# taz.de -- Am Nagel der Welt: New York: Die Welthauptstadt makelloser Nägel | |
> Die Koreanerin Jihee Kim hat den ersten und einzigen 24-Stunden-Salon der | |
> Stadt eröffnet. Nicht einmal die Wirtschaftskrise konnte sie stoppen. | |
Bild: Der King of Pop auf dem Nagel, New York | |
Die Uhr am Campanile des Metropolitan Life Buildings zeigt 5:15. Die | |
angestrahlte Spitze des Turms leuchtet immer goldener aus dem schon fast | |
schwarzen Winterhimmel über New York. Unten auf der Madison Avenue Ecke 28. | |
Straße glimmt das ewige Kunstlicht des Hair Twenty-Four Salon aus großen | |
Fenstern in den Abend, angefacht von tausend Spiegeln. Eine Welle | |
parfümierter Wärme schlägt einem beim Betreten des Ladens entgegen. Zu | |
dieser Stunde wollen die meisten Frauen eine Maniküre und Pediküre, zu der | |
auch eine Hand- und Fußmassage gehört. | |
An fünf kleinen, mit violetten Orchideen dekorierten Tischchen überlassen | |
die Kundinnen ihre Hände mit passiver, unweigerlich herablassend wirkender | |
Geste den schweigenden koreanischen Mädchen zur Maniküre. Eine junge Frau | |
hat sich nach ihrem langen Arbeitstag auf einem der dick gepolsterten | |
Pediküresessel ausgestreckt und lässt sich die Fußnägel burgunderrot | |
lackieren, wie jeden Donnerstag. Zur Maniküre kommt Lidsay Arthurs, die nur | |
ein paar Straßen weiter wohnt, sogar oft zweimal pro Woche: „Ich mache | |
Marketing für eine Wodkafirma und serviere gelegentlich auch Martinis, da | |
müssen die Hände gut aussehen“, erklärt sie. Nirgendwo auf der Welt gehör… | |
perfekt gefeilte und lackierte Fingernägel so zum gepflegten | |
Erscheinungsbild wie in den USA. | |
In Seoul erlangte Jihee Kim vor 14 Jahren mit ihren rund um die Uhr | |
geöffneten Haar- und Nagelsalon sofortigen Ruhm, doch sie träumte immer nur | |
von Manhattan, der Welthauptstadt der makellosen Nägel: „Ich war schon | |
immer ehrgeizig“, sagt sie. Vor fünf Jahren übergab sie ihr florierendes | |
Geschäft einer vertrauenswürdigen Managerin und zog nach New York. Jihee, | |
die sich als unglückliches Adoptivkind schon früh in die Glamourwelt von | |
Hair & Make-up flüchtete, studierte Kosmetik an einem bekannten Institut an | |
der Fifth Avenue. In jeder freien Minute durchstreifte sie Manhattan auf | |
der Suche nach einem geeigneten Standort für den ersten und bisher einzigen | |
24-Stunden-Salon in New York. | |
Die Gegend zwischen Bügeleisenhaus und Grand Central Station erschien ihr | |
ideal: stattliche alte Gebäude, gediegene Büros, gehobene Hotels, gute | |
Verkehrsverbindungen, elegante Geschäfte und Restaurants. Die teuere Lage | |
war auch aus Sicherheitsgründen unvermeidlich: „Hier arbeiten nur Frauen, | |
mitten in der Nacht, allein - an der Madison Avenue brauchen wir keinen | |
Wachposten“, erklärt Jihee, die sich gleich nach ihrer Ankunft in Amerika | |
von einer Nachbarin Jenny taufen ließ. Ihrem koreanischen Namen trauert sie | |
ebenso wenig hinterher wie ihrer Heimat. | |
Hair Twenty-Four eröffnete im Juli 2008 - und lief. Im August ging die | |
Wirtschaft unter, und Jenny wartete angstvoll auf Kundschaft in ihrem | |
Spiegelkabinett, das fast ihr ganzes Vermögen verschlungen hatte. Doch | |
Verlass ist auf die Nachtschwärmer: von Jet Lag geplagte Touristen, Frauen | |
auf dem Weg zum Flughafen, chronisch Schlaflose, von Sorgen Getriebene. | |
Jenny lud ein zu „Hair Partys“ - eine Gruppe von Freundinnen lässt sich bei | |
Wein und Take-away-Snacks Strähnchen, Haarkuren, Fußpflege und andere | |
zeitraubende Verschönerungen angedeihen. Zwischen eins und drei ist es eher | |
still, und dann ruht sich Jenny manchmal in einem kleinen Schlafzimmer über | |
