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# taz.de -- Debatte China: Die Geheimpolizei und ich
> Im privaten Rahmen werden die Debatten in China zwar immer offener. Doch
> das Ausreiseverbot für Liao Yiwu zeigt: der Staatschutz ist überall
> dabei.
Vergangene Woche wurde dem Schriftsteller Liao Yiwu die Ausreise nach
Deutschland verwehrt. So etwas passiert in der Volksrepublik immer wieder.
Die Lage in China ähnelt sehr der in der ehemaligen DDR: die Polizei, die
sogenannte Volkspolizei in Uniform und die Geheimpolizei in Zivil sind
überall. Die Herrschenden können zu jeder Zeit und an jedem Ort deine
Handlungsfreiheit beliebig einschränken. Egal ob du ein Vater bist, der
beim Erdbeben in Sichuan sein Kind verloren hat oder ein Schriftsteller,
der Texte publiziert, welche der Kommunistischen Partei missfallen.
Anfang 2008 fragte mich ein Freund, ob ich Erfahrung im Umgang mit der
Geheimpolizei habe. Ihn hätten sie kürzlich gefragt, ob er nicht ein
"Informant" werde wolle. Was der Freund da erzählte, war für mich
ungewöhnlich. Zwar hatte ich hier und da ähnliches gehört, aber nie waren
Personen in meiner Nähe betroffen.
Wenige Monate später, am 30. April 2008, musste ich dann meine eigenen
Erfahrungen machen. Kurz vor Beginn wurde ich als Journalist eingeladen,
die Fackel zu begleiten. Am nächsten Tag, also am 1. Mai, sollte ich dafür
von Peking nach Sanya auf der Insel Hainan fliegen. Am Abend des 30. Aprils
standen zwei Geheimpolizisten vor meiner Tür. Sie sagten, sie wären vom
"Staatsschutz" und gehörten zur Polizei des Büros für öffentliche
Sicherheit. Sie kamen direkt zur Sache und sagten: "Wir hoffen nicht, dass
du nach Sanya fliegst". Nach einem halbstündigen Gespräch bekam ich dann
doch die Erlaubnis - aber nur unter der Bedingung, dass ich "keinen Ärger"
machen würde. Welchen "Ärger" hätte ich machen können? Nicht nur, dass ich
niemals irgendeinen Versuch in dieser Richtung unternommen habe, ich bin
ein eher wehrloser Journalist und Schriftsteller. Aber selbst wenn ich
größer wäre als Oliver Kahn, mit den Fackelschützern hätte ich es nicht
aufnehmen können. Das waren immerhin die besten Schläger der bewaffneten
Volkspolizei.
Habe ich jemals Sachen gemacht, welche die Sicherheit Chinas gefährden
könnten? 1989, als ich in Peking studierte, war Liu Xiaobo einer meiner
Lehrer. Im Mai jenes Jahres nahm ich mit ihm zusammen am Hungerstreik auf
dem Tiananmen-Platz teil. Danach hab ich oft mit Liu Xiaobo gegessen und
geredet. Seitdem werde ich von der Geheimpolizei belästigt. Nachdem ich die
von ihm initiierte "Charta 08" unterzeichnet hatte, wurde es immer
schlimmer. Vom 3. bis zum 7. Juni 2009, zum Jahrestag des 4. Juni 1989, am
25. Dezember 2009 und am 11. Februar 2010 - den beiden Verhandlungstagen
von Liu Xiaobo vor Gericht in erster und zweiter Instanz - standen jeweils
rund um die Uhr Polizisten vor meiner Tür. Auch zur Arbeit musste ich in
einem von ihnen zur Verfügung gestellten Polizeiwagen fahren. Ein Polizist
drohte mir: "Besser, du machst mit, sonst verliere ich meinen Job und wenn
ich den wirklich verliere, dann töte ich deine ganze Familie."
