# taz.de -- Gericht in Argentinien dreht Beweislast um: Pestizidgegner gestärkt | |
> Künftig müssen nicht Kritiker die Gefahr, sondern Behörden die | |
> Unschädlichkeit von Pflanzengiften nachweisen. Anwohner hatten gegen den | |
> Einsatz des Monsanto-Gifts Glyphosat geklagt. | |
Bild: Der Anbau der herbizidresistenten Gentech-Soja von Monsanto könnte in Ar… | |
BUENOS AIRES taz | In Argentinien bekommt die Allmacht der | |
Soja-Agroindustrie erste Risse: Zum ersten Mal hat ein Gericht die | |
Beweislast für Gesundheitsschäden durch den Einsatz von Pflanzengiften beim | |
Sojaanbau umgekehrt. Nicht mehr die betroffenen Personen müssen eine | |
schädliche Wirkung des Herbizids Glyphosat nachweisen, sondern die Behörden | |
müssen die Unbedenklichkeit von Glyphosat für Mensch und Umwelt belegen, | |
urteilte das Berufungsgericht des Bezirks Santa Fe. Gleichzeitig | |
bestätigten die Richter das Verbot des Einsatzes von Glyphosat in | |
unmittelbarer Nähe der Kleinstadt San Jorge. | |
Bewohner dieser Stadt in der argentinischen Provinz Santa Fe hatten gegen | |
den Einsatz des Herbizids geklagt, das mit Kleinflugzeugen auf die Felder | |
gesprüht wird. In unmittelbarer Nähe der Felder wohnende Familien hatten | |
über Atembeschwerden und Übelkeit nach dem Einsatz der Sprühflugzeuge | |
geklagt. | |
Vor einem Jahr bekamen sie vor Gericht erstmals recht: Den | |
Sojabohnenproduzenten wurde einstweilig untersagt, in einem Radius von 800 | |
Metern um San Jorge Glyphosat einzusetzen. Für das Ausbringen auf den | |
Feldern per Flugzeug wurde ein Radius von 1.500 Metern festgelegt. | |
Produzenten und staatliche Behörden hatten jedoch Widerspruch eingelegt - | |
mit der Begründung, dass die betroffenen Bewohner für die behaupteten | |
Gesundheitsschäden keinerlei wissenschaftlich fundierten Beweise vorgelegt | |
hätten. | |
Doch das Berufungsgericht hat jetzt nicht nur diesen Einspruch abgewiesen, | |
sondern auch eindeutig festgelegt, wer die Beweislast trägt. Es sei gerade | |
die - auch wissenschaftliche - Unsicherheit über die Konsequenzen des | |
Herbizideinsatzes, die den Gebrauch in unmittelbarer Nähe der Betroffenen | |
nicht zulässt. Die staatlichen Behörden müssen nun ihrerseits innerhalb von | |
sechs Monaten die Unbedenklichkeit von Glyphosat nachweisen. | |
In Argentinien wird die Gefährdung durch Herbizideinsatz im Zusammenspiel | |
von Agrarlobby, staatlichen Behörden und Provinzpolitikern seit Jahren | |
heruntergespielt. Vorliegende Studien werden missachtet oder öffentlich als | |
nicht seriös abqualifiziert; Wissenschaftlern, die sich kritisch mit dem | |
Folgen des Sojabooms auseinandersetzten, droht die Isolierung. | |
Denn Sojabohnen sind mittlerweile ein wichtiger Bestandteil der | |
argentinischen Agrarindustrie. Das Land ist zum weltweit drittgrößten | |
Sojabohnenproduzenten und -exporteur aufgestiegen. Produziert wird fast | |
ausschließlich mit genverändertem Saatgut und unter massivem | |
Herbizideinsatz. Mit 19 Millionen Hektar erreichte die Anbaufläche in der | |
Saison 2009/2010 Rekordgröße. Sojabohnen wachsen jetzt auf 56 Prozent der | |
landwirtschaftlichen Nutzfläche Argentiniens. Auch für dieses Jahr erwarten | |
die Produzenten eine neue Rekordernte von rund 53 Millionen Tonnen. Und | |
auch diese Ernte wird zu 90 Prozent exportiert werden - das bedeutet hohe | |
Einnahmen für Industrie und Staatshaushalt. | |
Angesichts des großen Geschäfts für Staat und Agarindustrie hat es nie eine | |
wirklich kritische Auseinandersetzung mit den Konsequenzen des Sojabooms | |
für Mensch und Umwelt gegeben. Auch wenn der Richterspruch vorerst nur für | |
die Stadt San Jorge gilt, könnte er sich zu einem Präzedenzfall entwickeln. | |
Die Klägergemeinschaft von San Jorge hat bereits angekündigt, von der | |
Provinzregierung die Ausdehnung des Gerichtsbeschlusses auf alle | |
Ortschaften in der Provinz zu verlangen. | |
20 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Jürgen Vogt | |
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