# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Global reden, national bremsen | |
> Wozu eigentlich dieses Gefeilsche um Emissionsgrenzen, wenn man sich auf | |
> Weltklimakonferenzen über echte Umweltpolitik austauschen könnte? Ein | |
> Kommentar | |
Bild: Alles schien für einen Erfolg zu sprechen. | |
Die Weltöffentlichkeit war über den blamablen Ausgang der | |
Weltklimakonferenz in Kopenhagen vor allem deshalb so schockiert, weil sie | |
sich ein Scheitern im Grunde nicht vorstellen konnte. Alles schien für | |
einen Erfolg zu sprechen: eklatanter Problemdruck, optimistische | |
Regierungsankündigungen, eindringliche Appelle der | |
Nichtregierungsorganisationen, weltweites Medieninteresse und die Teilnahme | |
zahlreicher Staatschefs, die aus dem Treffen eine Art "G 120"-Gipfel | |
machten. | |
Doch so überraschend ist das Debakel nicht. Die Weltklimakonferenz lief | |
nicht zufällig nach dem gleichen Drehbuch ab wie die vierzehn | |
vorangegangenen Veranstaltungen seit 1995: im Vorfeld dramatische "Jetzt | |
oder nie"-Appelle, auf der Konferenz kleinkariertes und lähmendes | |
Gefeilsche mit peinlichen Resultaten und dem allfälligen Beschluss für eine | |
Folgekonferenz, als Nachspiel die gegenseitigen Schuldzuweisungen. Eine | |
Ausnahme - obgleich nur eine relative - war das Kioto-Protokoll von 1997, | |
das allerdings erst nach weiteren sechs Klimakonferenzen im Jahr 2005 in | |
Kraft treten konnte. Aber auch dieses Abkommen konnte ein weiteres | |
Ansteigen der Treibhausgasemissionen nicht verhindern. | |
Die Bilanz aller politischen Klimaschutzbemühungen der UN in den letzten | |
zwanzig Jahren - seit der "Our Common Future"-Konferenz 1990 in Norwegen - | |
ist deprimierend: Die Treibhausgasemissionen sind seitdem um 40 Prozent | |
gestiegen. Ergebnis der mühseligen und prinzipiell unvermeidlichen | |
Kompromissfindung auf UN-Konferenzen war letztlich eine Kompromittierung | |
der internationalen Klimapolitik. Die Klimadiplomatie ist zu einem | |
selbstreferenziellen System geworden, in dem die unabweisbare zentrale | |
Frage nicht gestellt wird: Ist mit den verfolgten Ansätzen jemals ein | |
befriedigendes Ergebnis zu erreichen? Und können UN-Weltkonferenzen über | |
eklatante Weltgefahren überhaupt etwas bewirken? Einen Monat vor dem | |
Debakel in Kopenhagen scheiterte auch der Welternährungsgipfel in Rom, | |
obwohl die Anzahl hungernder Menschen in den letzten zehn Jahren von 0,8 | |
auf 1,2 Milliarden gestiegen ist. | |
Eine Analyse der Gründe solch chronischen Scheiterns ist überfällig. | |
Angesichts jahrzehntelanger vergeblicher Bemühungen, "Global | |
Governance"-Standards mittels internationaler Vereinbarungen durchzusetzen, | |
verwies schon die Abschlusserklärung der "Weltkonferenz über nachhaltige | |
Entwicklung" 2002 in Johannesburg auf die Gefahr, dass die Menschen das | |
Vertrauen in ihre Regierungen verlieren und diese nur noch als "tönendes | |
Blech" wahrnehmen. | |
In Kopenhagen hat es nicht einmal zu solchem Blech gereicht. Sucht man | |
dafür einen Schuldigen, so empfiehlt sich ein Blick auf das Konzept der | |
Weltklimakonferenzen selbst. Das beruht auf zwei höchst fragwürdigen | |
Prämissen. Zum einen, dass für ein globales Problem auch eine globale | |
Vertragslösung mit relativ gleichwertigen Verpflichtungen erforderlich sei; | |
zum anderen, dass die notwendigen Maßnahmen zum Klimaschutz als | |
wirtschaftliche Last zu betrachten seien, weshalb eine faire | |
Lastenverteilung ausgehandelt werden müsse. Das läuft auf das Prinzip | |
hinaus: "Alle oder keiner". | |