dem Salon aus, mehr als vier Stunden Schlaf braucht sie nicht. Gegen drei | |
kommen die Kundinnen, die in einem verwöhnten Dämmerzustand das ganze | |
Programm absolvieren wollen: Massage, Facial, Mani/Pedi, Brasilianisches | |
Bikini-Waxing, Augenbrauenzupfen. Und schon kommt das Morgengrauen: „Die | |
Nacht geht so viel schneller um als der Tag“, meint Leah alias Heasang Yoo, | |
die aristokratisch anmutende Managerin des Salons. „Wir essen zusammen und | |
reden, wir sind eine Familie.“ | |
Tatsächlich haben die Frauen, die in den rund 2.000 koreanischen | |
Nagelstudios von New York arbeiten, ein einzigartig enges soziales Netzwerk | |
entwickelt: In keiner anderen Immigrantennische sind Männer so abwesend wie | |
in der Nagelbranche - traditionelle Geschlechterrollen machen es ihnen | |
unmöglich, die größtenteils weibliche Kundschaft auf eine Weise zu | |
bedienen, die unter anderem das degradierende Berühren der Füße verlangt. | |
Und im Unterschied zur New Yorker Textilindustrie, deren Niedergang in den | |
80er-Jahren zur Abwanderung koreanischer Näherinnen in das neue Feld der | |
Hand- und Fußpflege führte, sind die Besitzer der Kleinunternehmen auch in | |
der Mehrheit Frauen. | |
So viel Unabhängigkeit hat auch das Verhältnis zu Männern verändert: Jenny | |
ist in zweiter Ehe mit einem Amerikaner deutsch-polnischer Abstammung | |
verheiratet. „Er ist 16 Jahre jünger als ich - wenn ich sage, komm her, | |
dann kommt er.“ Sie krümmt ihren Zeigefinger und lacht und lacht. Seit | |
Oktober hat Jenny mit dem leichten ökonomischen Aufschwung mehr Kundschaft | |
und kann ihre 27 Angestellten aus allen Teilen der Welt - von Tibet über | |
Mexiko bis China - leichteren Herzens beschäftigen. | |
Und noch immer mangelt es nicht an jener Klientel, die die Rezession selbst | |
hervorgebracht hat: Frauen auf Arbeitssuche, die sich für ihr | |
Vorstellungsgespräch auftakeln. „Frisieren können sich viele Frauen auch | |
allein, aber die wenigsten können sich die Nägel selbst lackieren“, erklärt | |
Jenny. Mal ganz abgesehen von einer Verzierung des Nagelbetts mit einem | |
Halbmond aus Rheinkieseln, wie sie Jenny einer ihrer Stammkundinnen, dem | |
freiberuflichen Model Jolika Ullah, mit der Pinzette appliziert. Die | |
kostspielige Dekoration kann sich Jolika, die an einem öffentlichen College | |
am Ground Zero Psychologie studiert, nicht selber leisten - ihr Freund | |
bezahlt. Er ist gerade nach 18 Monaten aus dem Irak zurückgekehrt, und | |
Jolika überlegt, selbst in die Armee einzutreten und nach Afghanistan zu | |
gehen. „Ich bin in Bushwick in Brooklyn aufgewachsen, das war auch eine | |
Kriegszone“, erklärt sie, während sie Fruchtpunsch aus einem Plastikglas | |
mit Cocktailschirmchen trinkt. „Ich fürchte mich vor gar nichts.“ | |
Am Freitag um sechs Uhr früh föhnt Jenny in Paillettenjacke und | |
Glitzerstiefeletten der internationalen Börsenmaklerin Colleen Marocco die | |
Lockenmähne glatt - um sieben muss die Kundin im Büro sein, denn ihre Firma | |
hat Bauprojekte in fernen Zeitzonen, in China und Indien. Eine Stunde | |
vergeht, ehe jede Haarsträhne bis auf einen romantischen Schnörkel auf der | |
Schulter glattgezogen ist. „Ich fühle mich wie ein Rockstar“, meint Colleen | |
und hofft, dass die Illusion übers Wochenende hält - „es darf nur nicht | |
regnen!“ Jenny hilft ihr in den Mantel und hebt vorsichtig die fragile | |
Pracht über den Kragen. Dann öffnet sie ihrer treuen Kundin die Glastür und | |
wirft einen besorgten Blick in den Morgenhimmel, wo sich finstere Wolken im | |
Dämmerlicht zusammenziehen. | |
27 Feb 2010 | |
## AUTOREN | |
Claudia Steinberg | |
## TAGS | |
Reiseland USA | |
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