# taz.de -- Der öffentliche Dienst: Das Sahnestück ist längst verputzt | |
> Weniger Beschäftigte, weniger Sicherheit, weniger Geld: Der öffentliche | |
> Dienst ist schon längst nicht mehr ein Hort beschäftigungspolitischer | |
> Glückseligkeit. | |
Bild: Weitere Streiks wird es vermulich vorerst nicht geben. | |
BERLIN taz | Die Tarifbeschäftigten des öffentlichen Dienstes in Bund und | |
Kommunen sollen eine Gehaltssteigerung in drei Stufen erhalten – so lautet | |
der Schlichterspruch, der am Donnerstag Arbeitgebern und Gewerkschaften | |
vorgelegt wurde. | |
Bei den Tarifverhandlungen stand die Arbeitnehmerseite, organisiert in der | |
Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und im Deutschen Beamtenbund, angesichts | |
der Debatten um Staatsschulden, Steuersenkungen und die erschreckend leeren | |
Kassen der Kommunen unter besonderem Rechtfertigungsdruck. Nicht nur weil | |
der Bund auf rund einer Billion und die Kommunen auf rund 110 Milliarden | |
Euro Schulden sitzen, mahnten die Arbeitgeber - die Vereinigung kommunaler | |
Arbeitgeberverbände und das Innenministerium - eindringlich zur | |
Lohnzurückhaltung. | |
Nach landläufiger Meinung gilt der öffentliche Dienst immer noch als | |
"Sahnestück" auf dem Arbeitsmark: Dort werde gut bezahlt und der | |
Arbeitsplatz sei ein Leben lang sicher. Mag das für die Beamten noch immer | |
zutreffen, kommen die Tarifbeschäftigten nur mit Einschränkungen in den | |
Genuss eines besonderen Kündigungsschutzes. Und das auch nur in | |
Westdeutschland. Allzu üppig fällt der Lohn der Tarifbeschäftigten auch | |
nicht aus - durchschnittlich 2.430 Euro brutto verdienen Angestellte im | |
Bund, 2.500 Euro Angestellte in den Kommunen. | |
"Einmal eingestellt und für immer im öffentlichen Dienst? Das ist schon | |
lange nicht mehr so", sagt Robert Renk, Verwaltungsfachangestellter im | |
Jobcenter Flensburg. Zuvor war er beim Landkreis Schleswig-Flensburg | |
beschäftigt, einer von bundesweit 69 "Optionskommunen", in denen sich | |
allein die kommunalen Verwaltungen um Arbeitslose kümmern. | |
"Rund 70 Prozent meiner Kollegen wurden dort nur Zeitverträge gegeben, die | |
hängen seit Jahren in der Luft", berichtet Renk. Auch die | |
Sozialwissenschaftler Markus Tepe und Daniela Kroos, die für die | |
Hans-Böckler-Stiftung Arbeitsverhältnisse im öffentlichen Dienst untersucht | |
haben, stellen fest, dass dort die Befristungsquote mit 13,1 Prozent | |
"deutlich höher" liege als in der Privatwirtschaft mit 7,4 Prozent. | |
Renk hatte Glück: Der 40-Jährige konnte von der Optionskommune zum | |
Jobcenter Flensburg auf eine unbefristete Vollzeitstelle wechseln. 3.000 | |
Euro Brutto verdient er dort. Er prüft Kontoauszüge, forscht nach Vermögen, | |
rechnet unregelmäßige Einkommen an und muss festlegen, wie viel Geld | |
Arbeitslose zum Leben bekommen. | |
"Der Leistungsdruck ist hoch, alles soll korrekt sein. Bei Neueinstellungen | |
wird um jede halbe Stunde Arbeitszeit gefeilscht", erzählt Renk. Er selbst | |
betreut insgesamt 210 sogenannte Bedarfsgemeinschaften, manche Kollegen | |
haben weitaus mehr Fälle auf dem Schreibtisch. | |
