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# taz.de -- Debatte Bildung: Lernen, um zu vergessen
> Die deutschen Universitätsreformen verschärfen die soziale Ungleichheit
> und senken den Bildungsstandard und damit die Urteilsfähigkeit.
Universitäten sollen künftig um Investoren und Kunden konkurrieren. Das ist
das Ziel der gegenwärtigen Reformen. Durch den Wettbewerb möchte die
Politik die Universitäten ohne direkten staatlichen Eingriff zwingen, sich
endlich an die Nachfrage von außen anzupassen.
Gleichzeitig zielen die Einschränkung der akademischen Selbstverwaltung,
die Stärkung der Universitätsleitung und das Leitbild der unternehmerischen
Universität darauf, die Universitäten dem neu geschaffenen Markt
anzupassen. Die neuen Bachelor- und Masterstudiengänge sind der
ausschließlichen Definitionsmacht der wissenschaftlichen Fachgesellschaften
entzogen und sollen sich im Wettbewerb auf dem Markt behaupten. Die
zeitlich befristete Akkreditierung der Studiengänge und Rankings soll den
Studierenden eine Orientierungshilfe bieten. Was sich auf den ersten Blick
als eine Beseitigung von lange bestehenden Defiziten darstellt, unterwirft
de facto die Hochschulen einem ökonomischen Regime mit fatalen Folgen.
Eine erste Form der Invasion des ökonomischen Denkens in die Domäne der
akademischen Bildung entsteht aus der Umdeutung der Studierenden in Kunden.
Dieses neue Denkmodell wandelt die Hochschulbildung in eine rein
ökonomische Dienstleistung um, bei der es nur noch darauf ankommt,
Studienangebote durch professionelles Marketing auf dem Markt zu platzieren
und vordergründig die Zufriedenheit der Kunden sicherzustellen. Je mehr
sich das Augenmerk auf die dafür erforderlichen Verkaufsstrategien richtet,
umso mehr tritt der Bildungsprozess selbst in den Hintergrund, der sowohl
engagierte Lehrer als auch neugierige Studierende benötigt.
Ein solcher Bildungsprozess kann nur in einer lebendigen akademischen
Gemeinschaft gelingen, die in den vergangenen vierzig Jahren systematisch
zerstört wurde, indem die wachsende Zahl von Studierenden nicht durch ein
Schritt haltendes Wachstum der Professorenschaft aufgefangen wurde.
Stattdessen wurden in demselben Zeitraum an den Universitäten die
Drittmittelforschung ohne Bezug zur Lehre - zuletzt noch einmal massiv
durch die Exzellenzinitiative - sowie die außeruniversitäre Forschung enorm
ausgebaut. Eine Beteiligung des dadurch gewachsenen Forschungspersonals an
der Lehre würde die Betreuungsrelationen auf ein Maß bringen, bei dem eine
akademische Gemeinschaft von Lehrenden und Lernenden wieder aufblühen
könnte. Auch die Forschung würde davon nur profitieren. Zudem müssten die
Mitarbeiterstäbe der Lehrstuhlinhaber durch Juniorprofessuren mit
geregelten Aufstiegsaussichten ersetzt werden.
Eine zweite Form der Angleichung der akademischen Bildung an
wirtschaftliche Dienstleistungen resultiert aus dem Bologna-Prozess. Die
damit verbundene Modularisierung der Studiengänge führt zur oberflächlichen
Vermittlung von Wissen als Fastfood, ohne dass die Studierenden lernen,
größere Zusammenhänge zu verstehen und tiefer in die Gegenstände der
Erkenntnis hineinzuschauen. Es herrscht das kurzsichtige Abhaken von Kursen
und Sammeln von Punkten. Alles muss schnell wieder vergessen werden, um
Platz für die nächsten Punkte zu schaffen.
Es ist kein Wunder, dass unter diesen Bedingungen lebenslanges Lernen unter
Anleitung durch die OECD zum boomenden Geschäft einer expandierenden
Bildungsindustrie heranwächst. Lebenslanges Lernen wird zum Selbstzweck,
nach dem die Wachstumsraten der Weiterbildung schon als Erfolg gelten, ganz
gleich, ob dabei überhaupt etwas gelernt wird. Die Weiterbildungsindustrie
lebt sogar davon, dass Nichtlernen unablässig Anlass zu weiterem Lernen
bietet. Urteilsfähige Persönlichkeiten bilden sich bei dieser Art der
Fastfood-Bildung nicht heraus.
Eine dritte Form der Unterwerfung der akademischen Bildung unter
ökonomische Prinzipien folgt aus der Verschärfung des Wettbewerbs um den
Prestigewert von Bildungszertifikaten. Sie ergibt sich aus dem
Zusammenspiel von Bildungsexpansion und Vermarktlichung der Bildung. Die
Bildungsexpansion bedeutet, dass mehr Studierende miteinander um höhere
Bildungsabschlüsse konkurrieren. Die Vermarktlichung der Bildung
impliziert, dass Hochschulen untereinander um Studierwillige konkurrieren.
Dabei ist der Prestigewert der angebotenen Zertifikate von entscheidender
Bedeutung, weil sich durch den bloßen Sachwert kaum sichtbare, die
Studienwahl maßgeblich beeinflussende Differenzen zwischen den
Studiengängen schaffen lassen.
Auf diese Weise differenziert sich der Bildungsmarkt - maßgeblich
unterstützt durch Realität schaffende Rankings - zunehmend in ein
exklusives Premiumsegment kapitalstarker Universitäten mit hohen
Eintrittsschwellen, ein mittleres Segment für die breite Masse und ein
unteres Segment für die bildungsferneren Schichten. In den USA sehen wir
das in der Differenzierung der Hochschulen in reiche, überwiegend private
Spitzenuniversitäten, mittlere Staatsuniversitäten und unten rangierende
Community Colleges. Die Forschung zeigt, dass der familiäre Hintergrund der
entscheidende Faktor für den Aufstieg in diesem System ist. Aus der großen
Ungleichheit im Prestigewert der Bildungszertifikate folgt wiederum eine im
internationalen Vergleich große Ungleichheit der erzielten Einkommen. Im
Verein von Exzellenzinitiative, Bologna-Prozess und Vermarktlichung der
Hochschulbildung sind wir in Deutschland auf dem besten Weg in eine solche
Gesellschaft größerer Ungleichheit.
Der neoliberale Umbau der Hochschulen führt keineswegs in die versprochene
schöne neue Welt der akademischen Bildung. Und es wäre fatal, wenn wir das
Feld widerstandlos McKinsey & Co. überlassen würden.
14 Apr 2010
## AUTOREN
Richard Münch
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