# taz.de -- Eisangeln: Auf dickem Eis | |
> Auf einem See in Quickborn stehen seit dem frühen Morgen dunkle Schatten. | |
> Sie haben Löcher ins Eis gehauen und halten Ruten hinein. Einen Fisch | |
> fängt kaum einer. Doch darum geht es auch nicht beim Eisangeln | |
Bild: Geht doch: Forelle, reingefallen. | |
Das Wasser, der Schnee auf den Ästen, die Gestalten auf dem See. Alles | |
gefroren. Nur die Schneeflocken bewegen sich. Das bleibt erst mal so. Wie | |
ein Foto oder diese Glaskugeln, die es früher in Wintersportorten gab: "St. | |
Moritz grüßt die Welt." Die musste man schütteln und alles blieb starr, bis | |
auf die künstlichen Schneeflocken. | |
Dann bewegt sich eine der Gestalten, und plötzlich bewegen sich die anderen | |
auch. Sie gehen hin und her. Dann bleiben die Gestalten stehen und wieder | |
friert alles ein, bis auf den Schnee. Kaum Farben. Selbst das Blau und Gelb | |
der Eimer, von den Optimisten mitgebracht, wird vom Weiß verschluckt. Die | |
Kleider der Gestalten sind dunkel: Anoraks, Kapuzen, Hosen, Mützen, Schals, | |
Handschuhe. Und die schwarzen Punkte, die man im Schnee sieht, das sind die | |
Müdigkeit und der Kreislauf, denn ein paar sind seit kurz vor sieben hier. | |
Das ist Eisangeln. Es gibt Orte, da ist es so kalt, da bauen die Angler | |
eine Hütte über dem Loch, das sie ins Eis hauen. Es ist kalt in Quickborn, | |
aber so kalt nicht. Der Fisch, um den es hier geht, ist die Forelle. | |
Regenbogen- und Goldforellen haben im Winter mehr Hunger als sonst. | |
Jedenfalls glauben das die Angler, und deshalb sei die Forelle eher bereit, | |
die Bienenmade oder eine andere Made und damit den Haken, an dem der Köder | |
hängt, zu schlucken. Aber auch die Maden wirken erfroren. Erst wenn man sie | |
eine Weile in der warmen Hand hält, bewegen sie sich träge. | |
Das Eis auf dem See, der Gerd Juhl gehört, ist 30 Zentimeter dick. Juhl, | |
58, trinkt in der Stube Kaffee, während seine Angler auf kleinen Stühlen an | |
ihren Löchern im Eis sitzen. Rolf, der nicht wie Rolf spricht, sondern wie | |
Vitali oder Alexej, bewegt die Hand mit der kleinen Rute auf und ab. | |
Langsam, auf und ab. Mit den Ködern, die es hier zu kaufen gibt, ist er | |
unzufrieden. Deshalb hat er sich polnische Köder bestellt. Sind besser. Auf | |
und ab. So bewegt sich sein Köder im eiskalten Wasser, als ob er lebt. Doch | |
die Forelle fällt nicht drauf herein. Dabei legt Rolf so viel | |
Überzeugungskraft, Ausdauer und Liebe in seine Bewegung. Nützt nichts, wenn | |
der Köder nichts taugt. | |
Wenn das Eis 30 Zentimeter dick ist, dann ist an den Stellen, an denen der | |
See nur 120 Zentimeter tief ist, nicht mehr viel Wasser. Es gibt andere | |
Stellen, da ist er zehn Meter tief. Muss man sich gut überlegen, wo man | |
seine Schnur reinhängt. Es ist still, deshalb hört man, wenn Juhl mit dem | |
Trecker kommt. Bringt 50 Kilo frischen Fisch, weil die Männer, die hier | |
zwölf Euro pro Rute und Tag bezahlen, sonst ohne Fisch nach Hause gehen. | |
Könnte Missmut aufkommen unter Juhls Kunden, angesichts der äußeren | |
Bedingungen. Gestern Abend, berichtet Juhl, "minus zehn", heute laue "minus | |
zwo". Was gefangen wird, nimmt der Angler, Ausrüstung bringt er mit. Hier | |
sind keine Anfänger. Eisangeln ist nur was für solche, die es auch im | |
