# taz.de -- Deichkind-DJ über Band-Operette: "Deichkind ist wie eine Toilette" | |
> Die Hamburger Electro-HipHopper Deichkind stehen auf der Theaterbühne. | |
> Bei der Diskurs-Operette "Deichkind in Müll" geht es um "Starkult und | |
> Entertainment". | |
Bild: "Stümper, von den Kostümen bis zur Bühnendeko": Die Hamburger Band Dei… | |
taz: Herr Besser, warum macht Deichkind jetzt Theater? | |
Henning Besser: Letztendlich ist das ein Weiterdrehen der Ideen, die wir in | |
den letzten Jahren ausgearbeitet haben. Mit der Bühne arbeiten und | |
Performance machen - das ist ja auch das, was wir bei den Konzerten tun. | |
Ich spreche da immer von einem erweiterten Konzertbegriff. Beim Theater ist | |
man freier in der Gestaltung, die Grenzen sind anders. | |
Kann Deichkind das überhaupt? | |
Nö, aber wir machens trotzdem. Wir können auch keine Musik machen und tun | |
es trotzdem. Das Stümpertum ist bei Deichkind tief verhaftet. Wir haben | |
aber auch Leute dabei, die sich mit diesen Dingen schon beschäftigt haben. | |
Zum Beispiel Ted Gaier, mit dem ich Regie geführt habe. | |
Worum geht es denn in dem Stück "Deichkind in Müll"? | |
Es geht um eine Hinterfragung, eine Untersuchung der Band mit theatralen | |
Mitteln. Das Konzert ist etwas produktschaffendes, das Theaterstück eine | |
Reflexion dessen. Die Beschäftigung mit uns selber. Wir möchten das | |
Phänomen Deichkind begreifen. | |
Und was haben Sie über sich herausgefunden? | |
Wir haben als Künstler den Anspruch, Allgemeingültigkeit herzustellen. | |
Popkultur, Hierarchie, Macht - das sind die Themen, die aus unserer Sicht | |
beschrieben werden … Überhaupt: Deichkind hat auch in den Konzerten einen | |
stark untersuchenden Charakter. Vieles kann man bei einem Konzert aber | |
nicht zeigen, weil das Format es nicht hergibt. Auf einer Theaterbühne | |
lässt sich mehr erkennbar machen … | |
Das wäre? | |
Wir können den Fokus auf einzelne Dinge setzten. Eine Bühnenshow hat die | |
Funktion sechs-, siebentausend Menschen zu begeistern. Wir sprechen viele | |
unterschiedliche Sinne gleichzeitig an. Der eine hüpft wild, der nächste | |
schaut nur zu. Deichkind ist auch für uns nicht immer nachvollziehbar, weil | |
sich vieles vermischt. Das ist auch eine Art Dekonstruktion, und das | |
wiederum ist der Charakter meines künstlerischen Schaffens. | |
Dekonstruktion? Oder sollte man besser sagen: Selbstdarstellung? | |
Bei Deichkind wirst du nie verstehen, wo wir kokettieren und wo wir etwas | |
bewusst machen, wo wir selbstreflektiert sind und wo wir nur vorgeben, es | |
zu sein. | |
Wie ist die Idee entstanden, ein Theaterstück zu machen? | |
Freunde, die unsere Musikvideos drehen, haben das Projekt zusammen mit | |
Kampnagel entwickelt. Das Ganze wurde dann zweimal verschoben, aufgrund des | |
Ausstiegs von Buddy aus der Band und des Todes unseres Produzenten Sebi | |
letzten Jahres. | |
Deichkind ist von einer kleinen, unbekannten HipHop-Band zu einem | |
Massenphänomen geworden. Was machen Sie heute anders als früher? | |
Wir machen nichts anders. Was sich konkret verändert hat: Wir sind mehr | |
Leute geworden. Man kann von einer Professionalisierung sprechen, die man | |
so aber auch nicht nennen kann. Wir haben keine Leute eingestellt, die | |
alles für uns machen. Wir haben nach wie vor eine freundschaftliche, | |
klöterige Zusammenarbeit. Wir sind ein Projekt der Massen- und | |
Mainstreamkultur. Aber wir sind Stümper, von den Kostümen bis zur | |
Bühnendeko. | |
Apropos Kostüme. Warum inszeniert sich Deichkind in Müll? | |
Müll ist etwas Großartiges. Wir fragen uns: Wo siehst du den Wert? Was ist | |
wertvoll? Das ist das Schöne an Müll, der eine schmeißt ein Teil weg, der | |
nächste findet es geil, eine Art demokratische Gesellschaftsform ist das. | |
Wie erklären Sie sich selbst den Deichkind-Kult? | |
Du kannst vieles in Deichkind reinlesen, jeder liest da was anderes. Wir | |
befriedigen viele Bedürfnisse. Deichkind ist wie eine Toilette, ein Gefäß | |
das für jeden formbar ist, die so aussieht wie du sie haben möchtest. Es | |
gibt in unserer Gesellschaft auch das Bedürfnis abzuschalten, sich aus dem | |
Alltag zu entfernen. Aber: Kein Abschalten mit Scheiße. | |
Ihre Fans sind ja größtenteils Jugendliche … | |
Nein, das stimmt nicht. Das Durchschnittsalter unserer Fans ist 24, das hat | |
eine Fan-Befragung ergeben. Der älteste, der mitgemacht hat, ist 55 | |
gewesen. | |
Eigentlich wollte ich fragen, ob Sie mit dem Stück Jüngere ans Theater | |
heranführen wollen? | |
Für mich spielt das keine Rolle. Aber natürlich haben die Theaterstätten | |
ein Interesse daran, den Nachwuchs fürs Theater zu begeistern. | |
Ziehen Sie sich danach endgültig zurück? | |
Ja. - Naja, wir haben entschieden, dass wir uns nicht festlegen, wir | |
arbeiten ins Blaue und gucken was passiert. Bestimmt wird auch neue Musik | |
entstehen. Dieses Jahr spielen wir noch auf drei Festivals, dann wird man | |
uns aber mindestens ein Jahr nicht auf einer Bühne sehen. | |
23 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Ute Brade | |
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