# taz.de -- Debatte Demokratie: Omertà in Zossen? | |
> Ein Klima der Angst und des Schweigens nützt Rechtsextremen: Was | |
> Deutschland aus dem Kampf gegen die Mafia in Süditalien lernen kann. | |
Das "Haus der Demokratie", das im September des vergangenen Jahres im | |
brandenburgischen Zossen seine Türen öffnete, tat dies nicht lange: In der | |
Nacht zum 23. Januar wurde ein Brandschlag auf die Einrichtung verübt. Fünf | |
Tage später erließ die Staatsanwaltschaft Potsdam Haftbefehl gegen einen | |
16-jährigen Tatverdächtigen. Der aus der Gegend stammende Jugendliche legte | |
ein umfassendes Geständnis ab; als Motiv für den Brandanschlag gab er seine | |
rechte Gesinnung an. | |
Uns Gründern des "Museum der Ndrangheta", das im Dezember im italienischen | |
Reggio Calabria der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurde, muss dieser | |
Vorfall zu denken geben. Auch gegen uns und unsere Einrichtung wurden | |
vonseiten des kalabresischen Mobs schon unmissverständliche Drohungen | |
ausgesprochen. Könnte dem Museum in Reggio ein ähnliches Schicksal drohen? | |
Beim Einsatz für eine demokratische Kultur in beiden Ländern fallen einem | |
zahlreiche Parallelen zwischen bestimmten Regionen in Italien und in | |
Deutschland ins Auge. Denn das, was in Zossen geschehen ist, zeigt, mit | |
welchen Bedrohungen die Bürger mancher Regionen Italiens schon lange leben | |
müssen - Bürger, die sich für ein selbstbestimmtes und angstfreies Leben in | |
einer demokratischen Gesellschaft einsetzen. | |
Jenseits aller historischen Unterschiede zwischen den italienischen Mafien | |
- Ndrangheta, Camorra und Sacra Corona - und dem deutschen | |
Rechtsextremismus und jenseits aller Unterschiede in deren | |
politisch-gesellschaftlichen Zielen: Der Vergleich zwischen beiden Ländern | |
schärft den Blick auf das, was essenziell antidemokratisch ist: das Spiel | |
mit der Angst. So schafft die Mafia in dem von ihr beherrschten Territorium | |
das Szenario einer Bedrohung, vor der sie dann die Bürger zu schützen | |
verspricht. Genauso schaffen Neonazis durch ihren "Kampf um die Straße", | |
ihre "Anti-Antifa-Listen" im Internet, ihre gezielten Angriffe auf | |
Einzelpersonen und Institutionen sowie ihre Hetze gegen Ausländer ein Klima | |
der Einschüchterung, das oft die Mehrheit der Bevölkerung zum Schweigen | |
bringt. Wer dagegen mehr als hilflose Gesten der Betroffenheit mobilisieren | |
möchte, muss sich mit dieser Angst und diesem Schweigen auseinandersetzen. | |
Man muss sich mit Mentalitäten befassen, und die Frage muss lauten: Wie | |
kann gesellschaftliches Vertrauen befördert werden? | |
Das Mindeste, was man vom Staat dabei fordern kann, ist natürlich die | |
Entschlossenheit, sein demokratisch und rechtsstaatlich kontrolliertes | |
Gewaltmonopol auch durchzusetzen. Wir müssen dem Staat vertrauen können, | |
dass er diejenigen zur Rechenschaft zieht, die ein Verbrechen begehen - | |
sonst kann man es von vornherein abschreiben, die Angst zu vertreiben. | |
Gesetzt den Fall, der Staat käme dieser Pflicht gewissenhaft und auch | |
erfolgreich nach, so lehrt das Beispiel Italien, dass auch das allein nicht | |
reichen wird. In den letzten zwanzig Jahren haben die | |
Strafverfolgungsbehörden in Süditalien im Kampf gegen die Mafien mehr und | |
