# taz.de -- Regionalwahlen in Frankreich: Sonderfall Elsass | |
> Am Sonntag wählen die Franzosen ihre Regionalparlamente. Im Elsass | |
> fordern Sozialisten und die Umweltliste gemeinsam die Konservativen | |
> heraus. | |
Bild: Der grüne Spitzenkandidat Jacques Fernique (li.) gibt sich siegessicher. | |
STRASSBURG taz | "Cest possible!" Wie ein Kampfruf tönt Jacques Ferniques | |
Feststellung, dass ein Sieg der vereinten rosarot-grünen Liste im Elsass | |
möglich, ja sogar greifbar nah geworden ist. Der grüne Spitzenkandidat | |
heizt ohne Rücksicht auf die CO2-Bilanz die Stimmung an. Im Saal des Palais | |
des Fêtes von Straßburg werden grüne und rote Fahnen geschwenkt. Eine | |
Blasmusik-Combo liefert dazu Tusch und heiße Salsa-Rhythmen. Wird da ein | |
Sieg gefeiert? Das wäre deplatziert oder sogar verhängnisvoll, versichern | |
alle. | |
Sozialisten und Grüne waren getrennt bei den Regionalwahlen angetreten. | |
Jetzt findet man sich für das Finale zusammen in einer Allianz, die von | |
Anfang an geplant war. Trotzdem ist diese grün-rote Union fragil. Es ist | |
spürbar in den Gesprächen, wie sich die einen bemühen, den anderen nicht | |
auf die Füße zu treten. Fernique hatte aufgrund von optimistischen | |
Voraussagen gehofft, als erster Grüner eine Region regieren zu können. Nun | |
muss er seinem Partner Jacques Bigot von den Sozialisten, die ein paar | |
Prozente mehr erhalten haben als "Europe Ecologie", den Vortritt und im | |
Fall eines Sieges den Vorsitz überlassen. | |
Dem Händchen haltenden Duo auf der Bühne hat sich Antoine Waechter | |
angeschlossen. Er ist eine historische Figur der Ökologiebewegung, ehemals | |
Sprecher der Grünen, von denen er sich wegen der Integration in eine | |
Linksunion getrennt hatte. Seinen heutigen Gesinnungswandel erklärt er so: | |
"Meine Mutter sagte meiner Schwester, sie müsse zuerst unabhängig und frei | |
werden, bevor sie wähle, mit wem sie leben wolle." Das sei in der | |
Umweltpolitik auch so. Sie seien jetzt stark genug, um von den Sozialisten | |
als ebenbürtiger Partner anerkannt zu werden. | |
An gemeinsamen Prioritäten mangelt es diesem Gespann nicht: die Schließung | |
und Entsorgung des ältesten französischen Reaktors in Fessenheim, der Kampf | |
gegen die Umgehungsautobahn bei Straßburg, der, wie Fernique und Bigot | |
gleichermaßen beklagen, 400 Hektar Agrarland geopfert werden soll. Dass nun | |
vier Tage vor den Wahlen das oberste Verwaltungsgericht alle Rechtsmittel | |
gegen dieses Projekt abgelehnt hat, betrachten sie als stimulierende | |
Provokation. | |
Jetzt glauben sie erst recht, dass am Sonntag für die Region Elsass auch | |
politisch der Frühling beginnt. Die Aussicht auf einen Triumph mit | |
vereinten Kräften, der nationale Schlagzeilen machen und in die Geschichte | |
eingehen könnte, beflügelt die Anhänger. Seit dem ersten Durchgang der | |
Regionalwahlen am letzten Sonntag liefern sich die bürgerliche-konservative | |
UMP und die sozialistisch-grüne Linke ein Kopf-an-Kopf-Rennen, dessen | |
Ausgang ungewiss ist. Wie in vielen anderen Regionen kommt es zu einer | |
Dreieckswahl mit der extremen Rechten. Einer letzten Wahlumfrage zufolge | |
liegen die Listen der UMP und die der vereinten Linken mit je 43,5 Prozent | |
gleichauf, auf den Front National sollen 13 Prozent der Stimmen entfallen. | |
Noch sagen aber 23 Prozent der Leute, sie hätten sich noch keine Meinung | |
gebildet. Beim ersten Durchgang sind mehr als 56 Prozent im Elsass nicht | |
wählen gegangen. | |
Zusammengezählt haben am 14. März die Sozialisten und die Umweltliste | |
"Europe Ecologie" mit knapp 35 Prozent ebenso viel Stimmen erhalten wie die | |
UMP. Die Partei von Präsident Nicolas Sarkozy verteidigt "ihr" Elsass umso | |
verbissener, als es da um ein landesweites Symbol geht. Schon jetzt wurden | |
nur das Elsass und Korsika von der konservativen Regierungspartei regiert. | |
Und wenn nun auch noch diese bisher als uneinnehmbar geltende bürgerliche | |
Bastion im Dreiländereck fallen sollte, wäre das Fiasko der Staatsführung | |
von Nicolas Sarkozy wohl total. | |
Bei der UMP läuft deshalb die Kampagne auf Hochtouren, um den Albtraum | |
eines "grand slam" der Linken in allen 22 Regionen des Landes (ohne | |
Überseegebiete) abzuwenden. Von einem Frankreich ganz in Rosarot träumt | |
laut die sozialistische Parteichefin Martine Aubry. Für die gegnerische UMP | |