Dass in den Jobcentern längst nicht alles korrekt läuft, ist allgemein | |
bekannt: Im vergangenen Jahr musste die Bundesagentur für Arbeit 300.000 | |
Bescheide korrigieren, rund jedem dritten Widerspruch wurde stattgegeben. | |
Um Arbeitslose besser zu betreuen, sie zu fördern statt nur zu fordern, | |
bedürfe "es weitaus mehr Personal", meint Renk. | |
Doch statt auf- wird abgebaut: Seit Mitte der Neunzigerjahre ist in | |
Deutschland die Zahl der Beschäftigten im öffentlichen Dienst um rund 20 | |
Prozent geschrumpft. Vor allem im einfachen Dienst sind ganze | |
Beschäftigungssparten wie beispielsweise Reinigungsdienste outgesourct | |
worden. Heute arbeiten noch 149.000 Tarifbeschäftigte für den Bund, 1,85 | |
Millionen für die Kommunen. Hinzu kommen 359.517 Beamte im Bund und 183.535 | |
in den Kommunen, deren Besoldung gesondert und gesetzlich geregelt wird. | |
Auch die Ausrichtung des öffentlichen Dienstes hat sich grundlegend | |
gewandelt. Seit den Neunzigerjahren orientiert sich die Personalführung an | |
Effizienzkriterien der Privatwirtschaft. Seither werde "in vielen | |
Bereichen" des öffentlichen Dienstes "von einer Verschlechterung der | |
Arbeitsbedingungen und einer stark gestiegenen Arbeitsintensität" | |
berichtet, stellen Tepe und Kroos fest. | |
Die Liste der Einschränkungen, die die Tarifbeschäftigten in den | |
vergangenen Jahren hinnehmen mussten, ist lang: Nicht nur dass die | |
Inflation seit 1989 alle Reallohnerhöhungen aufgefressen hat. Gestrichen | |
wurden auch das Urlaubsgeld und familienbezogene Leistungen, deutlich | |
gekürzt das Weihnachtsgeld. | |
Trotzdem fordern fast alle Parteien: Am öffentlichen Dienst muss gespart | |
werden. Gleichzeitig erwarten die Bürger wie selbstverständlich - das | |
zeigen nicht zuletzt die Debatte um das Schneeräumen oder das Entsetzen, | |
wenn Jugendämter wieder einmal eine Kindesmisshandlung zu spät bemerken -, | |
dass die öffentlichen Dienstleistungen funktionieren. | |
Auch Klaus Torp arbeitet in einem Bereich, der perfekt funktionieren muss. | |
Er ist Lebensmittelkontrolleur der Stadt Flensburg. Torp muss nicht nur | |
dafür sorgen, dass verdorbene Nahrungsmittel nicht auf den Tellern landen, | |
er kontrolliert auch Kosmetikprodukte oder Kleidung auf Schadstoffe. | |
"Ich bin für 400 Betriebe zuständig, das geht noch, aber manche Kollegen | |
müssen über 1.000 abdecken. Da können Sie sich vorstellen, dass mal etwas | |
durchrutscht", erzählt er. Zumal die Anforderungen komplizierter würden: | |
"Der Lebensmittelmarkt mit den Nahrungsergänzungsmitteln wächst | |
unaufhaltsam, wir müssen uns ständig weiterbilden." | |
Doch mit Betriebskontrollen und Probeentnahmen ist es nicht getan. Torp | |
muss sich auch auskennen mit EU-Verordnungen und dem Ordnungsrecht, denn er | |
entscheidet, ob ein Betrieb geschlossen und ein Bußgeldbescheid erstellt | |
wird. | |
Das ist viel Verantwortung. Bis er die übernehmen konnte, musste er eine | |
siebenjährige Ausbildung absolvieren. Mittlerweile ist Torp in der letzten | |
Gehaltsstufe angelangt: Mehr als 3.200 Euro brutto monatlich wird der | |
49-Jährige nicht mehr verdienen. | |
