# taz.de -- Homosexuelle in der US-Armee: Patriotismus und Paranoia | |
> Soldaten wie Jarrod Chlapowski dürfen nicht über ihre Homosexualität | |
> sprechen, sonst fliegen sie aus der Armee. Die US-Regierung möchte das | |
> entsprechende Gesetz ändern. | |
Bild: US-Soldaten auf einem Stützpunkt in Afghanistan: Wer hier lesbisch oder … | |
WASHINGTON taz | Jarrod Chlapowski hält sich allzeit bereit für die | |
Rückkehr unter die Fahne. Er macht Muskeltraining. Er trägt die Haare | |
millimeterkurz geschoren. Und er respektiert die Regeln militärischer | |
Geheimhaltung. Wer von ihm wissen will, wofür die US-Army seine | |
Koreanischkenntnisse genutzt hat, bekommt als einzige Antwort ein Lächeln. | |
Bloß in einer Frage hat der 29-Jährige mit der militärischen Disziplin | |
gebrochen: seiner Sexualität. Unteroffizier Chlapowski ist schwul. Und er | |
sagt es. Laut. Öffentlich. Und fordernd. | |
Jarrod Chlapowski hat die Armee vorübergehend verlassen. Aber sie ist sein | |
Lebensmittelpunkt geblieben. Als Mitglied der Soldatenorganisation | |
Servicemembers United kümmert er sich jetzt von außen um die Armee. Er | |
redet an Universitäten. Er demonstriert. Er gibt Interviews. Und er hat ein | |
einziges Ziel vor Augen: die Abschaffung der Diskriminierung von | |
Homosexuellen im US-Militär. | |
Sein Publikum, darunter vor allem VeteranInnen wie er selbst, fordert er zu | |
Petitionen, Demonstrationen, Telefon- und E-Mail-Kampagnen auf. "Das Lügen | |
muss aufhören", sagt er. Das sei sein Beitrag zur "nationalen Sicherheit". | |
Homosexuelle dürfen zwar in der US-Armee dienen. Aber sie müssen ihre | |
Sexualität verstecken. Sobald bekannt wird, dass sie lesbisch oder schwul | |
sind - und sei es durch anonyme Denunziation - droht ihnen die Entlassung. | |
So will es das Gesetz Nummer 654 im Militärcode. | |
In den USA wird es "Dont ask, dont tell"-Gesetz genannt: "Frag nicht, sag | |
es nicht." Seit seinem Inkrafttreten im Jahr 1993 sind auf Grundlage dieses | |
Gesetzes 13.389 SoldatInnen aus der US-Armee entlassen worden. Unehrenhaft. | |
Und in der Regel ohne Rentenanspruch. | |
Ursprünglich sollte das Gesetz die Lage der Homosexuellen verbessern. Im | |
Wahlkampf hatte Bill Clinton angekündigt, er wollte ihnen den zuvor | |
versperrten Weg zur Armee öffnen. Doch kaum war er im Amt, prallte er gegen | |
heftige Widerstände in Parlament und Armee. Am Ende machte der damalige | |
Generalstabschef und spätere Außenminister Colin Powell einen | |
Kompromissvorschlag. Es ist eine Anleitung zur Geheimnistuerei: Die Armee | |
öffnet sich für homosexuelle SoldatInnen - und zwingt sie zugleich, sich zu | |
verstecken. | |
Wer eine "Neigung zu homosexuellen Akten zeigt", so begründet Artikel 15 | |
des Gesetzes von 1993, sei "ein inakzeptables Risiko für die hohen | |
Standards von Moral, Ordnung und Disziplin und für den Zusammenhalt in der | |
Einheit, die das Wesen der militärischen Leistungsfähigkeit ausmachen". | |
Als das Gesetz in Kraft tritt, ist Jarrod Chlapowski zwölf Jahre alt. Er | |
wächst bei Atlanta auf, im Bundesstaat Georgia. Der Vater ist | |
Computerfachmann, die Mutter Sekretärin. Seine Eltern waren zu jung für den | |
Vietnamkrieg. Aber seine beiden Großväter haben im Zweiten Weltkrieg | |
gekämpft. Der Opa, dem die Familie den polnischen Namen verdankt, ist schon | |
lange tot. Aber die Geschichten über seine Intelligenz und die sechs | |
Sprachen, die er gesprochen hat, faszinieren den Jungen. | |
Der Großvater ist ein Vorbild. Aber er ist nicht der einzige Grund, sich | |
für die Armee zu melden. Jarrod Chlapowski tut es im Jahr 2000. Die USA | |
haben ihren 11. September noch vor sich. Der "tiefe Stolz auf das Land" und | |
die starke Unterstützung durch die Mutter ermuntern ihn. Und überhaupt gibt | |
es "2,4 Millionen Gründe, zur Armee zu gehen", sagt Jarrod Chlapowski in | |
einer Anspielung auf die Gesamtzahl der US-Soldaten - Reservisten | |
inklusive. In seinem ganz persönlichen Fall wiegt ein einzelnes Argument | |
besonders schwer: die "Männlichkeit". | |
Der 18-jährige Jarrod Chlapowski ficht zum damaligen Zeitpunkt bereits seit | |
Jahren mit sich selbst. Er spürt, dass er anders ist. Aber er mag es nicht | |
zugeben. Katholische Erziehung und konservative Umgebung wiegen schwer. Er | |
hofft, dass die Armee seine "Maskulinität" verstärken wird. Er hält die | |
Armee für "straight" - für heterosexuell. | |
