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# taz.de -- 114 Jahre Berliner Kinoindustrie: Filmreife Geschichten
> Vom Dachboden nach Babelsberg und vom kuschligen Ladenkino ins Multiplex:
> Während die Berlinale 60. Geburtstag feiert, hat Berlins Kinoindustrie
> bereits 114 Jahre hinter sich.
Bild: Der Zoo Palast kurz vor der Eröffnung der VII. Internationalen Berliner …
Benjamin Kohzer sitzt in der Bar des Cinemaxx am Potsdamer Platz, ein
Multiplexkinos, wie es gerade modern ist. Das heißt: "Es gibt zig Säle mit
jeweils über 150 Plätzen, Popcorn auf jeder Ebene und meist eine
Einheitsarchitektur wie im Teppichladen", sagt Kohzer bedauernd.
Der 35-jährige leidenschaftliche Cineast hat mit einem Freund eine in der
Fachwelt anerkannte Sammlung der bestehenden und ehemaligen Kinos Berlins
im Internet zusammengestellt. Die Seite [1][Kinokompendium.de] war
Informationsgrundlage bei der Auswahl der Kiezkinos für die diesjährige
Berlinale, wie auch für die Bewerbung Berlins bei der Unesco als City of
Cinema, die derzeit läuft. Das auf Konsum ausgerichtete Serviceareal des
Cinemaxx sei exemplarisch für die heutige Kinolandschaft, betont Kohzer,
"aber Kinos mit Geschichte haben noch mal einen ganz anderen Reiz".
Kohzer hat viel Auswahl; die Geschichte der Berliner Kinos ist lang. Viele
der Bauten sind noch erhalten, die Geburtsstätte des Kinos nicht: Die
weltweit erste Filmvorführung vor zahlendem Publikum fand Ende 1895 im
Rahmen des Varieté-Programms im Wintergarten statt. An dem Standort in der
Friedrichstraße steht heute ein Supermarkt.
Zu Beginn der Kinogeschichte war man noch enthusiastischer. "Überall
entstanden handtuchschmale Ladenkinos", berichtet Kohzer. Gleichzeitig
übernahmen die Pioniere des neuen Mediums die Dachböden der Stadt, des
direkten Sonnenlichtes wegen, um Kurzfilme zu drehen. Doch die
Professionalisierung wurde mit Hochdruck vorangetrieben: 1911 wurden die
Geyer-Kopierwerke in Neukölln, Deutschlands älteste Filmfabrik, gegründet,
1912 fiel in Babelsberg die erste Klappe.
Kohzer liebt vor allem die zweite Phase des Berliner Kinos, die
Prachtbauten der 20er- und 30er-Jahre mit riesigen Sälen, selten unter
1.000 Plätzen. "In solchen Palästen ist die Illusion größer als man selbst,
ganz praktisch gesehen", schwärmt er. Zudem entwickelten das Licht, die
Samtsessel und die vielen aufgeregten Menschen eine ganz besondere Magie,
die erst in einem großen Saal entstehen könne: "Was das für einen Arbeiter
damals bedeutet hat, wenn der Vorhang aufgeht, das können wir uns gar nicht
vorstellen."
Die Gigantomanie schlug sich in den Filmen nieder. Das Science-Fiction
Spektakel Metropolis von Fritz Lang, das am Freitag am Brandenburger Tor
Open Air in einer weitgehend rekonstruierten Fassung gezeigt wird, wurde
Mitte der 20er-Jahre mit einem Millionenetat produziert. Die Nazis
beendeten diese Blüte der Kinos durch die Gleichschaltung der Medien, die
Ausweisung und Verschleppung von Künstlern.
Nach dem Krieg wurden im Osten Berlins viele Produktionsstätten zu
Propagandazwecken rasch wieder aufgebaut; der Westen der Stadt blieb, was
die Produktion angeht, eher unbedeutend. Auch weil man in der eingemauerten
Stadt wenig Platz für umfangreiche Filmdrehs hatte.
Spielstätten gab es in West wie Ost sowieso nur noch wenige. Viele der
alten Kinos waren im Krieg zerbombt worden. "Und die Neubauphase bis zum
Multiplex-Boom ist sehr überschaubar", sagt Kohzer. Dennoch hätten die
50er- und 60er-Jahre Spektakuläres gebracht im Bereich der Kinosäle, so der
Cineast. Der Zoopalast, 1957 eröffnet, hatte als erstes Kino zwei Säle, der
Royal-Palast, 1965 eröffnet, besaß mit 32 mal 13 Metern sogar die größte
Leinwand Europas. "Das war schon ein Hammer", sagt Kohzer. Die heute größte
ständige Leinwand Berlins - der Saal 1 im Zoopalast - misst gerade einmal
19 mal 8,3 Meter.
Dem Berliner Kino wurde es nach Kriegsende schwer gemacht, wieder auf die
Beine zu kommen. Die Erzfeinde Fernsehen und Video traten nacheinander ihre
Siegeszüge an. Überleben konnten - und können - nur die Spielstätten, die
hoch renditeträchtig sind oder ein treues Stammpublikum haben.
