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# taz.de -- Kunstwerke: Gigantisches Untergrund-Museum
> 215 der 468 New Yorker U-Bahn-Stationen sind mit hochkarätigen Werken
> bestückt. Eintritt: 2,25 Dollar
Bild: U-Bahn-Station Times Square: Gemälde von Roy Lichtenstein
Es wäre völlig unmöglich, hier stehen zu bleiben und innezuhalten. Der
unaufhaltsame Strom von Pendlern, der den Treppenabgang vom Bahnsteig der
Linie 1 zu den tiefer liegenden Anschlusslinien hinunterdrängt, würde einen
unweigerlich mit sich reißen. Wenn man das neue wandgroße Mosaik in der
U-Bahn-Station am Columbus Circle betrachten will, muss man das deshalb
zwangsläufig en passant aus dem Augenwinkel tun. Dabei ist es ein Werk, auf
das jedes Museum der Welt stolz wäre. Die Wirbel und Strudel aus bunten
Kacheln, die trefflich die Energie der hetzenden Masse widerspiegeln,
stammen von dem Minimalisten Sol Le Witt. Kurz vor seinem Tod 2007 hat er
die Installation für die New Yorker U-Bahn noch entworfen.
Nur wenige Blocks entfernt im Museum of Modern Art stehen die Besucher
andächtig mit ihrem Audio-Führer vor den Sol- Le-Witt-Skulpturen und
meditieren die Komposition seiner Farbpalette. Hier, in der U-Bahn, würdigt
jedoch kaum jemand sein Werk eines Blickes. Jeder ist in seiner eigenen
Trance, bahnt sich wie ferngesteuert die tausendfach verinnerlichten Wege
durch das Getümmel, den iPod auf den Ohren, den Blick starr nach vorne
gerichtet. "Es ist wirklich tragisch", sagt Jan Lakin, an die Klinkerwand
der Station gedrängt, damit niemand über sie stolpert. Schon seit vielen
Jahren ärgert sich die 50 Jahre alte Autorin, dass dieser Schatz vor aller
Augen meistens unbeachtet bleibt. 215 der 468 New Yorker Stationen sind mit
hochkarätigen Werken bestückt, und Sol Le Witt ist bei weitem nicht der
einzige Künstler von Weltrang. Elizabeth Murray hat einen Bahnhof
gestaltet, Roy Liechtenstein, Maya Lin, Romare Bearden, Robert Wilson und
Faith Ringgold. Doch die wenigsten New Yorker wissen überhaupt davon - von
Besuchern ganz zu schweigen. Lakin hat sich deshalb dem Projekt
verschrieben, die New Yorker aus ihrer hermetischen Entrücktheit
herauszulocken und auf die Schätze in ihrem U-Bahn-Netz aufmerksam zu
machen. Sie arbeitet an einem Führer zu diesem unterirdischen Kunstschatz,
der zusammengenommen ein Museum von Weltrang ausmachen würde.
"Double Take" soll der Guide von Jan Lakin heißen - zweimal hingeschaut.
Das Kunstprojekt der New Yorker U-Bahn-Gesellschaft ist einmalig auf der
Welt. Keine Metropole hat etwas Vergleichbares. 31 Milliarden Dollar hat
die Stadt seit 1980 ausgegeben, um Haltestelle für Haltestelle des damals
völlig maroden U-Bahnnetzes zu sanieren und den einstigen Prunk und Glanz
der 1904 eröffneten Subway zurückzubringen. Und bei jeder sanierten
Station, so wollte es ein Gesetz von 1982, musste ein Prozent des
Baubudgets für Kunst ausgegeben werden. So entstand das heutige gigantische
Untergrund- Museum, das 24 Stunden am Tag geöffnet hat, nur 2,25 Dollar
Eintritt kostet und das nur darauf wartet, erkundet zu werden.
Jan Lakins Begeisterung für die Subway-Kunst wurde 1996 geweckt, als die
U-Bahn-Gesellschaft sie anheuerte, um die Enthüllung einer Reihe neuer
Werke zu publizieren. Damals lernte sie den Künstler Ralph Fasanella
kennen, der schon sein Leben lang in naiv-realistischem, aber zugleich
poetischem Stil das Straßenleben von New York malte. Für das "Arts for
Transit"-Programm der U-Bahn stiftete der Künstler ein Bild mit Menschen in
der U-Bahn. "Durch das Bild von Fasanella wurde mir damals klar, wie genial
die Idee der U-Bahn-Kunst ist", sagt Lakin, während wir an der 53. Straße
das in die Wand am Bahnsteig eingelassene Gemälde von Fasanella betrachten,
auf dem ein buntes Gemisch von New Yorkern nebeneinander in einem Wagon
sitzen. In der U-Bahn, so die Botschaft von Fasanella, wird die Seele von
New York so greifbar wie nirgendwo anders. "Die U-Bahn verkörpert das
demokratische Ideal dieser Stadt", sagt Lakin. "Sie macht uns gleich, wie
sonst nichts. Und den Menschen dieser Stadt zum Fahrpreis ihres
U-Bahn-Tickets Kunst zu schenken, entstammt genau demselben
demokratisch-egalitären Gedanken."
Am Times Square etwa laufen hunderttausende von Menschen täglich unter
einem Mural von Roy Liechtenstein hindurch, ohne es zu wissen. Aber es gibt
auch Bahnhöfe, wo die Kunst den täglichen Weg durch den Untergrund für die
Menschen positiv verändert, ohne dass sie die Kunst studieren müssen. An
der 59. Straße etwa hat die Malerin Elizabeth Murray, die erst vor drei
Jahren eine Solo-Werkschau im MoMA hatte, einen kompletten Durchgangsraum
mit einem Pop-Art-haften Mosaik ausgestaltet. In frohen Farben schweben
dort jetzt Schuhe und Kaffeetassen durch den Raum - eine Anspielung auf die
tägliche Fahrt zu Arbeit.
Selbst wenn man die Wände hier nie genau betrachtet, ist diese ansonsten
furchtbar bedrückende Passage spürbar freundlicher als zuvor. Und der
New-York-Times-Kunstkritiker David Dunlap berichtete in einem Artikel
davon, wie die kleinen lustigen Bronzefiguren von Tom Otterness in der
Station unter der 14. Straße ihn nach seiner wöchentlichen Chemotherapie
aufgemuntert haben. "Dieses kleine Männchen, das da auf einer Bank saß,
verkörperte so viele Dinge, die ich damals brauchte. Er war ruhig,
geduldig, vertrauenserweckend und tapfer. Und vor allem brachte er mich zum
Schmunzeln." Eine schönere Kritik hatte Otterness wahrscheinlich nie
bekommen.
25 Feb 2010
## AUTOREN
Sebastian Moll
## TAGS
Reiseland USA
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