# taz.de -- Microblogging mit Tumblr: Das Durcheinandertagebuch | |
> Wer der Welt erzählen will, dass er auf dem Klo sitzt, der twittert. | |
> Komplexere Gedanken werden gebloggt. Und dann gibt es schon wieder etwas | |
> Neues, das Tumblren. | |
Bild: Tumblr hat ein thematisches Verzeichnis seiner Blogs, in dem aufsteigt, w… | |
Tumblr also. Wieder so ein soziales Netzwerk-Ding. Einfach auf | |
[1][Tumblr.com] gehen, Konto anlegen, E-Mail-Adresse und Passwort. Klick. | |
So leicht wird man Blogger, korrekter gesagt: Microblogger. | |
Der Internetdienst mit dem Namen Tumblr hat im Februar diesen Jahres zum | |
ersten Mal mehr als eine Milliarde Besucher im Monat gehabt. Er wächst und | |
wächst, jeden Tag melden sich 15.000 Menschen an. Obwohl auf den ersten | |
Blick alles netzüblich wirkt: Man kann sich eine eigene Seite anlegen, | |
Videos, Bilder, Texte, Zitate, Links hochladen, für Freunde, Fans und das | |
restliche Netzvolk. Alles so einfach, dass auch die letzten Technikdösel | |
damit zurechtkommen. Und genau darin liegt das Geheimnis. | |
Verquirlte Webstory | |
Um das zu verstehen, eine kurze Einordnung in die Web-Systematik: Blogs | |
sind was für Vielschreiber. Auf Twitter können 140-Zeichen-Textfetzen | |
veröffentlicht werden, eine Art sozialer Herzrhythmusstörung. Youtube, | |
Flickr und MySpace beherbergen Film, Foto und Sound. Facebook speichert den | |
Smalltalk des Menschengeschlechts. Tumblr ist von allem etwas. | |
Die Geschichte von Tumblr ist eine dieser verquirlten Webstorys. Im Jahr | |
2005 ist David Karp, der Gründer aus den USA, gerade mal 18 Jahre alt. Er | |
schmeißt die Schule und programmiert Webseiten. Der Münchner Chris | |
Neukirchen dagegen geht noch zur Schule und bloggt. "Anarchaia" nennt er | |
seine Gedankenfetzen. Er hat viele davon, zu kurz, um einen Text zu | |
bloggen, zu schade, um sie wegzuwerfen. | |
Ebenso findet er Fotos, Links und Zitate im Netz. Er gestaltet "Anarchaia" | |
so, dass dort jedes dieser Elemente unabhängig von den anderen auftaucht. | |
Im Prinzip zerlegt er die Fließtexte der Blogs mit ihren Querverweisen und | |
Kommentaren in Einzelteile. Ein Künstler entdeckt "Anarchaia" und nennt das | |
Konzept einen "tumblelog". Ein Durcheinandertagebuch. Der Blogger Jason | |
Kottke definiert "tumblelog" später als schmutzigen und schnellen | |
Bewusstseinsstrom. Man kann vieles davon auf Wikipedia nachlesen. Und man | |
kann bei Chris Neukirchen anrufen. Der sagt dann, das stimme so. | |
David Karp erzählt am Telefon, wie er und ein anderer Programmierer in New | |
York davon etwas mitbekamen und fanden, es müsse einen Tumblelog-Dienst im | |
Netz geben. Auf dass jeder sein eigenes Durcheinandertagebuch anlegen kann. | |
Heute bietet Tumblr einen Knopf, den man sich im Browser einrichtet. Findet | |
sich im Netz etwas Bemerkenswertes, klickt man darauf und kann einzelne | |
Texte, Bilder oder Links sofort in den eigenen Blog übernehmen. Im Stile | |
Neukirchens - spontan, ohne einloggen. Man wird so zum Kurator, sagen | |
manche. Man stellt die Fundstückchen neu zusammen und beschriftet manche. | |
Karp präsentiert also seine Version ein paar Leuten mit Geld, sammelt | |
800.000 Dollar Risikokapital, hängt seinen Programmierjob an den Nagel. | |
Heute sind es 5,2 Millionen Dollar Risikokapital. Warum geben Investoren | |
solche riesigen Summen für diese Idee? Blogger wollen sich mitteilen, sie | |
seien Schreiber, sagt Karp. "Wir wollen die gleiche Erfahrung allen anderen | |
vermitteln", ergänzt er. Alle anderen, das sind ziemlich viele. | |
Im Netz sehen einige Rezensenten in Tumblr bereits eine neue Form von | |
virtueller, sozialer Interaktion. Wie bei Twitter kann man anderen folgen, | |
ihre Beiträge also abonnieren. Was aber Tumblr groß gemacht hat, ist der | |
Reblog. Angenommen, man findet in einem anderen Tumblr-Blog ein rührendes | |
Bild, ein Kätzchen. Man kann das jetzt nicht einfach direkt kommentieren. | |
Stattdessen bloggt man zurück. | |
Das Bild erscheint dabei auf der eigenen Seite, erst dort kann man seine | |
Gedanken dazu niederschreiben. Anonymes Online-Gepöbel ist damit nicht so | |
leicht möglich. Eine simple Idee mit großer Wirkung. Jeder hinterlassene | |
Gedanke ist auf die eigene virtuelle Identität zurückzuführen, zudem sieht | |
jeder, wer den eigenen Blog zitiert. Falls der andere Blogger - auch das | |
ist möglich - seine Einträge nicht nur für Freunde zugänglich macht. Glaubt | |
man den Kritiken im Netz, sind Tumblr-Blogger deshalb erstaunlich nett | |
zueinander. In den USA gab es bereits über 300 "Tumblr meet-ups", | |
Offline-Treffen von Bloggern. | |
Die leidige Geldfrage | |
Stellt sich die Frage, wie Karp Geld verdienen will. Er habe geduldige | |
Investoren, sagt er, Hauptsache, man wächst. Aus Kundenprofilen Daten für | |
Werbezwecke generieren, das gebe es bei seiner Firma nicht. Sie hat ohnehin | |
erst 13 Angestellte. Werbebanner fehlen, auch wenn jeder in seinen Blog | |
nach Belieben welche einbauen kann. Tumblr bietet über 300 Designvorlagen | |
für die eigene Seite, ein paar kosten Geld. Vielleicht verkaufe man später | |
noch qualitative Musik- oder Videospieler, sagt Karp. | |
Aber er hat noch eine andere Idee: Blogger sollen zahlen, um bekannt zu | |
werden. Tumblr hat ein thematisches Verzeichnis seiner Blogs, in dem | |
aufsteigt, wer häufig empfohlen wird. Für Preise ab neun Dollar lässt sich | |
das eigene Ranking aufbessern. Geld für Beliebtheit? "Wenn du eine Band | |
gründest und dich niemand kennt, dann zahlst du auch Geld für ein paar | |
Flyer und verteilst die. Das ist nichts anders", sagt Karp. Er ist heute 23 | |
Jahre alt und nach eigener Aussage weit davon entfernt, Millionär zu sein. | |
Neukirchen, der erste Tumblelogger, studiert Mathe. Mit ein bisschen mehr | |
Unternehmergeist hätte auch er Tumblr gründen können, sagt er. Das sei aber | |
nicht so wild. Karp und Neukirchen haben sich übrigens noch nie getroffen. | |
In der real World. | |
9 Apr 2010 | |
## LINKS | |
[1] http://www.tumblr.com | |
## AUTOREN | |
Ingo Arzt | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |