | |
Weltsozialforum wird immer grüner. | |
35.000 TeilnehmerInnen kamen zum südbrasilianischen Regionalforum, das am | |
Freitag zu Ende ging. Die internationale Debatte blieb auf das | |
Strategieseminar beschränkt, auf dem "Elemente für eine neue Agenda" | |
diskutiert wurden. Eigentlich hatten die Organisatoren geplant, die | |
wichtigsten Aspekte der zwölf Podiumsdiskussionen mit Blick auf die | |
künftigen Foren zu bündeln. Stattdessen gab es eine allgemeine Aussprache. | |
Die Botschaft blieb insgesamt diffus. | |
Dabei wird seit dem Weltsozialforum 2009 in Belém mit dem "guten Leben" und | |
den Gemeingütern in Umrissen eine mögliche Plattform sichtbar, auf der sich | |
unterschiedlichste Diskurse zusammenführen ließen. "Gutes Leben heißt nicht | |
Streben nach mehr Konsum, sondern nach Autonomie, Selbstbestimmung, vor | |
allem Selbstentfaltung", sagte die deutsche Gemeingüterexpertin Silke | |
Helfrich. "Bei den Kämpfen um Wasser und Land, um Wissen oder Software geht | |
es um Zugangsrechte, um gesellschaftliche Kontrolle, auch um die Frage, wie | |
wir produzieren." | |
Eine Brücke zum Antikapitalismus schlug der venezolanische Soziologe | |
Edgardo Lander: "Wir müssen kapitalistische Wachstumslogik radikal | |
überwinden und zu einer Umverteilung des Zugangs zu Gemeingütern kommen." | |
Jenen, die lauthals die Niederlage des Neoliberalismus auf der diskursiven | |
Ebene feierten, hielt er entgegen: "Die individualistischen Muster des | |
Konsums und auch der Wissensproduktion stehen vor dem endgültigen Sieg." | |
Der bolivianische UN-Botschafter Pablo Solón warb für den "Weltgipfel der | |
sozialen Bewegungen über den Klimawandel", zu dem Evo Morales im April nach | |
Cochabamba lädt. "Wir dürfen nicht zulassen, dass der Kapitalismus die Erde | |
vollends zerstört", erklärte Solón. "Die Rechte der Menschheit können nur | |
garantiert werden, wenn wir die Rechte der Mutter Erde respektieren." In | |
Cochabamba solle eine "Allgemeine Erklärung der Naturrechte" ausgearbeitet | |
werden. "Gegen die Folgen des Klimawandels stellt man zehn Milliarden | |
Dollar bereit, für den Krieg 1,3 Billionen", kritisierte Solón. | |
"Der neue Zyklus der Weltbürgerbewegung hat sich bereits auf den Straßen | |
Kopenhagens gezeigt", sagte die brasilianische Aktivistin Fátima Melo. Doch | |
der Weg über Cochabamba zum Klimaweltgipfel in Mexiko im Dezember wird | |
nicht leicht, weiß sie: "Es reicht nicht mehr, antineoliberal oder | |
antiimperialistisch zu sein." Nun gelte es, die Vielfalt der Bewegung zu | |
nutzen, um auf die Politik Einfluss zu nehmen. | |
Angesichts der Wachstumsfixierung auch der linken Regierungen ist das keine | |
leichte Aufgabe. Pablo Solón lässt denn auch an der Stoßrichtung des | |
Treffens in Cochabamba keine Zweifel aufkommen: "Gegen die Auswirkungen des | |
kapitalistischen Systems auf das Klima müssen wir uns weltweit | |
organisieren." In Bolivien hingegen bleibe die Industrialisierung des | |
Landes das oberste Ziel, "damit wir wirtschaftlich unabhängig werden und | |
den Reichtum umverteilen können". | |
In Porto Alegre sei man wieder einen Schritt vorangekommen, hieß es zum | |
Abschluss allenthalben. Mehr sei kaum zu erwarten gewesen, findet auch | |
Silke Helfrich: "Soziale Prozesse sind immer langsam, da muss man viel | |
Geduld haben." | |
Im nächsten Jahr soll es wieder ein zentrales Weltsozialforum geben. | |
Austragungsort wird nach derzeitigen Plänen dann Dakar in Senegal sein. | |
1 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
G. Dilger | |
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