| # taz.de -- Hochlandindianer als Präsident: Happy End für Romeo und Julia | |
| > Santa Cruz de la Sierra ist mittlerweile die größte Stadt in Bolivien. | |
| > Sie gilt als eine Bastion gegen Evo Morales | |
| Bild: Im Südosten Boliviens liegt Santa Cruz de la Sierra | |
| Leise murmelnd liegt die Plaza von Santa Cruz in der milden Abendsonne. | |
| Unter den schattigen Bäumen verteilen zwei Mädchen im Maikäferkostüm kleine | |
| Zettel. In der Casa de la Cultura, direkt hier am Hauptplatz, veranstaltet | |
| die Theatergruppe Ditirambo ein kleines Festival. Heute wird "Romeo y | |
| Julietta" gegeben. Nicht von, aber dafür mit Shakespeare. Und ganz im | |
| Gegensatz zu dem Klassiker kriegen sich die beiden Liebenden am Schluss und | |
| leben glücklich bis ins hohe Alter. Weil sie den eitlen Großdichter William | |
| überreden, ihrer jungen Liebe eine Chance zu geben. Und weil dieser ganze | |
| Hass zwischen den Capulets und Montagues, von dem keiner weiß, wo er | |
| eigentlich herkommt, nun wirklich blödsinnig ist. | |
| Ein schönes Stück der spanischen Autorin Olga Margallo: witzig, locker, | |
| fröhlich, sexy. Und eine Aufführung, die ein versöhnliches Gegenstück zu | |
| dem Bild bietet, unter dem die bolivianische Tieflandmetropole seit einiger | |
| Zeit leidet. Die Stadt gilt als Hort der Reaktion, der Oligarchen, der | |
| Rassisten und Faschisten. Und es geht gelegentlich auch so zu wie im alten | |
| Verona. Hass, Prügeleien, Schießereien, Verleumdungen. Keine Chance für die | |
| Liebe? Vielleicht doch. | |
| Die Plaza jedenfalls ist eine der schönsten im ganzen Land. In der | |
| Cafeteria des Goethe-Instituts, das gemeinsam mit der Alliance Française | |
| hier residiert, bekommt man einen wirklich feinen Kaffee, gleich daneben an | |
| der Ecke hat ein guter Architekt ein mehrstöckiges Haus aus Backsteinen mit | |
| Atrium hingestellt, das eine schönen schrägen Blick auf den ebenfalls in | |
| freundlichem "ladrillismo" (Ziegelbauwahn) gehaltenen Kirchturm der | |
| Kathedrale bietet. | |
| Aber die Stadt hat einen schlechten Ruf, und das schon seit ein paar | |
| Jahren. Früher war es nicht so schlimm, da war sie einfach die "Boom City" | |
| im Tiefland Boliviens. Die wuchs und wuchs und blieb dabei doch immer | |
| abgelegene Provinz: Agro-Business, Multis, Erdgas, Karneval, aber wenig | |
| Kultur. Leichtlebige, frivole "Cambas" eben, so heißen die Leute des | |
| Tieflands. Oben in den Anden rümpft man gern die Nase über sie. | |
| Santa Cruz de la Sierra - die Berge sieht man nur von Weitem - ist die | |
| größte Stadt des Tieflands und inzwischen auch die größte des Landes. | |
| Größer als La Paz, als El Alto, als Cochabamba. Dort leben die "Collas", | |
| die Leute des andinen Hochlands. Die Collasuyo-Region war sogar einmal ein | |
| Teil des Inka-Reichs. Das ist zwar lange her, doch seit in La Paz zum | |
| ersten Mal in der bolivianischen Geschichte ein Indígena, ein echter | |
| Aimara-Indianer, Präsident des Landes ist, wird davon wieder mehr Aufhebens | |
| gemacht. Wobei die Aimaras selbst von den Inkas im 15. Jahrhundert erobert | |
| wurden, die dann im heutigen Bolivien viele Quetschuas - so hieß das Volk | |
| der Inkas - ansiedelten. Quetschua und Aimara wird noch heute von zwei | |
| Dritteln der Bevölkerung gesprochen, allerdings nicht von Evo Morales, dem | |
| Präsidenten - auch wenn das immer wieder behauptet wird. | |
| In Santa Cruz spricht man vor allem Spanisch. Oder Guaraní oder sonst eine | |
| indianische Tieflandsprache. La Paz und die Collas sind weit weg, wenn es | |
| auch seit Jahren einen regen Zustrom aus den armen Hochlandgebieten gibt. | |
| Auch deswegen platzt die Stadt aus allen Nähten und verfügt über eine Reihe | |
| von ärmeren Vierteln, die sich um die äußeren "anillos" (Ringstraßen) | |
| gebildet haben. | |
| Hier hat Evo viele Anhänger. Dennoch gilt Santa Cruz als grundsätzlich | |
| Evo-feindlich. Es gab schon Zeiten, da konnte der Präsident nicht einmal | |
| hier landen. Und an vielen Mauern gibt es Graffiti, die nicht gerade | |
| zärtlich mit dem jüngst triumphal wiedergewählten Staatsoberhaupt umgehen. | |
| Auch rund um die Plaza kann man diese Feindschaft immer wieder erleben. Da | |
| ist etwa der grauhaarige Amateurhistoriker, der - eingeladen von der | |
| "nación camba" - im Atrium hinter der Casa de la Cultura lang und breit | |
| erläutert, dass die Region von Santa Cruz im 16. Jahrhundert von Paraguay | |