Auch sobald jemand im Internet versucht, eine der offiziellen Linie
zuwiderlaufende Meinung zu äußern, wird er von anderen Usern umgehend als
Vaterlandsverräter und Handlager der USA beschimpft. Wir nennen diese User
"Fünf Mao (ca. fünf Cent)" oder auch "Fünf-Mao-Partei". Wie man hört, haben
die Herrschenden beim Ringen um die Definitionshoheit im Internet eine
große Zahl von "Informationsmitarbeitern" und "Internetkommentatoren"
angeworben. Für jede Äußerung, die zum Schutz der Herrschenden beiträgt,
können diese eine Belohnung von fünf Mao bekommen. Später ließ sich dieses
Gerücht sogar beweisen: das Nachrichtenportal der Provinz Gansu nämlich
berichtete, Gansu wolle eine 650-Mann starke Internetkommentatoren-Truppe
aufbauen, um die Diskussionen korrekt anzuleiten. Die Struktur solle aus
fünfzig "Spitzenkräften" als Zentrum, hundert "Experten" als innerer,
dichter Ring und fünfhundert "Schreibern" als äußerer Ring bestehen.
Für mich zeichnet sich die chinesische Öffentlichkeit derzeit durch drei
Merkmale aus. Erstens: in der Bevölkerung wird sehr offen diskutiert. Mehr
und mehr Leute glauben nicht mehr an irgendein Versprechen der
Kommunistischen Partei. Aber darüber kann man sich nur im Privaten
austauschen. Sobald man so etwas in irgendeinem Diskussionsforum, Blog oder
einer Webseite äußert, wird der Betreiber angemahnt, diese Äußerung zu
löschen. Hört er nicht darauf, wird seine Seite bedingungslos geschlossen.
Zweitens: einige mutige Medien bringen ihre eigene, unabhängige Stimme zum
Ausdruck. Dies ist aber immer auf konkrete Maßnahmen oder Handlungen
beschränkt; die Partei und ihre Regierung darf grundsätzlich nicht
angezweifelt werden. Drittens: sich mutig äußernde Dissidenten werden
streng überwacht und von Zeit zu Zeit in ihrer Freiheit einschränkt oder
ins Gefängnis geworfen.
Meinungsfreiheit ist in China ein Luxusgut. Willst du sie haben, selbst nur
ein bisschen von ihr, dann musst du einen Preis bezahlen. Überwacht zu
werden, die Arbeit zu verlieren, im Gefängnis zu sitzen, auf all das muss
man sich gefasst machen. Seit Hu Jintao und Wen Jiabao 2002 die Macht
übernahmen, hat die Repression im Vergleich zu Zeiten von Staats- und
Parteichef Jiang Zemin deutlich zugenommen. Mehr und mehr Menschen werden
überwacht, mehr und mehr Menschen sitzen im Gefängnis, mehr und mehr Medien
werden verboten. Die Intellektuellen und Beobachter, die ein Loblied auf Hu
und Wen singen sollten sich mal die Augen reiben.
Ich will aber noch sagen, dass die Lage der Meinungsfreiheit in China im
Vergleich zu vor dreißig Jahren verbessert hat. Das ist der Grund, warum
ich der Kommunistischen Partei zwar überhaupt nicht vertraue, aber ihre
Reformpolitik befürworte - auch wenn die Öffnung nur den wirtschaftlichen
Bereich betrifft, ist das besser als das Land nach außen abzuschotten.
Deshalb kann ich jetzt zu Hause sitzen und diesen Artikel schreiben,
deshalb wage ich es überhaupt ihn zu schreiben - denn zumindest muss ich
mich jetzt nicht mehr um mein Leben sorgen. Ich bin kein Held. Zur Zeit der
Kulturrevolution hätte ich nicht den Mut gehabt, dies alles zu schreiben.
Denn in jener verrückten Zeit haben die nicht mal den Anschein gewahrt und
die Leute direkt von Zuhause zum Hinrichtungsplatz geschleift.
Ich kenne Herrn Liao nicht, aber was den Kampf um die eigenen Rechte
angeht, stehe ich auf seiner Seite. Wir haben beide das Unheil der Diktatur
erlitten. Ich wünsche ihm, dass er sich bald von den Fesseln befreien kann
und seine Rechte und Würde zurück bekommt. Und ich wünsche auch mir selbst
und mit allen Bürgern der Volksrepublik, dass wir bald unsere Rechte und
Würde zurückbekommen. WANG XIAOSHAN Aus dem Chinesischen übersetzt von
Kristin Kupfer
10 Mar 2010
## AUTOREN
Wang Xiaoshan
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