# taz.de -- Privatinsolvenz als letzte Rettung: In sechs Jahren zurück ins Leb… | |
> Immer mehr Menschen gehen pleite. Bei Treffen der Anonymen Insolvenzler | |
> können sie sich die Geschichte ihres Ruins erzählen. Statt Frustration | |
> ist Aufbruchstimmung zu spüren. | |
Bild: Wenn die roten Zahlen immer größer werden, ist die Privatinsolvenz oftm… | |
BERLIN taz | Sie sind pleite. Eine ganze Weile schon. Das verbindet Petra*, | |
51, Verkäuferin und alleinerziehende Mutter eines chronisch kranken Kindes, | |
und Andreas*, 46, Beamter und gescheiterter Käufer einer Immobilie. Sie | |
kennen sich nur mit Vornamen, sehen sich an diesem Abend erst zum zweiten | |
Mal und blicken sich dennoch vertraut in die Augen. | |
"Du hast Angst, kannst nicht mehr schlafen und ziehst dich immer weiter | |
zurück. Es soll ja niemand wissen, dass du pleite bist", beschreibt Petra | |
die Sorgen, die sie hatte, bevor sie im Sommer vergangenen Jahres | |
Privatinsolvenz angemeldet hat. | |
Andreas blickt ihr die ganze Zeit ins Gesicht und nickt. Dann sagt er: "Es | |
fühlt sich an wie ein Strudel, der sich immer schneller dreht. Deine | |
Möglichkeiten werden immer beschränkter. Die Lösungen, die man sich | |
einredet, immer irrwitziger und deine Gedanken immer irrer." Andreas atmet | |
tief ein, richtet seinen Oberkörper auf. "Und dann kommt die Befreiung", | |
sagt er und presst die Luft wieder raus. "Du gehst in die Insolvenz und | |
fühlst dich einfach nur noch erleichtert." Wenn alles gut geht, ist er 2013 | |
wieder schuldenfrei. "Dann knallen die Sektkorken." | |
Kennengelernt haben sich Petra und Andreas bei einem Treffen der Anonymen | |
Insolvenzler in Berlin. Diese Gesprächskreise - initiiert vom Verein | |
"Menschen in Insolvenz und neue Chancen" - gibt es in Deutschland seit | |
knapp einem Jahr. Zunächst in Köln und Hamburg, nun auch in München, | |
Hannover, Dortmund und Berlin. | |
Bedarf dafür gibt es genug: Im vergangenen Jahr haben 100.000 | |
Privathaushalte und rund 35.000 Firmen Insolvenz angemeldet. Für 2010 wird | |
ein Anstieg um weitere 10 bis 20 Prozent erwartet. | |
In Berlin tauchen bei fast jeder Sitzung der Anonymen Insolvenzler neue | |
Gesichter auf. "Zu hören, was andere durchmachen mussten, gibt einem | |
Kraft", sagt Andreas. "Man trifft Leute, die bei Begriffen wie | |
Gerichtsvollzieher oder Insolvenzverwalter nicht blöd gucken, sondern | |
verständnisvoll nicken." | |
Mit ihm und Petra sitzen an diesem Abend noch acht andere Frauen und Männer | |
in einer Bar in Berlin-Kreuzberg. Ihr monatliches Treffen hatten sie zuvor | |
zwei Häuser weiter. Fast 20 Leute waren dort, die meisten zwischen Ende 30 | |
und Anfang 60. Chefs von Betrieben, die pleitegegangen sind, sitzen dabei | |
neben verschuldeten Arbeitnehmern und Beamten wie Petra und Andreas. | |
Es klingt nach amerikanischen Verhältnissen, hört man Andreas Geschichte, | |
wie er fast 200.000 Euro Schulden anhäufte. Man denkt an Privatbankiers, | |
die ohne Rücksicht auf die Liquidität ihrer Kunden Kredite vergeben und | |
damit abkassieren. Andreas wollte zur Jahrtausendwende eine | |
Eigentumswohnung kaufen, die Genossenschaftsbank mit guten Ruf finanzierte | |
ihm das zu 100 Prozent. Nach der Scheidung von seiner Frau konnte er sich | |
die Raten nicht mehr leisten, die Wohnung wurde gepfändet, er musste | |
Privatinsolvenz anmelden. "Heute würde mir die Bank den Vogel zeigen, wenn | |
ich mit meinem Einkommen einen solchen Kredit haben möchte", sagt Andreas. | |
Riskante Geschäfte hat Petra nie gemacht. Sie hatte damit zu kämpfen, sich | |