Bei den Tarifverhandlungen geht es ihm allerdings weniger um den eigenen | |
Geldbeutel als die Sorge, ob nicht bald der Nachwuchs fehlt: "In den | |
nächsten fünf Jahren gehen rund 20 Prozent der Kollegen im Bundesgebiet in | |
Rente oder Pension, wir haben großen Bedarf an Leuten. Aber guter Nachwuchs | |
möchte auch gut bezahlt werden", sagt Torp. | |
Doch gerade daran hakt es, wie er vorrechnet: Mit der Umstellung des | |
Bundesangestelltentarifvertrags auf den Tarifvertrag Öffentlicher Dienst im | |
Jahr 2005 sei eine Gehaltsstufe gestrichen worden. Jetzt gehe ein neuer | |
Kollege, der verheiratet ist, nach sieben Jahren Ausbildung mit 1.700 Euro | |
nach Hause. "Stellen Sie sich vor, der oder die hat zwei Kinder, das reicht | |
einfach nicht", sagt Torp. | |
Tatsächlich scheint der öffentliche Dienst der Privatwirtschaft beim "Kampf | |
um die besten Köpfe" unterlegen. Bereits für die nächsten zehn Jahre | |
prophezeit die Robert-Bosch-Stiftung dem öffentlichen Dienst | |
Personalmangel. Rund ein Drittel der Mitarbeiter werde in den kommenden | |
Jahren in den Ruhestand gehen. Personalchefs berichten schon heute davon, | |
wie schwer es ist, geeigneten Nachwuchs zu finden. Nicht zuletzt weil die | |
Löhne in der deutschen Wirtschaft Ver.di zufolge zwischen 2000 und 2009 um | |
5 Prozent stärker gestiegen sind als im öffentlichen Dienst. | |
Tepe und Kroos zeichnen jedoch ein etwas differenzierteres Bild: Demnach | |
hätten vor allem Frauen in Ost- und Westdeutschland "bis in hohe | |
Einkommensbereiche" im öffentlichen Dienst "bessere Verdienstchancen als in | |
der Privatwirtschaft". Auch Personen mit geringeren Qualifikationen | |
verdienten im Schnitt mehr als auf dem freien Markt. | |
Die Kehrseite: Westdeutsche Männer müssten "beachtliche prozentuale | |
Lohnnachteile" in Kauf nehmen. So verdient demnach ein Ingenieur im | |
öffentlichen Dienst 1.500 Euro und ein Betriebswirt 1.300 Euro weniger als | |
in der Privatwirtschaft. | |
Mit wenig Geld musste auch Maria Höcher in den zwei Jahren ihrer Ausbildung | |
zur Zollbeamtin vorliebnehmen. Rund 700 Euro waren es damals, heute | |
verdient die 27-Jährige 2.000 Euro brutto. | |
Am Frankfurter Flughafen prüft sie, ob bei der Ein- und Ausfuhr von Waren | |
Produktpiraterie vorliegt, ob der Artenschutz verletzt oder Drogen | |
transportiert werden. Wegen der chronischen Unterbesetzung - der | |
Gewerkschaft zufolge fehlen am Flughafen rund 170 Zollbeamte - muss Höcher | |
schon mal zehn oder zwölf Tage am Stück arbeiten oder vom einen auf den | |
anderen Tag von Spät- auf Frühdienst umschalten. | |
Die Vernachlässigung des öffentlichen Dienstes ärgert sie: "Durch unsere | |
Arbeit nimmt der Bund jährlich bis zu 100 Milliarden Euro ein. Hätten wir | |
mehr Personal, könnte es noch mehr sein." Den Vorwurf, der öffentliche | |
Dienst fordere zu viel, weist sie zurück: "Wir sollen sparen, doch für | |
Steuergeschenke ist genug Geld da. Die Gesellschaft muss sich überlegen, | |
welchen öffentlichen Dienst sie will." | |
26 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Eva Völpel | |
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