Sommer machen, und den See "büschen kenn und wissen, wo der Fisch beißt", | |
sagt Juhl. Eisangler sind die Hechte unter den Anglern. | |
Seit 1975 bietet Juhl Eisangeln an, immer wenn es die Witterung zulässt, | |
und noch nie ist ihm einer eingebrochen. Mal tappt ein Angler in ein | |
Angelloch, aber die Ausrüstung ist inzwischen so gut, da werden die Socken | |
nicht nass, geschweige der Fuß. Das sind zwei Hektar Wasserfläche, was man | |
nicht glauben kann, weil man nur das Wasser sieht, das aus den Löchern | |
quillt, wenn die Angler das Eis mit großen Bohrern oder scharfen Äxten | |
bearbeiten. Alles andere ist zugefroren. | |
Die Karpfen, die auch in seinem See leben, beißen nicht um diese | |
Jahreszeit. Außerdem angelt man sie nachts. Es gab in letzter Zeit Tage, | |
die waren wie Nacht, aber heute nicht. Da, Florian Walter hat was. Angelt | |
mit Pasten als Köder, hat sich für eine in der Farbe orange entschieden. | |
Forelle fiel drauf rein und liegt nun auf Eis. Größe ist gut. "Eventuell | |
Bratpfanne", sagt Florian. Er und sein Freund sind mit einer Rute am Start, | |
sein Vater mit zwei. "Wenn jeder eine Forelle mit nach Hause bringt, ist es | |
in Ordnung", sagt Florian. | |
Für so ein bisschen Fisch stehen, sitzen und stapfen sie seit viertel vor | |
sieben übern See. Es geht nicht um den Fisch. Es fängt an zu schneien, der | |
Wind frischt etwas auf. Man hört die Autobahn, aber wenn man vor der Straße | |
abbiegt, das Auto abstellt und auf den See geht, ist der Rest der Welt weg. | |
Die Welt schrumpft auf das Loch im Eis, in dem das Wasser dunkel steht. | |
Durch dieses Loch kann man noch mal wo ganz anders hingucken, wenn man es | |
denn nur lange genug versucht. | |
"Irgendwann wollen die Fische Mittag essen", hofft Rolf, der die kleine | |
Rute mit der kurzen Schnur immer noch gleichmäßig auf und ab bewegt. Er | |
muss noch mal was zu den Ködern sagen, den schlechten. Es gibt hier einen | |
See, da sind großartige Köder. "Ich weiß es", sagt Rolf. Aber der See ist | |
auf einem Golfplatz, und jetzt, im Winter, ist der Golfplatz geschlossen. | |
Und er, Rolf, kommt an die Köder nicht ran. Deshalb liegt neben seinem | |
Hocker kein toter Fisch. | |
Nico und Timo, beide 13, und Luca, sieben, haben eine komfortable Liege | |
mitgebracht und einen von den Campingstühlen mit Loch für die Bierdose. Ist | |
keine Dose drin. Zu kalt und die Jungs zu jung für Bier. Nico ist der Enkel | |
von Gerd Juhl und wohnt um die Ecke. Er angelt seit er sechs ist, am | |
liebsten Karpfen. Was machen die Klassenkameraden am Sonntag um diese Zeit? | |
"Hm, ja, was machen die wohl? Computer spielen, fernsehen oder schlafen", | |
tippt Nico. Timo sagt: "Ich auch, wenn Nico nicht gekommen wäre." Es | |
schneit heftiger, der Wind frischt auf. Ein paar Eisangler setzen sich in | |
ihre Autos. Aufwärmen mit Kaffee, Tee. Frühstück. | |
Auch Nico, der den See kennt wie seine Hosentasche, fängt nichts. "Ich | |
setze eigentlich sowieso wieder alles zurück", sagt er. Florian und sein | |
Kumpel bohren sich zwei neue Löcher. Es hört auf zu schneien. Seit dem | |
einen Fisch haben sie nichts mehr gefangen. Aber man muss hier nichts | |
fangen, um was mitzunehmen. | |
3 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Roger Repplinger | |
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