# taz.de -- Debatte katholische Kirche: Vom Schmerz zur Erlösung | |
> Zur katholischen Lehre gehört die Verklärung körperlichen Leids. Das | |
> erklärt die Ungerührtheit, mit der die Kirche auf ihre Skandalfälle | |
> reagiert. | |
Papst Benedikt XVI. schreibt in seiner Enzyklika "Spe salvi": "Ich denke an | |
die heilig gesprochene Afrikanerin Giuseppina Bakhita. Mit neun Jahren | |
wurde sie von Sklavenhändlern entführt, blutig geschlagen und fünfmal auf | |
den Sklavenmärkten im Sudan verkauft. Sie wurde täglich bis aufs Blut | |
gegeißelt, wovon ihr lebenslang 144 Narben verblieben." Erschienen ist | |
diese Schrift über die christliche Hoffnung im Jahr 2007. Und natürlich | |
geht die Geschichte der ehemaligen Sklavin noch weiter. Denn Bakhita lernte | |
schließlich "nach so schrecklichen Patronen einen ganz anderen Patron | |
kennen […] den lebendigen Gott, den Gott Jesu Christi. […] Dieser Patron | |
hatte selbst das Schicksal des Geschlagenwerdens auf sich genommen und | |
wartete nun ,zur Rechten des Vaters' auf sie." Fortan lebte Bakhita in | |
Hoffnung und Liebe, widerstand ihren weltlichen Kerkermeistern, trat in | |
einen Orden ein und missionierte in der Welt. Amen. | |
Man darf die Fabeln, die der Papst zur Veranschaulichung seiner Lehren | |
wählt, nicht auf die ganze katholische Christenheit hochrechnen. Aber | |
Benedikt XVI. ist nicht irgendein Katholik. Und die Geschichte, die in der | |
Enzyklika so rührend erzählt wird, sagt einiges über katholisches | |
Körperverständnis aus. Sie erklärt vermittelt vielleicht auch etwas über | |
die bislang übliche Haltung der Kirche zu ihren dunklen "Sexskandalen", die | |
mit schöner Regelmäßigkeit immer wieder ans Licht kommen - zuletzt die mehr | |
als 20 Fälle von Missbrauch, die in den 1970er- und 1980er-Jahren am | |
Berliner Canisius-Kolleg geschahen. | |
Zwei Argumente, alt und lang wie Rapunzels Zopf, werden zu solchen Anlässen | |
gerne gegen die katholische Kirche ins Feld geführt: ihre | |
Sexualfeindlichkeit und ihre zum Himmel schreiende Doppelmoral. Beide | |
Vorwürfe gehören zusammen, beide sind richtig. Und doch sind sie nicht so | |
einfach und ursächlich mit den Skandalen verknüpft, wie es scheinen mag. | |
Die katholische Lehre zeichnet sich tatsächlich durch eine Sexualpanik | |
erster Güte aus. Allerdings sind Sinnlichkeit, Emotionalität und | |
Leiblichkeit ebenfalls das Markenzeichen des Katholizismus. In wohl keiner | |
Religion spielt der Körper, die Geschöpflichkeit des Menschen eine so | |
zentrale Rolle. Auch die üblichen bildlichen Darstellungen biblischer | |
Geschichten, vor allem aber der Passionsgeschichte, des Gekreuzigten oder | |
der sieben Schmerzen Mariens leben von einer körperlichen Expressivität, | |
die man nicht gerade asexuell nennen kann. | |
Genau das ist der Punkt: Die Leiblichkeit des Menschen wird in der | |
katholisch-christlichen Lehre sehr gerne über den Schmerz definiert. Wenn | |
etwas das Christentum als Religion auszeichnet, so ist es die Verklärung | |
des Leids und die Vorstellung, man müsse durch den Schmerz hindurch, um zur | |
Erlösung zu gelangen. Das Leid ist dabei an den Körper gebunden, er ist das | |
Instrument zur Reinigung der Seele. Am vorbildlichsten zeigen dies die | |
Märtyrer, die in der katholischen Kirche deshalb auch sofort | |
heiliggesprochen werden. | |