Mittlerweile kann niemand mehr ernsthaft bezweifeln, dass eine massive | |
Ausweitung und zugleich Beschleunigung von Klimaschutzinitiativen zwingend | |
ist. Deshalb sind die wichtigsten Schritte prinzipiell unstrittig: die | |
beschleunigte Mobilisierung erneuerbarer Energien und die Förderung der | |
Energieeffizienz. Darüber hinaus gilt es, weitere Humuserosionen und | |
Waldrodungen zu verhindern und stattdessen neues Humuspotenzial aufzubauen | |
und großflächig aufzuforsten, um CO(2) aus der Atmosphäre zurückzuholen. | |
Der große Konsens dauert zu lang | |
All diese Maßnahmen müssen möglichst schnell angepackt werden. Der Versuch, | |
einen internationalen Handlungskonsens zu erreichen, ist aber der | |
langsamste Entscheidungsweg. Zwischen Beschleunigung und Konsens besteht | |
ein unüberbrückbarer Widerspruch. Das ist der Grund, warum Klimakonferenzen | |
mit dem Ziel eines Weltabkommens die Klimapolitik mehr lähmen als | |
voranbringen. Ihr heimliches Motto ist: "Global reden, national | |
aufschieben." | |
Ein Konsens hin zu einem verbindlichen und mittels Sanktionen | |
durchsetzbaren internationalen Abkommen ist umso schwerer erreichbar, je | |
stärker und vielfältiger die wirtschaftlichen und sozialen Strukturen der | |
einzelnen Länder unmittelbar berührt werden. Im Montrealer Protokoll von | |
1987 zum Schutz der Ozonschicht, das als Beispiel für eine erfolgreiche | |
globale Umweltpolitik gilt, war deshalb der Lösungsansatz noch einfach. Es | |
verbot lediglich den Einsatz von Fluorchlorkohlenwasserstoffen (FCKW) in | |
Kühlsystemen. Dies betraf nur eine Produktkomponente einer Branche, ohne | |
einzelne Unternehmen zu gefährden, weil alle demselben Verbot unterlagen. | |
Dennoch dauerte es mehr als zehn Jahre, bis das Abkommen zustande kam. | |
Ein internationaler Vertrag über ein globales Regime, der alle Wirtschafts- | |
und Konsumweisen in höchst unterschiedlicher Weise betrifft, ist unendlich | |
viel komplexer und streithaltiger. Das ist bei Energiefragen zwangsläufig | |
der Fall: Betroffen sind Industrieländer, Schwellenländer, | |
Entwicklungsländer; Energieexport- wie -importländer; Regionen mit den | |
unterschiedlichsten Siedlungsbedingungen, geografischen Verhältnissen, | |
wirtschaftlichen Strukturen und technologischen Profilen. Solche | |
unterschiedlichen Interessen kann kein Appell an die Verantwortung und den | |
guten Willen der Regierungen zum Verschwinden bringen. | |
Kurzum: Ein substanzieller Vertrag mit gleichen Verpflichtungen kann schon | |
deshalb nicht zustande kommen, weil die Verhältnisse zu ungleich sind. | |
Bestenfalls ist ein Konsens über Mindestverpflichtungen denkbar, die | |
gemessen an der akuten Klimagefahr immer zu niedrig ausfallen werden. Aber | |
selbst ein solcher Minimalkonsens ist nur sehr schwer erreichbar, wie eine | |
Weltklimakonferenz nach der anderen demonstriert hat. | |
Auf der letzten in Kopenhagen ging es ohnehin nur noch um ein | |
Verhandlungsziel, das bereits eine Teilkapitulation vor der drohenden | |
Katastrophe darstellt: Die Klimagasemissionen sollten nur so begrenzt | |
werden, dass die Erwärmung der Erdatmosphäre - ausgehend vom Beginn des | |
Industriezeitalters - nicht über 2 Grad Celsius hinausgehen soll. Damit | |
wird eine weitere Zuspitzung der Klimagefahren (von gegenwärtig 385 ppm | |
CO(2)-Anteilen in der Atmosphäre auf 450 ppm) in Kauf genommen. | |
Den Skandal kann eine Analogie verdeutlichen. Im Jahr 2000 veröffentlichte | |
die UN ihre Millenniumsziele, die unter anderem vorsahen, die Zahl | |
