# taz.de -- Zum Pulitzer-Preis für "Pro Publica": I read the news today, oh boy | |
> Mit der gemeinnützigen Recherche-Plattform "ProPublica" wird erstmals ein | |
> Onlinemedium mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichnet. Über die Wiedergeburt | |
> des Journalismus. | |
Bild: Der Pulitzer-Preis für die gemeinnützige Recherche-Plattform "ProPublic… | |
NEW YORK taz | Nirgendwo auf der Welt war der Kollaps des | |
Zeitungsjournalismus so spektakulär wie in den Vereinigten Staaten. Der | |
"Perfect Storm" aus Internet, Finanzkrise, einbrechenden Anzeigeneinnahmen | |
und drastisch steigenden Produktionskosten haben bereits einige | |
traditionsreiche Blätter aus dem Markt gedrängt. Andere verordneten sich | |
einen empfindlichen Sparkurs, und fast alle Titel müssen mit | |
furchteinflößenden roten Zahlen klarkommen. Daher ist es keine allzu große | |
Überraschung - schon gar nicht, wenn man sich die tausende arbeitslos | |
gewordenen Journalisten anguckt - , dass die USA auch bei der Entwicklung | |
alternativer Konzepte an der Spitze stehen. Der Pulitzer-Preis für die | |
gemeinnützige Recherche-Plattform "ProPublica" spricht hier Bände. | |
Auch andere dieser neuen Erfolgsgeschichten wie "Politico", die "Huffington | |
Post" oder "Real Clear Politics" sind schon international bekannt. Die | |
meisten werkeln als eher obskure Non-Profit-Start-ups in provisorischen | |
Büros in Städten wie Minneapolis, Baltimore und Berkeley. Doch gerade diese | |
vielfältigen neuen Formen für unabhängigen Journalismus helfen immerhin ein | |
bisschen, die immer noch reichlich offenen Fragen zu beantworten, was wenn | |
überhaupt die bereits verlorenen Nachrichtenmedien ersetzen wird. | |
Eine vielversprechende Nische sind lokale Internetnachrichtenseiten wie die | |
bereits 2006 gegründete "Voice of San Diego". Hinter der Seite steht ein | |
lokaler Unternehmer, den die immer spärlichere Berichterstattung der | |
einzigen Tageszeitung frustriert hat. Denn der Umfang der San Diego Union | |
Tribune wurde mal eben halbiert. | |
Heute bietet die nicht gewinnorientiert arbeitende "Voice" mit ihren gerade | |
einmal zwölf Reportern lokale Nachrichten pur über und für die | |
San-Diego-Bay-Region: investigative Recherchen über die Kommunalverwaltung, | |
Unternehmen, Bildung und Umwelt. Sie hat Betrugsfälle bei lokalen | |
Entwicklungsagenturen aufgedeckt und Manipulationen der Polizeistatistik | |
genauso öffentlich gemacht wie Ungereimtheiten beim städtischen | |
Pensionsfonds. Mit Erfolg: "Voice"-Geschichten gewinnen heute nationale | |
Journalistenpreise und helfen, die Lücke zu füllen, die durch die Kürzungen | |
bei der Union Tribune entstanden sind. Das nötige Budget - rund 1 Million | |
Dollar pro Jahr - stammt aus Spenden, von örtlichen Stiftungen, aus | |
Werbeeinnahmen und von Sponsoren aus Industrie und Wirtschaft. | |
Dabei gibt es für die "Voice" scharfe Konkurrenz: Das "San Diego News | |
Network" (SDNN) ist ein gewinnorientiert arbeitendes Onlineangebot, bei dem | |
viele ehemalige Union-Tribune-Journalisten untergekommen sind. SDNN sammelt | |
Nachrichten und Berichte aus anderen Quellen und Medien, die mit dem | |
Material von einigen wenigen Mitarbeitern angereichert werde. Dazu kommen | |
Beiträge von Freien und Bloggern. Anders als bei der "Voice" sind hier auch | |