Diese Leidverzückung ist auch Papst Benedikts Fabel anzuhören. Die genaue | |
Aufzählung der 144 Narben, die doppelt erwähnten "Schläge bis aufs Blut" | |
und der verniedlichende Ton, in dem von der "kleinen afrikanischen Sklavin" | |
die Rede ist, zeigt deutlich, dass das Christentum ein inniges Verhältnis | |
zu Opfern hat. Es schätzt auch Bußrituale und tut alles, um sie im | |
Kreislauf von Schuld und Vergebung immer wieder neu zu inszenieren. Wehtun, | |
demütigen und dann trösten, so geht der Weg der wahren Erlösung und der | |
Imitatio Christi. In krassen Fällen kann dies - nichts für ungut - offenbar | |
auch so weit gehen, dass im erzwungenen Oralverkehr der priesterliche | |
Schwanz imaginär zum Essigschwamm mutiert, wie ihn der Herr am Kreuze | |
gereicht bekam (so berichtete jedenfalls der Spiegel). | |
Es geht hier nicht darum, das christliche Leidensmysterium zu diffamieren. | |
Es hat seinen Sinn, seine Tiefe, seinen Wert. Dennoch scheint ein am | |
Körperbild des Märtyrers und des unschuldigen Opferlamms ausgerichtetes | |
Denken einiges mit der unglaublichen Ungerührtheit zu tun zu haben, die die | |
Kirche gegenüber ihren Skandalfällen an den Tag legt. | |
Natürlich ist das Verschweigen sexuellen Missbrauchs eine gängige Methode | |
in jeder Familie - also auch in der Kirche. Und natürlich gehört es zur | |
Machtpolitik, sich nicht mit Skandalen zu beschmutzen, die so gar nicht ins | |
eigene Selbstbild passen. Doch als tieferes und sozusagen habituelles Motiv | |
schwingt in der kirchlichen Ignoranz eben auch etwas anderes mit. Die | |
Rührung über die arme Bakhita und die Grausamkeit des Schweigens über | |
sexuellen Missbrauch sind zwei Seiten des einen Phänomens, dass man Opfer | |
im Namen der wahren Erlösung gehorsam und demütig annimmt. Im Himmel wird | |
ja alles gut. | |
## Schizophrene Märchenwelt | |
Ob diese Verklärung von Schmerz und Opfer auch einer Schizophrenie der | |
missbrauchenden Priester Vorschub leistet, die mit strafenden Schlägen | |
Kinder und sich selbst erlösen wollen, ist schwer zu sagen. Die viel | |
gescholtene Doppelmoral der Kirche jedenfalls hat ihre Ursache auch darin, | |
dass in ihrer Lehre die Gegensätze so verdammt gerne ineinander übergehen: | |
fromme Sinnlichkeit in verbotenen Sex, Demut in Autorität, Mitgefühl in | |
Gewalt. | |
Es wird langsam Zeit für ein bisschen Frischluft. Dass die katholische | |
Kirche zunehmend von einer (hoffentlich) nicht mehr nur voyeuristisch | |
empörten Öffentlichkeit zur Rede gestellt wird, sei es im Fall der gnädigen | |
Duldung von Holocaust-Leugnern oder im Fall des gnädigen Schutzes von | |
klerikalen Sexualstraftätern, ist ein gutes Zeichen. Auch dass die | |
Bischofskonferenz im Jahr 2002 Richtlinien zum Umgang mit sexuellem | |
Missbrauch herausgab und die mutige Intervention des | |
Canisius-Kolleg-Rektors lassen hoffen, dass vernünftigere Zeiten anbrechen. | |
Eigentlich könnte auch die Rechtsprechung endlich mal ein Zeichen setzen | |
und die Verjährungsfristen für Missbrauch anheben. Damit die klerikalen | |
Herren hin und wieder aus ihrer verzückten Märchenwelt gerissen werden und | |
sich vor ihrem irdischen Richter verantworten müssen. Dessen Existenz ist | |
allemal sicherer als die des himmlischen. | |
17 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Andrea Rödig | |
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