hungernder Menschen von damals 800 Millionen bis 2015 zu halbieren. Wie | |
hätte die Weltöffentlichkeit reagiert, wenn die UN stattdessen als | |
Millenniumsziel ausgerufen hätte, die Anzahl der hungernden Menschen nicht | |
auf über zwei Milliarden anwachsen zu lassen? Ein solcher Zynismus war aber | |
die Vorgabe für Kopenhagen, wo man sich nicht einmal auf dieses | |
fatalistische Ziel einigen konnte. | |
Dass eine unvermeidbar langwierige Konsenssuche allenfalls mit einem | |
Minimalkompromiss endet, ist aber nicht das einzige Problem. Pragmatisch | |
gesehen ist das ja immer noch besser als nichts, weil es theoretisch jedem | |
Land freisteht, über die vereinbarte Minimalverpflichtung hinauszugehen. In | |
der Klimafrage wird diese Möglichkeit allerdings schon durch die | |
Instrumente verhindert, die die Umsetzung des Vertragsziels gewährleisten | |
sollen: Emissionshandel und dazugehöriger "Cap and Trade"-Mechanismus. Das | |
bedeutet: Die jedem Land im Rahmen der jeweiligen Mindestverpflichtung | |
zugeteilten Emissionszertifikate sind international handelbar. Wer also | |
mehr emittiert, als ihm erlaubt ist, darf sich dafür Emissionsrechte bei | |
anderen kaufen, die weniger emittieren, als ihnen zugestanden wird. | |
Dieser "marktwirtschaftliche" Ansatz erfordert globale Kontrollen gegenüber | |
Missbräuchen, die aber kaum funktionsfähige sind, und läuft auch auf ein | |
Nullsummenspiel hinaus: Die Summe aller globalen Klimagasemissionen ist | |
identisch mit der Mindestverpflichtung. Dieses Minimum wird damit zum | |
praktischen Maximum. Das als effektiv und alternativlos gepriesene Konzept | |
des globalen Markts für Emissionszertifikate setzt tatsächlich den | |
wirtschaftlichen Anreiz, nicht über dieses Minimum hinauszugehen. Die | |
Absurdität des "Cap and Trade" besteht darin, dass es verhindert, der | |
Klimagefahr mit der nötigen Wirksamkeit entgegenzutreten. Selbst wenn doch | |
noch ein Klimaschutzvertrag zustande käme, würde das die Eskalation der | |
Klimakatastrophe in den nächsten Jahrzenten allenfalls geringfügig | |
verlangsamen, aber nicht wirklich aufhalten. | |
Die Marktlösung beinhaltet ein weiteres Problem. Da die Preise auf dem | |
CO(2)-Zertifikatemarkt schwanken, kann man sie mittelfristig schwer | |
kalkulieren. Das wird zum Hemmnis vieler Klimaschutzinvestitionen. Um | |
dieses Manko zu überwinden, haben der französische Staatspräsident Sarkozy | |
und einige wirtschaftswissenschaftliche Institute vorgeschlagen, weltweit | |
einen Einheitspreis für CO(2)-Zertifikate festzulegen. Aber auch dieser | |
Ansatz würde nichts daran ändern, dass die Summe aller | |
Klimaschutzinvestitionen über die Mindestverpflichtung nicht hinausgeht. | |
Dies zeigt: Der internationale CO(2)-Zertifikatenhandel ist nicht der | |
Königsweg zu einer globalen Klimaschutzökonomie, sondern im Gegenteil eine | |
veritable Straßensperre. | |
Auf die Idee, alle Klimaschutzinitiativen auf einen globalen | |
wirtschaftlichen Nenner bringen zu wollen, konnte nur die neoliberale | |
Denkschule kommen. Ihr auf den Markt fixiertes Denken blendet alle weiteren | |
Motive - zum Beispiel entwicklungspolitische und ethische - systematisch | |
aus. Hinzu kommt, dass der Emissionshandel das Energieproblem auf das | |
CO(2)-Problem reduziert, als wäre das gegenwärtige Weltenergiesystem ohne | |
Emissionen in Ordnung. Alle sonstigen Gründe, die für eine schnelle | |
Umsteuerung auf erneuerbare Energien und eine Steigerung der | |
Energieeffizienz sprechen, werden ausgeklammert oder für zweitrangig | |
erklärt. | |
