# taz.de -- Kolumne Idole: Fremdkörper im Gesicht | |
> Alte Männer können durchaus modische Vorbilder sein – zumindest wenn es | |
> um Brillen geht. | |
Das kann doch jetzt nicht sein, kann da bitte mal einer was machen? Wieso | |
trägt jetzt Bastian Schweinsteiger eine große, schwarze Brille und die | |
Zeitungen einmal längs durch die Republik loten deren modische ("Er ist | |
eben ein Trendsetter", Münchner Abendzeitung) bis nichtmodische ("Er gibt | |
sich ironiefähig", Zeitmagazin) Bedeutungen aus - wenn doch meine | |
höchstselbsteigene große schwarze Brille abholbereit beim Optiker liegt und | |
auf mich wartet, während ich diese Zeilen schreibe?! | |
Im Ernst, Sie können froh sein, dass ich überhaupt ohne Brille in den | |
Computer tippen kann. Hat sich doch mein einst gerühmter Adlerblick in ein | |
verschwommenes Blinzeln verwandelt und dazu geführt, dass ich das letzte | |
halbe Jahr öfters mit zusammengekniffenen Augen, buchstabierend wie eine | |
Erstklässlerin, unter Straßenschildern oder zusammengekauert vor den | |
Fernsehuntertiteln zu finden war. | |
Da habe ich mir also endlich meine optische Unzulänglichkeit eingestanden, | |
bin brav zu einer Augenärztin getrabt, habe erfahren, dass ich mal besser | |
eine Brille trage, und mich für eine Billig-Ray-Ban-Wayfarer-Kopie | |
entschieden. | |
Und jetzt steht da im Zeitmagazin eine Gesellschaftskritik über des | |
FC-Bayern-Spielers Schweinis neue Brille. Mir ist schon klar, dass ich | |
nicht die Erste (sondern eher die Hundertmillionste) bin, die mit einem | |
Nerdmodell daherkommt, das diesen Witzgestellen, mit hautfarbener | |
Plastiknase und Schnurrbart daran, nicht unähnlich ist. In den 90ern hieß | |
sie Jarvis-Cocker-Brille (obwohl der sie wiederum von Elvis Costello haben | |
dürfte), davor trugen sie Peter Sellers und mein Opa (von denen Elvis | |
Costello sie wiederum haben dürfte). | |
Letztere sind übrigens die modischen Vorbilder, an denen ich mich bei der | |
Auswahl des Gestelles orientiert habe. Es gibt ein altes Passfoto, darauf | |
sieht mein Opa Paul dem Peter Sellers der frühen 1960er geradezu | |
verblüffend ähnlich. Schwarzglänzendes Haar, leicht gewellt nach hinten | |
gelegt; ein stolzes Profil (Kinn! Nase!) und doch eine feine Andeutung von | |
Ironie um die Mundwinkel. Und natürlich: ein überdimensionales | |
Brillengestell aus schwarzer Plaste. | |
Die Absichten, die den Großbrillenträgern im Zeitmagazin attestiert werden, | |
sind neben der Demonstration der Fähigkeit zur Ironie auch das Ablenken vom | |
"Gleichmaß ihrer jugendlichen Gesichter". Ich denke, es ist eher das "nicht | |
Eins-sein-Wollen" mit der Tatsache, dass man auf eine Sehhilfe angewiesen | |
ist, die einem zum Nerd-Modell treibt. Während eine (ihhh!) randlose Brille | |
nahezu im Gesicht verschwindet, geradezu duckmäuserisch in ihm aufgeht, | |
sagt die Chemikerbrille "Mit diesem Scheiß namens Dioptrinschwäche hab ich | |
mich längst nicht abgefunden." Die Brille hält eine Distanz zur eigenen | |
Unzulänglichkeit dadurch, dass sie wie ein Fremdkörper im Gesicht sitzt. | |
Das ist jedenfalls die küchenpsychologische Deutung meiner eigenen | |
Entscheidung. Und natürlich: Peter Sellers und mein Opa. | |
Also wehe, wenn auch nur ein einziger Idiot sagt, wenn er mich demnächst | |
das erste Mal mit meiner neuen Sehhilfe sieht: "Hey, du hast ja jetzt auch | |
eine Schweinsteiger-Brille!" | |
P.S. Mir fällt gerade auf, dass ich ja eine Frau bin und hier nur von | |
Männern und ihren Brillen die Rede ist. Deswegen hier also ein kurzer | |
Nachtrag zur Nerdbrille bei Frauen: Wird in US-amerikanischen Filmen | |
meistens eingesetzt, um ein unscheinbares bis vermeintlich hässliches | |
Mauerblümchen durch Absetzen der Brille und Schütteln des Haupthaars zur | |
heißesten Frau der High School werden zu lassen. Mist, habe keine Haare zum | |
Schütteln. | |
10 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Kirsten Reinhardt | |
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