Viele Kinomacher bemühten sich durch die Aufsplittung der großen Säle in
mehrere "Schachtelkinos", weiterhin wirtschaftlich zu arbeiten. "Auf der
anderen Seite gab es einen Trend weg vom Mainstream, wo auch kleine
Zuschauerzahlen noch zum Überleben reichen", erklärt Kohzer. Viele
Off-Kinos - kleine Spielstätten, die sich sich um einen künstlerischen
Zugang zum Film bemühen - kommen damit immer noch über die Runden.
Nach der Wende begann der rasche Siegeszug der Multiplexe. "Unter den
Kinoketten gab es richtig Goldgräberstimmung", sagt Kohzer. In einer
"selbstzerstörerischen Boomphase" wurden die Mehrsaal-Großraumkinos aus dem
Boden gestampft. "Meist seelenlose Bauten", findet Kohzer. Die sich nicht
mal überall rechneten: Mit dem Bauboom habe man heute noch zu kämpfen.
"Berlin hat zu viele Kinoplätze für die Zahl der Besucher", sagt Kohzer.
Gerade einmal 62 Berliner teilen sich statistisch gesehen einen Sessel,
bundesweit sind es 98.
Auf künstlerische Aspekte wird bei der Programmgestaltung im harten
Wettbewerb um die Zuschauer selten Rücksicht genommen. Arne Schmidt,
Sprecher der Cinemaxx-Gruppe, erklärt: "Wir bilden ab, was wir dem Publikum
zutrauen."
Dadurch biete sich für kleine Kinos die Chance, ein Gegenprogramm zu den
Multiplexen zu zeigen, sagt Kohzer. Für unterschiedliche Spiele brauche es
unterschiedliche Arenen, und experimentelleres Kino brauche eben die
kleinen Säle, sagt der Kinokenner. Und Berlin scheint sich durch die
existierende Vielfalt tatsächlich als Metropole des Kunstkinos halten zu
können. Johannes Klingsporn, Geschäftsführer des Verbandes der
Filmverleiher, erklärt: "Für Arthouse-Verleiher ist Berlin ein wichtiger
Markt, weil es so viele Kinos gibt, die fern des Mainstreams spielen." In
anderen Bereichen würden die deutschen Film- und Fernsehzentren Köln,
Stuttgart, Frankfurt, München und Hamburg der Hauptstadt häufiger den Rang
ablaufen.
Alexander Thies kennt das Geschäft. Er hat bereits als Kind mitgekriegt,
wie sein Vater im familieneigenen Betrieb Filme produzierte. Später hat der
heute 49-Jährige mit seinem Bruder zusammen die 1921 gegründete Neue
Filmproduktion übernommen. Zur Zukunftssituation kleiner anspruchsvoller
Berliner Filme sagt er: "Die teuren Top-Produktionen werden zunehmen. Aber
die Leute wollen auch Dinge sehen, die sie etwas angehen, und die findet
man eher vor Ort als in Amerika", so der Produzent, der selbst mit Filmen
wie "Luther" und "Sturmflut II" eher auf den Massengeschmack setzt.
Seit 2001 ist die Zahl der verkauften Kinokarten in Berlin um knapp ein
Viertel gesunken, bis auf 9,3 Millionen im Jahr 2008. Filme aus dem
Internet scheinen die neue große Bedrohung zu sein. Kohzer sieht das nicht
so: "Kino ist ja etwas ganz anderes, da wird sich ein Stammpublikum
halten." Er selbst hat vergangenes Jahr knapp hundert Filme im Kino gesehen
und angeblich noch nie einen im Netz illegal heruntergeladen.
Alexander Thies spürt die Bedrohung eher. Das Heimkino sei eine harte
Konkurrenz für die Lichtspielhäuser, "aber dadurch wird die Kinobranche
auch zu Innovationen getrieben", sagt der Produzent. 3-D-Filme seien ein
gutes Beispiel. Er erklärt: "Den Neuerungen kann man sich nicht erwehren,
wir sind nun mal Zirkusleute und müssen Sensationen machen."
Der Druck auf die Kinoindustrie, mit der Zeit zu gehen, ist hoch. Simone
Kopf von den Geyer-Kopierwerken sagt: "Die Filmrolle ist ein Auslaufmodell,
das wird sich zur digitalen Produktion bewegen." Für ihre Firma ist der
physische Träger Film nur noch eines von vielen Standbeinen, die kleinen
Kinos stellt die Digitalisierung von Empfang und Projektion der Filme
allerdings vor existenzbedrohende Herausforderungen. Christian Suhren vom
Kreuzberger FSK-Kino sagt: "Ohne Geld von außen werden wir diesen Weg nicht
gehen können."
Es scheitert öfter am Geld. Auch die Finanzierung eines Kinofilms sei
heutzutage generell schwieriger zu stemmen, "weil die Produktionen viel
aufwändiger sind", so Produzent Thies. Berlin hat damit weniger Probleme
als andere Metropolen. "Es ist eine sehr günstige Stadt, um Filme zu
machen", sagt Thies. Die Lebenserhaltungs- und Produktionskosten seien
niedrig, "und hier gibt es die meisten Kreativen", so der Produzent.
Außerdem sei die Stadt "eine tolle Außenkulisse", was sich durch fehlende
Studiomieten auch auf die Kosten auswirke. Arm, aber sexy, das gilt wohl
auch für die Filmmetropole Berlin.
9 Feb 2010
## LINKS
[1] http://Kinokompendium.de
## AUTOREN
Martin Schwarzbeck
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