Die ersten neun Wochen in Fort Jackson in South Carolina verändern sein | |
Leben. Der magere Junge lernt, zu marschieren, Schützengräben auszuheben | |
und eine Gasmaske zu benutzen. Zehn Jahre später danach beschreibt er das | |
Grundtraining so: "Aufbrechen des zivilen Denkens, Aufbau einer | |
zusammenhängenden militärischen Perspektive und Einführung in militärische | |
Fähigkeiten". Für Jarrod Chlapowski sind das positive Erfahrungen. "Ich mag | |
die strenge und vorhersehbare militärische Kultur", sagt er. | |
Am Ende der Grundausbildung hat Jarrod Chlaposwki neue Muskeln entwickelt. | |
Sein Körpergewicht ist von 68 auf die 88 Kilogramm gestiegen, die er bis | |
heute hält. Und er hat ein gewachsenes Selbstbewusstsein. Er spürt, dass er | |
seine Sache gut gemacht hat. Und dass er bei Vorgesetzten und Kameraden gut | |
angesehen ist. Zugleich kommt er mit sich selbst ins Reine. Jarrod | |
Chlapowski hat sein Coming-out. Er stellt fest, dass seine Homosexualität | |
nichts ist, das er kontrollieren kann. "Ich musste es akzeptieren", sagt | |
er. Er spricht mit Kameraden. Und stellt fest, dass er nicht der Einzige | |
ist, der gerade diese Erfahrung macht. | |
Die Aussprache mit den Eltern fällt viel leichter aus, als Jarrod | |
Chlapowski befürchtet hat. "Mein Gott", reagiert seine Mutter, "und ich | |
dachte, du hättest ein Mädchen geschwängert." Die US-Armee, bei der er sich | |
für fünf Jahre engagiert hat, stellt seine Sprachbegabung fest. Sie schickt | |
ihn zu einem Intensivkurs für Koreanisch, neben Chinesisch die schwerste | |
Sprache, für die sie Übersetzer braucht. Nach 63 Wochen mit täglich 8 | |
Stunden Unterricht spricht Jarrod Chlapowski fließend Koreanisch. Seine | |
Übersetzungseinsätze für die US-Armee verlaufen problemlos. | |
Im Jahr 2001, als Jarrod Chlapowski seine ersten Erfahrungen als | |
Homosexueller macht, erreicht die Verfolgung von Lesben und Schwulen in der | |
US-Armee ihren Höhepunkt: 1.273 junge Frauen und Männer werden wegen "Dont | |
ask, dont tell" entlassen. Immer mehr US-Staaten verabschieden Gesetze, die | |
zivile Partnerschaften oder Homosexuellen-Ehen ermöglichen. Aber sobald | |
einE SoldatIn als homosexuell denunziert wird, gibt es kein geschütztes | |
Intimleben mehr. | |
Die Armee kann in allen Ecken des Lebens ihrer SoldatInnen herumschnüffeln. | |
Keine medizinische Unterlage und keine Post ist vor ihr sicher. Der schwule | |
Unteroffizier Jarrod Chlapowski erlebt, wie nach und nach sechs Freunde | |
wegen "Dont ask dont tell" entlassen werden. Es sind Leute wie er. | |
Soldaten, in deren Ausbildung die US-Armee viel Zeit und Geld gesteckt hat. | |
Er bleibt verschont. Obwohl er seine Homosexualität nicht versteckt. "Alle | |
wussten es", ist er überzeugt. Auch wenn er es seinem Vorgesetzten nie | |
direkt gesagt hat: "Ich wollte ihn nicht zwingen, mich zu denunzieren." | |
Mehr als 60.000 SoldatInnen der US-Armee sind nach Schätzungen homosexuell. | |
JedeR von ihnen kann jederzeit entlassen werden. Jarrod Chlapowski weiß, | |
dass er keine Karrierechancen in der US-Armee hat. Und spürt, wie er "in | |
einer undurchsichtigen Wolke" steckt. Seine Paranoia wächst täglich. Nach | |
fünf Jahren hält er den Druck nicht mehr aus. Im Jahr 2005 verlässt er die | |
Armee. Studiert politische Wissenschaften. Trifft seinen jetzigen | |
Lebenspartner Alex Nicholson, ebenfalls Ex-Soldat, der trotz arabischer | |
Sprachkenntnisse im Jahr 2002 wegen "Dont ask, dont tell entlassen worden | |
ist. Und gründet zusammen mit ihm Servicemembers United. | |
Die Wahl von Barack Obama und dessen wiederholte Zusage, die | |
Diskriminierung von Homosexuellen in der Armee zu beenden, gibt Jarrod | |
Chlapowski neue Hoffnung. Der 29-Jährige ist "politisch nicht festgelegt". | |
Er ist bloß überzeugt, dass sein Land sich seit 1993 verändert hat und | |
inzwischen auch die Mehrheit der Republikaner für die Gleichstellung in der | |
Armee sei. Für diesen Meinungswandel sorge unter anderem, dass "ein Land, | |
das in zwei Kriege verwickelt ist, es sich nicht erlauben kann, auf | |
Soldaten zu verzichten". | |
Sobald "Dont ask, dont tell" gekippt ist, will Unteroffizier Jarrod | |
Chlapowski wieder zurück in die Armee. Die "militärische Kultur" fehlt ihm | |
seit fünf Jahren. | |
30 Mar 2010 | |
## AUTOREN | |
Dorothea Hahn | |
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