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# taz.de -- Autorin Kahn über Berliner Gespenster: Geschichtensammlerin der Un…
> Berlin ist die Hochburg der geplatzten Träume, der Gewalt - und der
> Gespenster, sagt die Schriftstellerin Sarah Khan. Sie weiß von Geistern,
> die ruhelos durch alte Häuser schwirren und Autos anzünden.
Bild: Selbst Halloween wird in Berlin seit vielen Jahren gefeiert
Bei der Suche nach Berliner Geistern kommt man an einem Friedhof natürlich
nicht vorbei. Die Geisterjägerin Sarah Khan führt über den
Dorotheenstädtischen Friedhof in Mitte, wo die geistige und künstlerische
Elite Deutschlands zu Grabe getragen wird. Zwischen den Ruhestätten von
Heinrich Mann, Heiner Müller und Bertolt Brecht streunt wie bestellt eine
schwarze Katze herum. Zum Glück nicht von links nach rechts - ein alter
Volksglauben besagt, das bringe Unglück. Eingemummelt in einen dunklen
Dufflecoat und mit tief in die Stirn gezogener Strickmütze läuft die
38-Jährige über den Prominentenfriedhof und erzählt Geistergeschichten.
Gleich drei sollen sich hier in der Gegend rund um den Nordbahnhof
zugetragen haben.
Die erste spielt auf dem Charitégelände direkt hinter der Friedhofsmauer.
"Im 18. Jahrhundert gab es dort einen Armenfriedhof", erzählt Khan. Der
Geist einer Dienstmagd, die dort begraben liege, habe ein Haus in der nahen
Invalidenstraße immer wieder heimgesucht. Sie fand heraus, dass in dem Haus
ein Offizier lebte, in den die Dienstmagd unglücklich verliebt war. Die Wut
auf den Offizier, der sie verschmähte, so Khan, habe die Magd keine Ruhe
finden lassen.
"Berlin ist die Stadt der Geister, weil es hier so eine hohe Konzentration
an geplatzten Träumen und ein unglaubliches Gewaltpotenzial gibt", erklärt
die Geisterexpertin. Ihr zufolge sind Geister rastlose Untote, die in ihre
alten Häuser zurückkehren. Im Gegensatz zu anderen Großstädten hätten die
Geister in Berlin immer noch eine große Chance, ihre Häuser im alten
Zustand vorzufinden. "Durch den Sanierungswahn geht diese Phase natürlich
auch bald zu Ende", prophezeit Khan. Die ewige Ruhe bleibe den Gespenstern
verwehrt, weil sie in ihrem irdischen Dasein ein unerfülltes Leben geführt
haben oder unter grausamen Umständen umgekommen sind.
Die selbsternannte Geisterjägerin Khan ist eigentlich Schriftstellerin und
fängt genau genommen keine Geister, sondern Geschichten über ebensolche.
Nach drei Romanen und neben ihrer Arbeit als Journalistin hat sie im
vergangenen Jahr den Erzählband "Die Gespenster von Berlin" herausgebracht.
Dafür hat sie die Geistererfahrungen von Freunden und Freundesfreunden, von
Bekannten und Nachbarn literarisch dokumentiert, eine Art Schwester Grimm
will sie sein, die Sammlerin Berlins schauriger Geschichten.
In den Erzählungen spielt es keine Rolle, ob es die wandelnden Untoten
wirklich gibt. Khan interessiert die Geschichte hinter der Geschichte,
Geister sind für sie Verbindungswesen zwischen Gegenwart und Vergangenheit.
Khan ist auf den Fotografen Jim Rakete getroffen, der sie als Spinnerin
abtat, und hat von dem Sänger Rufus Wainwright erfahren, dass er in einem
Haus nahe dem Alexanderplatz Erfahrungen mit Gespenstern gemacht hat. Sie
hat eine blinde weiße Katze mit hellseherischen Fähigkeiten und
Stasispitzel enttarnende Geister getroffen.
Ob Khan diese Geschichten glaubt, verrät sie nicht. Sie ist keine Frau mit
übermäßigem Hang zum Übersinnlichen, die des Nachts mit Gläserrücken
Geister aus der Zwischenwelt ruft. Die Literatin mit dem auffallenden
silbrig glänzenden Lidschatten sagt von sich selbst, sie komme aus einem
"lutheranisch-sozialdemokratisch-nüchternen Stall", und erzählt ihre
Geschichten lakonisch distanziert.
Und doch soll alles mit einer eigenen Geistererfahrung begonnen haben. 2000
zog Khan aus ihrer Geburtsstadt Hamburg nach Berlin, in eine WG nah am
Zionskirchplatz. Dort sei immer das Licht ausgegangen, und alle Bewohner
seien sicher gewesen, im Haus spuke der Geist einer alten Frau. Irgendwann
habe sie beim Putzen ein Schubs von ihr bekommen. "Ich hatte bis dahin mit
Dingen wie Geistern nichts am Hut und hab mich wahnsinnig erschrocken",
erzählt Khan. Sie habe nachgeforscht und herausgefunden, dass die Frau in
den 1990er-Jahren gestorben sei und immer gesagt habe, Mädchen sollten
fleißig putzen, dann bekämen sie auch einen Mann. "Bei mir hats geholfen.