ist das Elsass wie eine belagerte Zitadelle, die es um jeden Preis zu | |
halten gilt. Alle reden von diesem Test. | |
In Straßburg geben sowohl Philippe Richert (UMP) wie sein sozialistischer | |
Gegner Jacques Bigot vor, diese nationale Bedeutung der Wahl vom kommenden | |
Sonntag sei nun wirklich die letzte ihrer Sorgen, beide wollen nur über das | |
Elsass, über seine Sorgen und Stärken reden. Das ist wohl ein | |
wahltaktischer Imperativ. Die beiden kennen sich gut, Richert ist Senator | |
und Bigot Vorsitzender der städtischen Agglomeration Straßburg. Sie als | |
Feinde zu betrachten, wäre nicht nur übertrieben, es entspräche auch | |
überhaupt nicht der elsässischen politischen Mentalität, in der man den | |
Ausgleich in der Mitte sucht. | |
Die Politik war hier stets von einem christlich-sozialen Humanismus | |
geprägt. Diesen verkörperte der Vorsitzende der Region, der | |
Zentrumspolitiker Adrien Zeller, der während seines Mandats im August 2009 | |
starb und eine große Lücke bei der lokalen UMP hinterließ. Auch der | |
sozialistische Spitzenkandidat Bigot beansprucht in seiner Rede explizit | |
und ungeniert einen Teil des zentrumsdemokratischen Erbes. Er ist kein | |
feuriger Redner, aber er hat den Vorteil, dass er als Oppositioneller der | |
bisherigen rechten Mehrheit der Region alle Probleme als Versäumnisse und | |
mangelnde Weitsicht dem Konkurrenten anlasten kann. Sogar dass sie die | |
beschäftigungspolitischen Konsequenzen des Mauerfalls in Deutschland nicht | |
rechtzeitig erkannt habe, kreidet er der UMP an! Richert kontert in | |
Interviews, die Linke wolle die Region unter eine Glocke stellen, werde in | |
Wirklichkeit aber die Steuern erhöhen. | |
Das Elsass ist nicht mehr die von Gott begnadete Insel des Wohlstands, die | |
laut Statistik pro Kopf mehr exportiert hat als jede andere Region | |
Frankreichs. Obschon weiterhin je rund 30.000 Menschen täglich zur Arbeit | |
in die Nordwestschweiz oder nach Baden und in die Pfalz pendeln, ist die | |
Arbeitslosigkeit mit der Krise rapide angestiegen und erreicht mit 9 | |
Prozent fast den nationalen Durchschnitt. | |
Keine besoldeten Imame | |
Denn das Elsass gefällt sich in seiner Besonderheit, die jeder, wenn auch | |
auf seine Weise und nicht immer im selben Bereich, verteidigen will. | |
Liebevoll pflegt man das oft kitschige Image mit dem Storch auf dem Dach, | |
Salzbretzel und Sauerkraut. Dagegen fragt man sich, wie ernst es den | |
Kandidaten mit ihrem Lippenbekenntnis zur Zweisprachigkeit ist. Noch | |
sprechen vielleicht 40 Prozent der Elsässer außer der Amtssprache | |
Französisch auch den alemannischen Dialekt. Dieser wird wie das | |
Hochdeutsche im Unterricht trotz Zugeständnissen von Paris nicht genügend | |
gefördert. | |
Eine andere historische Eigenheit betrifft die Religionen in dieser sonst | |
so weltlichen Republik. Im Elsass ist immer noch Napoleons Konkordat von | |
1801 in Kraft, das vier Konfessionen (Katholiken, Lutheraner, Reformierte | |
und Juden) anerkennt. Priester, Pastoren, Pfarrer und Rabbiner werden darum | |
in dieser Grenzregion staatlich besoldet - aber nicht die muslimischen | |
Imame. Der Islam, der 1801 nicht vorgesehen war, ist daher auch vom | |
Religionsunterricht in öffentlichen Schulen ausgeschlossen. Die Frage, ob | |
das Konkordat deswegen aufgehoben werden muss, wie dies die antiklerikale | |
Linke bis in die 1970er-Jahre gefordert hatte, wird zum Politikum. Es | |
lieferte der extremen Rechten unverhofft einen Anlass für ihre Kampagne | |
gegen die "Islamisierung". Den Kampf gegen die Große Moschee von Straßburg | |
hat der FN bereits verloren. Sie wird im Herbst eingeweiht, samt Kuppel und | |
einem Minarett, das ursprünglich gar nicht vorgesehen war, im Kontext des | |
schweizerischen Verbots aber vom sozialistischen Straßburger Bürgermeister | |
Roland Ries ausdrücklich befürwortet wurde. | |
Ihren eigenen "Sonderfall" möchte die elsässische UMP um jeden Preis | |
verteidigen, indem sie die von Linken und Grünen belagerte Bastion hält. | |
Auch sie meint vorsichtig zuversichtlich: "Cest possible." Ob die | |
Unterstützung durch Premierminister François Fillon, der als Stargast zur | |
Abschlusskundgebung in die Europakapitale Straßburg anreiste, hilfreich | |
war, wird sich am Sonntag zeigen. | |
19 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Rudolf Balmer | |
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