mehr Einsatz gezeigt. Polizisten, Staatsanwälte und Richter nehmen dafür | |
große Opfer und Einschränkungen im alltäglichen Leben in Kauf und können | |
immer wieder Erfolge verbuchen. Doch für jeden Mafiaboss, jeden Killer oder | |
Wirtschaftslenker, der gefasst wird, rückt ein neuer nach. | |
Das System, in dem solche Personen agieren und mächtig werden, schert sich | |
ja gerade nicht um den Wert des Einzelnen: Alle sind ersetzbar. Und sie | |
wachsen nach - denn da, wo die Angst regiert, werden keine Anzeigen | |
erstattet, wird in der Lokalpresse über manche Dinge nicht berichtet, reden | |
öffentliche Repräsentanten manches Delikt klein und sorgen korrupte | |
Politiker dafür, dass öffentliche Ausschreibungen per Erpressung vergeben | |
werden. Das kriminell zusammengeraffte Geld kauft sich seine Legalität. In | |
Süditalien sorgt das kulturell tief inkorporierte System der Angst dafür, | |
dass all dies von den meisten als unabänderlich oder gar "normal" angesehen | |
wird. Und daher träumen bei jeder Verhaftung eines Mafiabosses viele | |
Jugendliche davon, eines Tages an dessen Stelle zu treten. | |
Aus diesem Grund gehörten Polizisten und Staatsanwälte in Kalabrien zu den | |
Ersten, die die Idee eines "Museums der Ndrangheta" unterstützten. Sie sind | |
überzeugt, nur durch langfristige kulturelle Arbeit lasse sich der | |
Nährboden der Mafia - das System der Angst - langsam zurückdrängen. Im | |
"Museum der Ndrangheta" in Reggio werden diese Formen illegitimer | |
Machtausübung in einer Ausstellung offen benannt. Außerdem bietet es eine | |
Plattform, die weit über Kalabrien hinausreicht und es Akademikern, | |
Politikern, Journalisten und vor allem von Jugendlichen ermöglicht, ihre | |
Erfahrungen auszutauschen. Durchs Gespräch werden die Barrieren diffuser | |
Angst oder Akzeptanz des Inakzeptablen überwunden, ein objektiver und | |
rationaler Diskurs kann beginnen. | |
Vertrauen braucht Zeit | |
Dies sind kleine Schritte, um Vertrauen aufzubauen. Dieser Prozess | |
vollzieht sich langsam: Es kann sich um Kinder handeln, bei denen man nicht | |
weiß, wann und wie diese Erfahrung von Demokratie Früchte tragen wird. Es | |
kann ein Lokaljournalist sein, der merkt, dass es seinem Berufsethos | |
widerspricht, über manche Dinge nicht zu schreiben. Es kann ein | |
Familienvater sein, der seinen Kindern eine andere Zukunft ermöglichen | |
möchte. Ein Jugendlicher, der nicht klein beigibt oder auswandert, sondern | |
bleibt, um eine positive Zukunft aufzubauen. Oder ein Politiker, der es | |
nicht als Nestbeschmutzung, sondern als demokratische Pflicht empfindet, | |
über Probleme offen zu reden. | |
Nur im Zusammenspiel vieler Einzelner kann sich die Atmosphäre an einem Ort | |
ändern. Für die Straftäter muss die Polizei da sein. Aber um die Mauern der | |
Angst, des Schweigens und des Wegschauens zu überwinden, braucht es | |
Vertrauen. Es ist zu hoffen, dass sich in Zossen wie an vielen anderen | |
Orten in Deutschland, an denen die Angst herrscht, durch langfristige | |
kulturelle Arbeit dieses Vertrauen aufbauen lässt. Denn ohne Vertrauen ist | |
kein Staat zu machen, eine Gesellschaft schon gar nicht. | |
3 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Benno Plassmann | |
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