# taz.de -- Kolumne Die Charts: Das Paradies ist noch nicht verloren | |
> Was wirklich zählt im 21. Jahrhundert. Folge 5: Humor und Ironie. | |
Eine sogenannte Spaßgesellschaft hat es nie gegeben. Das Ende dieser | |
Spaßgesellschaft wurde von denen erklärt, die sie erfunden hatten. "Irony | |
is over", schrien sie und waren so glücklich, dass sie für einen Moment | |
fast lächelten. Es war selbstverständlich völlig humorlos gemeint: Die | |
Vorstellung, dass mit 9/11 oder Hartz IV Schluss mit lustig war, bleibt ein | |
ernsthafter Versuch unlustiger Kreise, Griesgrämigkeit und Humorlosigkeit | |
als zivilisatorischen Fortschritt zu behaupten. | |
Was es zweifellos gab und gibt, ist ein materialistisches, | |
individualistisches Lebenssinn- und Wirtschaftsmodell, das überholt ist. | |
Dass in diesem Zusammenhang der "Spaß" und damit auch Humor und Ironie als | |
etwas Unpolitisches, Egoistisches und Oberflächliches dargestellt werden, | |
ist aus Sicht der unlustigen Kritiker naheliegend. Der Unlustige müsste | |
schon Größe haben, wenn er zugäbe, dass das Lustige eine überlegene Form | |
ist, die einen Inhalt besser transportiert und Absender und Adressaten | |
körperlich und geistig guttut. | |
Was es im Gegensatz zu einer Spaßgesellschaft im 20. Jahrhundert auch gab, | |
war ein ironisches Zwangssystem als Reaktion auf die Kohl-Jahre, die | |
unlustig auf Kohl reagierende Linke und andere Zumutungen. Dieses System | |
hatte seinen Höhepunkt in den 90ern, wurde aber wie so viele überholte | |
Systeme, Gebräuche oder Gedanken bis ins 21. Jahrhundert hineingeschleppt. | |
Das ironische Zwangssystem hat längst ausgedient. Was es heute gibt: | |
1. "Schmidtianer des 21. Jahrhunderts", die sich entschieden haben, Ironie | |
nicht mehr wie ihr Exidol als Abgrenzung von den Blöden und Lebenszweck zu | |
verstehen. Das heißt aber nicht, dass sie nicht weiter lustig, ironisch und | |
vor allem selbstironisch wären. Im Gegenteil. Es wird nur nicht mehr | |
ausschließlich zur Abwehr von Partizipation und Zumutungen eingesetzt. | |
2. Darüber hinaus gibt es eine Masse von Menschen, die mehr denn je lachen. | |
Der Unlustige würde sagen: obwohl den Armen aus globalen oder individuellen | |
Gründen gar nicht danach sein kann. Man lenkt sie ab. Mit Mario Barth. | |
Damit indes würde man Lachen und Humor nicht gerecht. Wir erleben hier | |
einen emanzipatorischen Fortschritt. | |
3. Gibt es weiterhin Deutsche, die es ärgert oder ängstigt, wenn andere | |
Deutsche gern und dann auch noch über Barth lachen. "Ein Deutscher", pflegt | |
Hugo-Egon Balder zu sagen, "lacht nicht ohne Grund." Hihi. Sondern | |
allenfalls über einen sauberen, sozialdemokratischen Witz, der seine Lehren | |
aus dem Nationalsozialismus gezogen hat. Dass sich davon viele (siehe | |
Gruppe 2) emanzipiert haben, geht selbst Leuten aus Gruppe 1 zu weit. Wenn | |
man ihnen sagt, das sei eine egalitäre Demokratisierung des Humors, kotzen | |
sie voll ab. Tenor: Demokratie schön und gut, aber doch nicht so. | |
In Ecos Roman "Der Name der Rose" gibt es diesen Mönch, der Aristoteles' | |
Buch über das Lachen vernichtet. Aristoteles zeigt darin, dass Lachen die | |
Furcht tötet. Wenn das rauskommt, ist die stärkste Kirche erledigt. Wenn | |
also morgen einer was vom Ende der Spaßgesellschaft erzählt, so lacht | |
herzlich. Aber lacht ihn nicht aus. Schließt ihn in euer Lachen ein, bis er | |
auch lacht. Wir können eine spaß-, humor- und ironiefähige Gesellschaft | |
gebrauchen, weil: Griesgrämig kriegen wir die anstehenden Transformationen | |
nicht hin. Dazu ein wirklich lustiger Gedanke: Das Paradies ist nicht | |
verloren, sondern nur noch nicht gewonnen. | |
Das war jetzt ein relativ unironischer Text. Hat total Spaß gemacht. | |
26 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Peter Unfried | |
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