Sport, Unterhaltung, Essen & Trinken sowie Reisen Thema. Eigentümer von | |
SDNN, ein örtliches Geschäftsleutepaar, hatten für den Start rund 2 | |
Millionen Dollar bei ebenfalls lokalen Investoren gesammelt und wollen das | |
SDNN-Modell in 40 andere Städte übertragen. | |
Und San Diego ist kein Einzelfall, wenn es um neue journalistische | |
Ökosysteme geht, die den alten etablierten großen Tageszeitungen, die | |
bislang die Szenerie dominierten, Konkurrenz machen. Am Zusammenfluss von | |
Missouri und Mississippi haben vom einst ruhmreichen St. Louis | |
Post-Dispatch gefeuerte Mitarbeiter den "St. Louis Beacon" gegründet. "The | |
MinnPost.com" aus Minneapolis bietet "Qualitätsjournalismus für Menschen, | |
denen Minnesota am Herzen liegt" "St. Louis Beacon" wie die "MinnPost" | |
haben beide Jahresbudgets von einer runden Million Dollar, die aus einem | |
Mix von Werbeeinnahmen, Stiftungsgeldern und privaten Spenden stammen. | |
Eine Studie der renommierten Columbia Journalism Review mit dem schönen | |
Titel "The Reconstruction of American Journalism" lobt genau diese lokalen | |
Initiativen, weil sie "manche Lücken, die der Abbau von redaktionellen | |
Leistungen der Tageszeitungen mit sich bringt, kompensieren - vor allem mit | |
Blick auf die Kontrolle der örtlichen Administration und lokale | |
Berichterstattung". Allerdings seien "diese Start-ups finanziell nicht | |
stabil. Ihre Personaldecke, aber auch ihr Publikum ist klein, zudem sind | |
sie höchst unregelmäßig über das Land verteilt". | |
Auf nationaler Ebene haben ehemals leitende Redakteure des Wall Street | |
Journal und des Oregonian aus Portland das größte Non-Profit-Start-up an | |
den Start gebracht: "ProPublica" ist ein investigatives Projekt, das sich | |
als "Wachhund" vor allem mit Blick auf Investitionsprogramme der | |
US-Regierung begreift. Und dessen Chef, Ex-Wall-Street-Journal-Mann Paul | |
Steiger, der nun frohlockt: "Der Pulitzer-Preis ist der Beweis, dass unser | |
Modell funktioniert." Das Besondere daran: Hier arbeiten rund drei Dutzend | |
Redakteure eng mit einem Netzwerk aus freiwilligen "Bürgerreportern" in - | |
so "ProPublica" - "Professional-Amateur-Teams" zusammen. Diese | |
"Freiwilligen" begleiten über 500 der rund 6.000 Programme, mit denen die | |
Obama-Administration die US-Wirtschaft ankurbeln will. | |
"ProPublica" ist dabei eine der vielen up-and-coming Medienorganisationen, | |
die einen Sugardaddy hinter sich wissen: In diesem Fall sind es die | |
Multimilliardäre Herbert und Marion Sandler, die ihr Vermögen mit der | |
Golden West Bank gemacht haben. Doch was passiert, wenn Gönner wie die | |
Sandlers morgen entscheiden, die Chefredaktion zu feuern? Ebendas ist | |
kürzlich bei "Harpers" passiert, wo der Präsident, Herausgeber und | |
Hauptmäzen John R. McArthur, Köpfe rollen ließ. Bei solchen Konstruktionen | |
gibt es kaum etwas, was gegen die Launen der Wohltäter und ihren Einfluss | |
auf das Produkt gefeit wäre. Und natürlich wirft der Rückgriff auf Amateure | |
wie bei "ProPublica" Fragen nach deren Qualifikation und Zuverlässigkeit | |
auf. | |
Auch "Politico" aus Washington hat sich schnell zum schnell geklickten | |
"Must-Read" für Nachrichtenjunkies entwickelt. Die Website sah sich beim | |
Start 2007 mit ähnlichen skeptischen Fragen wie heute "ProPublica" | |