| her erobert worden sei. Die Schlussfolgerung, dass sie deswegen mit dem | |
| Hochland des jetzigen Präsidenten recht wenig zu tun habe, überlässt er | |
| seinen Zuhörern. Die Ordner der "nación camba", dieser merkwürdigen | |
| nationalistischen Organisation, stehen in ihren hässlichen braunen | |
| Uniformhemden eher ergriffen als Furcht einflößend dabei. In ihren | |
| Schriften und Webseiten fordern sie "radikale Autonomie für ihre | |
| unterdrückte Nation" und beklagen, sie würden durch einen "kolonialen | |
| Zentralismus" des rückständigen Staates ausgebeutet, der ihnen "seine | |
| (andine) Kultur der Unterentwicklung aufzwingen" wolle. Die "unterdrückte | |
| Nation" ist im Übrigen bei weitem die reichste des Landes. | |
| Den meisten Cambas scheint die "nación camba" ziemlich egal zu sein. Man | |
| will gut leben, gute Geschäfte machen, das Leben genießen. Einen eigenen | |
| Camba- Staat will fast niemand. Doch seit in La Paz ein Hochlandindianer im | |
| Präsidentenpalast sitzt, wird der Zentralismus hier noch kritischer beäugt | |
| als vorher. | |
| Natürlich geht es dabei auch um Geld, um die gerechte Verteilung der | |
| Einnahmen aus den hier reichlich vorkommenden Bodenschätzen. Um ganz | |
| normale Fragen des Föderalismus also, die durchaus solidarisch zu lösen | |
| wären, würden nicht Hardliner auf beiden Seiten aus der Sache politisch | |
| Kapital schlagen wollen. Und so beten nun Menschen - und Journalisten - in | |
| aller Welt die von der Regierung in die Welt gesetzte Legende nach, fast | |
| die ganze Stadt bestehe aus Oligarchen und Rechtsradikalen. | |
| Tatsächlich gibt es wirklich eine Menge großmäuliger Großgrundbesitzer, | |
| denen die ganze Richtung in La Paz nicht passt. Da sie bei der | |
| gegenwärtigen Zustimmungsrate für den Präsidenten und ihrer eigenen | |
| politischen Inkompetenz auf demokratischem Wege kaum etwas gegen die | |
| nationale Regierung tun können, haben sie die ursprünglich keineswegs | |
| "rechte" Autonomieforderung als eine Waffe entdeckt. Im Verein mit den | |
| Tieflandprovinzen wollen sie diese Regionen (die sie ihrer Form wegen | |
| "Halbmond" nennen) zur Bastion gegen die indigenistisch-sozialistische | |
| Politik von Morales MAS (Bewegung zum Sozialismus) aus La Paz machen. | |
| Dass sie dafür auch ein paar jugendliche Schreihälse und Schläger gewonnen | |
| haben, ist nicht zu übersehen. Nur: Rassisten sind sie wohl kaum, ein Teil | |
| von ihnen ist selbst indianischer Herkunft. So auch die beiden Anführer der | |
| als rechtsradikal geltenden Jugendorganisation "Union Juvenil" von Santa | |
| Cruz. Alfredo etwa, der Generalsekretär, der sich schon häufig mit der | |
| Polizei herumgeprügelt hat und der fürchtet, Evo wolle sich "so wie Castro | |
| 50 Jahre an der Macht halten". | |
| Diese Angst teilen im Übrigen auch viele weitaus gemäßigtere Cambas. Die | |
| Männer auf der Parkbank an der Plaza etwa sind einfach enttäuscht von dem | |
| Präsidenten. Sie werfen Evo Morales vor, dass er den Hass zwischen oben und | |
| unten, dem Westen und dem Osten geschürt habe, anstatt das Land zu | |
| befrieden. Auch diese Männer sind teilweise Indianer, aber eben | |
| Tieflandindianer, und diese haben mit den Aimaras so viel zu tun wie mit | |
| Kroaten, Deutschen oder Mennoniten. | |
| Sie alle aber gibt es in Santa Cruz, sie alle haben die Stadt aufgebaut, | |
| und sie alle fühlen sich irgendwann als Cambas, sogar die ehemaligen | |
| Einwohner des Hochlands. Es sind das Klima, die Wärme, die tropische | |
| Sinnlichkeit, die sie dazu macht. Dass sie reich oder arm, links oder | |
| rechts, Ausbeuter oder Ausgebeutete sind, haben sie nicht vergessen, aber | |
| es scheint, die meisten sehen das bei diesen Temperaturen alles etwas | |
| lockerer. | |
| Hier kommen Romeo und Julia lieber zusammen, als zu sterben, hier treiben | |
| sie es lieber in der Hängematte, als sich von Familienfehden beirren zu | |
| lassen. "Das Problem ist, dass man in Bolivien den eigenen Leuten nicht | |
| vertraut", sagt Porfirio Azuego, der Regisseur und Schauspieler von | |
| Ditirambo. Vielleicht schaffen Cambas und Collas ja, was bei ihm die | |
| Montagues und die Capulets, die alten Streithansel, schaffen: Sie versöhnen | |
| sich. | |
| 27 Mar 2010 | |
| ## AUTOREN | |
| Thomas Pampuch | |
| ## TAGS | |
| Reiseland Bolivien | |
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