Jeder Durchbruch braucht Pioniere | |
Das gilt etwa für das Ziel, die Abhängigkeit von sich erschöpfenden und | |
laufend verteuernden fossilen Energieressourcen rechtzeitig zu überwinden, | |
oder gesundheitsgefährdende Luftschadstoffe zu vermeiden oder | |
regionalwirtschaftliche Aktivitäten durch die Chance autonomer | |
Energieversorgung zu fördern und damit die Produktivität im Sinne einer | |
mittel- und langfristigen Zukunftsvorsorge zu verbessern. All diese Motive | |
sprechen dafür, einen energiepolitischen Paradigmenwechsel, der auf | |
erneuerbare Energien und Energieeffizienzsteigerung setzt, unabhängig vom | |
Ergebnis von Klimaschutzverträgen voranzutreiben. | |
Die volkswirtschaftlichen Vorteile eines solchen Politikwechsels liegen auf | |
der Hand. Sie bringen allerdings nie gleiche und gleichzeitige Vorteile für | |
alle Produzenten und Konsumenten. Deshalb gilt es, politische | |
Rahmenbedingungen für Anreize zu schaffen, die auf die unterschiedlichen | |
Verhältnisse in den einzelnen Ländern abgestimmt sein müssen. Genau das | |
aber ist unvereinbar mit einem globalwirtschaftlichen Marktmodell für | |
CO2-Zertifikate. | |
Die große und historisch unaufschiebbare Wende zu erneuerbaren Energien und | |
zur Energieeffizienzsteigerung bedarf einer zielgerichtet eingeleiteten | |
technologischen Revolution. Keine der technologischen Revolutionen der | |
industriellen Neuzeit war das Ergebnis eines internationalen Vertrags mit | |
weltweit quotierten Einführungsmengen, man denke nur an die immer weiter | |
gehende IT-Revolution. Für jeden Durchbruch sorgte ein Vorreiter, der einen | |
breiten Sog erzeugte. | |
Die Konzeptfalle der gegenwärtigen Weltklimapolitik besteht in dem | |
ausweglosen Versuch, einen internationalen Gleichschritt organisieren zu | |
wollen. Und dies absurderweise im Rahmen einer planwirtschaftlich gesetzten | |
Mindestgrenze, innerhalb der ein wirtschaftsliberales Marktmodell für | |
CO(2)-Emissionszertifikate wirken soll. Dieser Widerspruch rührt von der | |
falschen Grundannahme, dass die Energiewende eine volkswirtschaftliche Last | |
sei. In Wahrheit stellt sie eine großartige und globale wirtschaftliche | |
Chance dar. | |
Deshalb gibt es keinen überzeugenden Grund, auf einen internationalen | |
Klimaschutzvertrag zu warten. Diese Haltung der einzelnen Regierungen | |
entspringt vor allem der Absicht, die Produzenten klimaschädigender Energie | |
im eigenen Land so weit wie möglich zu schützen. Oder aus dem fehlenden | |
Mut, den mit der Energiewende verbundenen Strukturwandel auch gegen die | |
Interessen der konventionellen Energieunternehmen einzuleiten, weshalb man | |
als Entscheidungskrücke einen internationalen Vertrag braucht. | |
Wenn Weltklimakonferenzen etwas bewirken wollen, müssen sie sich andere | |
Themen vornehmen. An Beispielen ist kein Mangel. Warum spricht man nicht | |
über die Beseitigung der Handelsschranken und die Einführung einheitlicher | |
industrieller Normen für die neuen Energietechnologien? Weitere Themen | |
wären ein neuer Fonds für entsprechende Investitionen in | |
Entwicklungsländern, gespeist aus einer globalen Flugtreibstoffsteuer, oder | |
zinsfreie Kredite für Energieinvestitionen der Entwicklungsländer, und | |
nicht zuletzt die Frage, wie man die jüngst gegründete internationale | |
Agentur für erneuerbare Energien (Irena) wirksam und zügig ausbauen kann. | |
© Le Monde diplomatique, Berlin | |
18 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Hermann Scheer | |
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