konfrontiert. Seitdem hat "Politico" aber bekannte Journalisten angezogen | |
und heute rund 70 feste Mitarbeiter. Nach Onlinemaßstäben ist "Politico" | |
ein phänomenaler Erfolg mit durchschnittlich drei Millionen "Unique | |
Visitors" im Monat - nur ganze zehn Onlineangebote von Zeitungen | |
verzeichnen noch mehr Klicks (zum Vergleich: Spiegel Online hat 5,7 | |
Millionen, taz.de rund 0,5 Millionen "Unique Visitors" insgesamt). Doch | |
Politicos Haupteinnahmen stammen von einer gedruckten Zeitung. Die hat zwar | |
nur eine bescheidene Auflage von rund 32.000 Exemplaren, zirkuliert aber | |
exklusiv unter den Mächtigen der US-Hauptstadt und kommt so an | |
entsprechende Anzeigen. Politico kommt damit knapp an den Break-Even heran. | |
Doch bislang hat niemand ein Rezept, mit dem Verkauf von Anzeigen, | |
Nachrichten oder Kommentaren im Web Geld zu verdienen. | |
Und nicht überall herrscht Begeisterung über Politicos erbarmungslose Jagd | |
nach provokativen Überschriften und top-aktuellem Klatsch und Tratsch. | |
Michael Scherer, Korrespondent der New York Times im Weißen Haus, schreibt | |
über "Politico": "Die Inhalte werden mehr und mehr in ihre | |
Elementarteilchen zerlegt, werden zur Serie unmittelbarer, ständig | |
aktualisierter, flüchtiger und oft überflüssiger Informationsbröckchen, die | |
möglichst emotionale Reaktionen auslösen sollen." | |
Zudem werden neue Organisationsformen des Journalismus ausprobiert. | |
Kriselnde Tageszeitungen wie der Miami Herald und die Palm Beach Post | |
setzen Journalismus-Studenten für die Lokalberichterstattung ein. Die | |
University of Missouri mit einer der ältesten und größten | |
Journalistenschulen der USA hat seit 1908 eigene Tageszeitung, die nun mehr | |
und mehr die lokale Berichterstattung in Columbia sichert. Die Northwestern | |
University hat sogar ihren eigenen "Nachrichtendienst" in Washington. | |
Einige dieser Journalistenschulen planen aktuell, professionelle | |
Journalisten in ihren Colleges zu "embedden": Sie sollen gegen ein | |
entsprechendes Gehalt eine gewisse Anzahl von Stunden unterrichten, um so | |
eine finanzielle Basis für ihren eigentlichen Job zu haben. | |
Doch das Hauptproblem aller Non-Proftit-Start-ups bleibt das Geld. Alle | |
sind bislang zu einem gewissen Grad auf Mäzene und Spender angewiesen, wie | |
dies beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk der USA traditionell üblich ist. | |
Daneben gibt es eine große Anzahl von Stiftungen wie die Pew, Knight, | |
Carnegie, MacArthur und Rockefeller Foundation, die die neuen Initiativen | |
unterstützen. | |
Daneben wird über staatliche Unterstützung für Journalismus debattiert. Der | |
Columbia-Report schließt so mit vorsichtigem Optimismus - und einer | |
Warnung: Die US-Gesellschaft müsse kollektiv Verantwortung übernehmen und | |
unabhängigen Journalismus unter dessen neuen Rahmenbedingungen | |
unterstützen. Genauso, wie es die amerikanische Gesellschaft bereits in | |
wesentlich weiterem Rahmen für öffentliche Güter wie Bildung, das | |
Gesundheitswesen und die Kultur getan habe - "durch eine Kombination aus | |
Philanthropie, Subvention und zielgerichteter Politik". | |
15 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Paul Hockenos | |
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