und ihren schwer kranken Sohn mit ihrem geringen Einkommen durchzubringen. | |
Als sich die Forderungen von Banken - sie hatte mehrere Kredite | |
aufgenommen, unter anderem um Arzneikosten zu begleichen - und die Beträge | |
von aufgeschobenen Rechnungen auf insgesamt 25.000 Euro summierten, meldete | |
sie Privatinsolvenz an. Sechs Jahre wacht nun ein Insolvenzverwalter über | |
ihre Einkünfte und gibt den pfändbaren Teil davon, der für jeden Schuldner | |
individuell berechnet wird, an ihre Gläubiger weiter. Damit am Ende der | |
sechsjährigen sogenannten Wohlverhaltensphase das Gericht einer | |
Restschuldenbefreiung zustimmt - für die Schuldner vorrangiges Ziel einer | |
Privatinsolvenz -, darf Petra keine neuen Schulden machen. Was ihre | |
Einnahmen und Ausgaben in dieser Zeit betrifft, ist sie ihrem Treuhänder | |
gegenüber zu absoluter Transparenz verpflichtet. Bei Verstößen kann ihr die | |
Befreiung der Schulden gerichtlich versagt werden. | |
Für die Rechtsanwälte, die als Treuhänder auftreten, sind Insolvenzen | |
inzwischen ein Millionengeschäft. Allerdings: Je geringer die Schuldenlast, | |
desto geringer der Verdienst für den Insolvenzverwalter. Richtig lukrativ | |
sind daher vor allem Firmenpleiten. "Wie gut man behandelt wird, hängt | |
immer davon ab, ob man eine Kuh ist, die gut gemolken werden kann", sagt | |
Andreas abschätzig über das Verhältnis zwischen Schuldner und | |
Insolvenzverwalter. Er vermisst in seinem Fall vor allem die direkte | |
Kommunikation mit der Person, von deren Arbeit seine gesamte Zukunft | |
abhängt. Wirklich weiter geholfen hätten ihm nur die | |
Schuldnerberatungsstellen, die gemeinnützige Organisationen anbieten. Und | |
der Austausch mit anderen Betroffenen - etwa bei den Anonymen | |
Insolvenzlern. | |
Dass Insolvenzen ein Riesengeschäft in der Juristenbranche sind, lässt sich | |
beim Deutschen Insolvenzrechtstag in Berlin beobachten. Über 800 Teilnehmer | |
sind dazu angereist. Im Viersternehotel haben Kanzleien und Finanzberater | |
Stände aufgebaut, Broschüren werben mit Slogans wie "Durchblick ist | |
Weitblick". | |
Angst vor dem Stigma | |
Neu ist in diesem Jahr, dass auch die Betroffenen gehört werden. Attila von | |
Unruh ist eingeladen. Er ist Ideengeber für die Anonymen Insolvenzler und | |
selbst insolvent. Von Unruh spricht auf dem gleichen Podium, auf dem vorher | |
auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) eine | |
Reform des Insolvenzrechts angekündigt hatte. "Viele Unternehmer scheuen | |
die Insolvenz, weil sie Angst vor dem Stigma haben, das damit verbunden | |
ist. Scheitern ist in Deutschland immer noch ein großer Makel", sagt von | |
Unruh. | |
Wenn sich die Insolvenzler treffen, haben sie keine Angst davor, von | |
jemandem stigmatisiert zu werden. Die Moderatoren sind selbst alle von | |
Insolvenzen betroffen und sorgen dafür, dass jeder Teilnehmer genug Zeit | |
bekommt, seine Geschichte zu erzählen. Viele erwarten beim ersten Besuch | |
ein Sammelbecken von gescheiterten, frustrierten Existenzen - und erleben | |
oft das Gegenteil. Insolvenzler wie Andreas verbreiten regelrecht | |
Aufbruchstimmung: "Insolvenz ist nicht das Ende, es ist eine Wende", sagt | |
er. Jetzt ist es Petra, die nickt und ergänzt: "Wir sind ja keine Assis. | |
Wir haben Fehler gemacht. Aber wir haben nicht betrogen und niemanden | |
beschissen. Deswegen haben wir alle unsere zweite Chance verdient." | |
*Namen geändert | |
27 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Bernd Skischally | |
## TAGS | |
Insolvenz | |
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