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# taz.de -- Bahia de Caráquez: "Aus Not zu den Sternen"
> Wer eine Stadt mit ökologischem Modellcharakter sucht, ist hier bestens
> aufgehoben
Bild: Sonnenuntergang in Bahía de Caráquez
Ein Indianer kennt keinen Schmerz? Dieser schon! Auf einem robusten
Holzfloß erreichte er einst aus der Weite des Pazifischen Ozeans kommend
die ecuadorianische Küste - mit all ihren Naturschätzen ein paradiesisches
Land. Nun aber muss er mit ansehen, wie es durch Naturzerstörung, besonders
durch Abholzung, stark gelitten hat. Eine Träne läuft ihm über die Wange.
So oder ähnlich könnte ein TV-Werbespot aussehen, mit dem Patricio Tamariz
seine ecuadorianischen Landsleute auf die drängenden ökologischen Probleme
seines Landes aufmerksam machen will. Am eigenen Leibe hatte er erfahren
müssen, was die Zerstörung der Lebensgrundlagen für eine Region und ihre
Bewohner bedeutet. Denn zehn Jahre ist es her, als der berüchtigte "El
Niño" seine Heimatstadt Bahía de Caráquez mit Wassermassen und
Schlammlawinen unter sich begrub.
Die gesamte Infrastruktur der Stadt war zerstört. Und was sich dem Angriff
der Natur noch hatte widersetzen können, wurde wenige Monate später von
einem ungewöhnlich starken Erdbeben in die Knie gezwungen. Todesopfer waren
zu beklagen und Verzweiflung machte sich breit unter der obdachlosen
Bevölkerung.
Mit ausgestrecktem Arm macht Patricio nun vom höchsten Aussichtspunkt der
Stadt, einem alles überragenden riesigen Kreuz, das Ausmaß der einstigen
Verwüstung deutlich. Er zeigt auf die lang gestreckte sandige Landzunge,
auf der die zerstörte Stadt in den letzten Jahren wieder aufgebaut wurde.
Auf ihrer einen Seite der gegen die Uferkante anbrandende Pazifische Ozean.
Und auf der anderen der Mündungstrichter des Flusses Chone, der sich vorbei
an kleinen Mangroveninseln seinen Weg ins offene Meer bahnt. Er berichtet,
wie angesichts der Zerstörung damals die Bevölkerung nicht im Zustand der
Lähmung verharrte. So setzte der Überlebenswille einer ganzen
Stadtbevölkerung ungeahnte Kräfte frei. In dieser schweren Zeit, so
Patricio, bedurfte es einer Vision.
Gedacht, getan! Die Idee einer "Ökostadt" war geboren, ein Geistesblitz,
auf den Patricio als Urheber noch heute stolz ist. Das anfangs noch nicht
klar definierte Konzept gewann schnell immer deutlichere Konturen und wurde
bereits wenig später als Leitmotiv den städtischen Richtlinien für den
Wiederaufbau Bahías vorangestellt. "Aus der Not hinauf zu den Sternen". Und
alle diese Bemühungen sollten "einmünden in einen nachhaltigen
Tourismusplan".
Um gelungene Beispiele ist Patricio nicht verlegen. Benzin sparende
Fortbewegung schwebte ihm damals vor, und er zeigt dabei auf die vielen
dreirädrigen Fahrradtaxen, die unten auf den Straßen unterwegs sind. Auch
Sauberkeit und Sicherheit sollten dem großen Ziel dienen, und er verweist
auf die Statistik, die Bahía heute als die Stadt mit der geringsten
Kriminalitätsrate im Land ausweist.
Rechtfertigen diese nicht zu leugnenden Fortschritte aber schon die
Ehrenbezeichnung einer Ökostadt? Als wolle er auch diesen Zweifel im Kein
ersticken, lädt Patricio ein zu einem Ausflug auf die Mangroveninsel. Mit
einem Motorboot geht es hinüber zur Isla Corazón. Keine herkömmliche Insel,
vielmehr das Ergebnis gewissenhafter Aufforstungsarbeit, bei der die
Mangrovengrundfläche im Vergleich zu der Zeit vor der Zerstörung sogar noch
vergrößert werden konnte. Ein bequemer Laufsteg führt durch das Dickicht
des Mangrovenwaldes zu einem hohen Aussichtsturm, von dem aus sich das
Panorama der Bucht über das Blätterdach hinweg erschließt.