Ich hab dann meinen Mann kennen gelernt", sagt Khan trocken, offenlassend,
wie ernst sie das meint. Die Geschichte habe sie nicht losgelassen und sie
habe von Nachbarn erfahren, dass die Frau mit dem Putzfimmel von der Stasi
verfolgt wurde, einen Säufer geheiratet hatte und kurz vor ihrem Tod
Erbschleichern auf den Leim gegangen ist. Wieder unerfülltes Leben.
Am Dorotheenstädtischen Friedhof hat auch eine Geschäftsfrau ihr Büro, die
dorthin zog, nachdem sie laut Khan aus einem spukenden Haus in Kreuzberg
geflohen war. Die Bewohner des Kreuzberger Hauses erzählten der neugierigen
Geisterreporterin, dass in Kriegszeiten dort Zwangsarbeiterinnen von
Telefunken untergebracht worden waren. Außerdem sei dort in einer Schmiede
eine berühmte Ampel gebaut worden. "Da fragst du nach Geistern und findest
den Erbauer der ersten Ampel Europas auf dem Potsdamer Platz", freut sich
Khan heute noch über diesen Fund.
Sarah Khan hat für ihre Geschichten intensiv recherchiert, im Landesarchiv,
in den alten Berliner Adressbüchern und mit Hilfe historischer Stadtpläne.
An einigen Spukhäusern erinnern Gedenktafeln oder Stolpersteine an die
ehemaligen Bewohner. Die meisten aus diesen Häusern deportierten Juden
haben keine Gräber. Vielleicht suchten sie deshalb an diesen Orten ihre
letzte Ruhe, vermutet Khan.
Eine christliche Vorstellung, die Khan vielleicht aus dem Pastorenhaushalt
mitgenommen hat, in den sie hineingeboren wurde. Ihr Vater, ein
pakistanischer Student, kam in Deutschland bei einem Pastor unter und
schwängerte dessen Tochter. Khans Mutter verließ die Familie, deshalb war
sie als Kind oft allein. Wenn sie sich fürchtete, nahm sie Knoblauch und
die Bibel mit ins Bett, um sich gegen böse Geister zu wappnen.
Wenn Khan durch die Invalidenstraße läuft, sieht sie das literarische
Berlin des 19. Jahrhunderts. In der Straße spielte Fontanes Roman "Stine",
auch E. T. A. Hoffmanns Gespenstergeschichten seien in der Gegend
entstanden, erzählt sie - und grüßt im Vorbeigehen eine Frau, mit deren
Kind ihre vierjährige Tochter um die Ecke in die Kita geht. Erst vor kurzem
ist sie mit Mann und beiden Kindern von hier nach Moabit gezogen.
Die dritte Geschichte vom Nordbahnhof fällt aus dem Rahmen, da in dieser
ein Gespenst aus heutiger Zeit die Hauptrolle spielt. Es treibt sein
Unwesen, indem es Autos anzündet und seit mehr als zwei Jahren, Politik und
Presse in Atem hält und ratlos macht. Die Geschichte erzählt von einer
schon 200 Jahre währenden Gentrifizierung im heutigen Bezirk Mitte und
beginnt in dem neu angelegten Park direkt hinter dem Nordbahnhof. Als Khan
durch die Ödnis des Parks führt, heult passend ein eisiger Wind durch den
Birkenhain. Trotzdem stellt sich kein rechtes Schauergefühl ein, da nebenan
quietschende Baukräne graue Verwaltungsgebäude hochziehen. Vor 200 Jahren
jedenfalls soll in diesem Park der Galgen des Scharfrichters gestanden
haben, der gleichzeitig eine Abdeckerei betrieb. Allerdings, erzählt Khan,
habe der Gestank verwesender Tiere die Anwohner derart geekelt, dass der
Henker nach wenigen Jahrzehnten von dort vertrieben worden sei.
Und auch unterirdisch war der Tod in der Gegend zu Hause, weiß die
Geistergeschichten-Sammlerin zu berichten. In den Tunneln des einstigen
Fernbahnhofs seien Ende des Zweiten Weltkrieg verwundete Wehrmachtssoldaten
gestorben. Durch eine Sprengung des Tunnels in Höhe des Landwehrkanals -
Historiker vermuten die SS dahinter - seien die unterirdischen Gänge kurz
vor der Kapitulation überflutet worden. Dabei sollen bis zu 5.000 Menschen
ertrunken sein, die nach einer Evakuierung durch den Tunnel marschierten.
Diese grausamen Geschichten kennt kaum einer der neuen Mitte-Bewohner,
beklagt Khans Gespenst. Ebenso, dass der Berliner Dialekt der kleinen Leute
verschwindet und sich die Bewohner nur für dicke Autos interessieren.
Deshalb zündet der Geist Autos an.
Einmal ging Khan für ihr Buch tatsächlich auf nächtliche Geisterjagd im
Kreuzberger Künstlerhaus Bethanien. Ein Gespenst fand sie nicht, dafür die
Geschichte von Friedrich Wilhelm IV.: Der war impotent und ließ das
Krankenhaus bauen - mit zwei phallischen Türmen.
4 Mar 2010
## AUTOREN
Kathleen Fietz
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