# taz.de -- Kolumne Olympia: Games over | |
> Der tote Georgier im Rodelkanal war zum Abschluss der Winterspiele nur | |
> noch eine Randnotiz. Wichtiger waren dramatische Wettkämpfe, um die | |
> Senderechte zu verteuern. | |
Ich wage es kaum niederzuschreiben, aber während dieser Spiele habe ich | |
keine einzige Schneeflocke abbekommen. Nur dreimal stolperte ich auf Schnee | |
herum. Einmal fuhr ich vom frühlingshaften Vancouver aus in leichten | |
Turnschuhen hinauf auf den Berg. Ich hatte vergessen, dass ich bei | |
Winterspielen war. Das kann passieren, wenn die Schneeglöckchen blühen und | |
Jogger mit bloßem Oberkörper die Strandpromenade entlangrennen. Ich habe | |
dann am Cypress Mountain ein bisschen gefroren. Danach habe ich den Komfort | |
der Olympiahallen von Vancouver schätzen gelernt. Whistler war ohnehin zu | |
weit entfernt, gefühlte fünf Flugstunden lagen zwischen der Stadt und dem | |
Berg. | |
Seit die Winterspiele aus den Nähten geplatzt sind, irgendwann in den | |
80er-Jahren, muss man sich schon auf die hohe Kunst der Bilokation | |
verstehen, um allumfassend zu berichten. In den Bergen gibt es ein Olympia, | |
das mit dem Olympia in der Stadt relativ wenig zu tun hat. Und umgekehrt. | |
Es ist schlichtweg nicht mehr möglich, den Tross der Touristen und Medien | |
am Berg unterzubringen. In Sotschi, wo auch gerade vorfrühlingshaften | |
Temperaturen herrschen, dürfte das kaum besser werden. Die einen werden im | |
subtropischen Winter von Sotschi festsitzen, die anderem in einem Artefakt | |
im Kaukasus. Nur Wladimir Putin und Konsorten dürften überall zu finden | |
sein, dank des segensreichen Heli-Shuttles. | |
Ich habe also drunten in Vancouver nicht viel mitbekommen vom Treiben in | |
Whistler. Es heißt, es sei vor allem beim Après-Ski heiß hergegangen. | |
Offenbar hat man sich in den Vergnügungsstätten der Firma Intrawest, der | |
Whistler praktisch komplett gehört, auch nach dem Todesfall auf der | |
Rodelbahn gut amüsiert. Ich will niemandem den Spaß verderben, aber | |
erinnert sich überhaupt noch wer an den fürchterlichen Unfall des Georgiers | |
Nodar Kumaritashvili? In Vancouver war der Fall jedenfalls in Woche zwei | |
komplett erledigt. IOC-Chef Jacques Rogge hat zum Schluss der Spiele | |
immerhin eingeräumt, dass der Todesfall für immer Teil der olympischen | |
Geschichte sein werde. | |
In Sotschi soll eine Bahn gebaut werden, die sicher ist. Das IOC will die | |
Athleten schützen. Einerseits. Auf der anderen Seite will es auch | |
sichergehen, dass so ein Imageschaden nicht mehr entsteht. Die Herren der | |
Ringe haben es nicht gern, wenn dunkle Schatten auf die schönen Spiele | |
fallen. Lieber haben sie Herz-Schmerz-Geschichten, wie sie von Joannie | |
Rochette geliefert wurden, die trotz des plötzlichen Todes ihrer Mutter zu | |
Bronze im Eiskunstlaufen tanzte. Sie ist eine Heldin in Kanada, und nicht | |
nur da. Denn spektakulär wird es erst, wenn bestimmte Treibmittel in den | |
olympischen Ereignisbrei gemixt werden: Wenn ein Athlet auf | |
Wiedergutmachung oder gar auf Rache sinnt, wenn sich Größenwahn und Tragik, | |
Selbstüberwindung und Anmut zu einer bunten Story mischen. | |
Von diesen Storys hat es einige gegeben. Die Stürze im Eiskanal gehörten | |
dazu, wie auch das Lamentieren des Eisschnellläufers Sven Kramer nach | |
seinem haarsträubenden Fehler im 10.000-Meter-Rennen. Oder Anja Pärsons | |
Comeback. Anni Friesingers Freischwimmübung war auch nicht übel. Das IOC | |
darf sich also glücklich schätzen, dass die Athleten wieder so viel Werbung | |
für das Produkt "Olympia" gemacht haben. Der nächste Fernsehvertrag kann | |
dann ruhig ein bisschen teurer über den Tisch gehen. | |
1 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Markus Völker | |
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