Doch die Hauptattraktion wird erst vom dreisitzigen Ruderboot aus
erkennbar. Der Weg führt hinein in die von Mangrovenwurzeln gebildeten
engen Tunnelröhren, die sich irgendwann öffnen und den Blick freigeben auf
die größte Fregattvogelkolonie des Landes. Gerade ist Paarungszeit, die die
schwarzen Tiere mit den markanten roten Ballons unter dem Schnabel zu einem
staksigen Imponierwerbeverhalten verleitet. Demgegenüber die eleganten
weißen Reiher, die ebenfalls lautstark kreischend die Baumwipfel des
Mangrovenwaldes mit ihren Brutkolonien füllen. Es ist offensichtlich: Die
Wiederherstellung dieses umfassenden natürlichen Lebensraumes kann in jedem
Fall als ein respektabler ökologischer Erfolg gewertet werden.
Und nicht nur hier. Patricio lädt ein zur Fortsetzung des Ausflugs in die
Shrimpsfarmen, die ersten des Landes, die bereits vor mehreren Jahrzehnten
einen nennenswerten Export ins Ausland ermöglichten. Die Fahrtroute führt
vorbei an weitläufigen Wasserflächen, die sogleich Patricios tiefes
Missfallen erregen. Der Grund dafür wird wenig später erkennbar bei
alternativen Aufzuchtbecken, die von dichten Mangrovenreihen eingerahmt
werden und Platz schaffen für ein reges gefiedertes Tierleben. In der Tat:
ein gewaltiger Unterschied, der verdeutlicht, was gezielte ökologische
Handlungsweise zu bewirken vermag.
Und noch einen weiteren Trumpf hält Patricio bereit. Dann am nächsten
Morgen schlägt er einen Abstecher vor entlang der Pazifikküste in Richtung
Süden nach Chirije. Hinter diesem indianischen Namen verbirgt sich eine
romantische Cabana-Anlage, die mit dem Fahrzeug nur bei Ebbe zu erreichen
ist, da die Zufahrt am Strand entlang erfolgt, auf dem während der Flut
hohe Brecher auslaufen. Patricio, das wird schnell klar, versteht Chirije
als Musterbeispiel für Ökotourismus mit einem attraktiven Angebot an
Unterkünften und Freizeitmöglichkeiten, wie geschaffen als paradiesisches
Refugium für ökokulturellen Urlaub. Die Anlage selbst mit ihren wohnlichen
und von Blüten bewachsenen Bambuscabanas lädt dazu ein, aus einer
Hängematte nach vorüberziehenden Walen Ausschau zu halten.
Aber mit der Brandung vor der Tür ist natürlich auch Schwimmen und Surfen
angesagt. Und da die Anlage innerhalb eines präkolumbianischen
Ausgrabungsfeldes liegt, bietet sich die Möglichkeit, unter fachkundiger
Anleitung Heinrich Schliemann zu spielen, um die Sammlung des kleinen
Chirije-Museums mit neuen Fundstücken zu ergänzen.
Vielleicht entdeckt man dabei sogar eine der vielen roten Stachelaustern,
die auffallend häufig in präkolumbianischen Erdschichten freigelegt werden.
Diese wunderschöne Auster mit dem lateinischen Namen Spondylus war damals
für die indianischen Küstenbewohner ein Tauschmittel auf ihren
Handelsrouten von Mexiko bis hinunter nach Chile, das mit Gold und Silber
aufgewogen wurde. In Anlehnung daran nennt sich die Küstenregion Ecuadors
heute "Ruta del Spondylus".
Urlaub in Bahía de Caráquez? Yachtsegler aus aller Welt haben dieses Ziel
für sich bereits entdeckt.
11 Feb 2010
## AUTOREN
Bernd Kregel
## TAGS
Reiseland Ecuador
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