Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Missbrauch an der Odenwaldschule: Altschüler fordern Aufklärung
> Zur 100-Jahr-Feier der Odenwaldschule diskutieren ehemalige Schüler über
> sexuellen Missbrauch. Sie fordern eine Umstrukturierung und den Erhalt
> des "freien Geistes" der Schule.
Bild: Die Altschüler sind sich einig: Die Odenwaldschule hat eine Bringschuld.
Man hätte die Auftaktveranstaltung zur 100-Jahr-Feier der Odenwaldschule im
südhessischen Ober-Hambach für ein Ehemaligentreffen der heute Fünfzig- bis
über Sechzigjährigen halten können. "Die Odenwaldschule stellt sich" hatte
das Internat angekündigt. Im Theatersaal drängten sich zur
Podiusmdiskussion ausser den Medien vor allem ehemalige SchülerInnen, eine
eingeschworene, diskursfreudige Versammlung mit unterschiedlichster
Erfahrung und Position zu der Aufdeckung der bisher bekannten 40
Missbrauchsfälle in den Jahren zwischen 1966 und 1991.
Direktorin Margarita Kaufmann eröffnete die Veranstaltung mit großen
Worten: Die Schule sei "durch ein Erdbeben ohnegleichen ins Wanken
geraten". Sie versuchte den schwierigen Spagat zwischen den Ansprüchen an
sie, denen sie sich manchmal nicht mehr gewachsen fühle. Die einen warfen
ihr in den letzten sechs Wochen vor, sie habe durch ihre intensive
Öffentlichkeitsarbeit den Ruf der Schule beschädigt und unbewiesene
Behauptungen und Gerüchte in die Welt gesetzt habe. Andere kritisierten
sie, weil sie Hexenjagd und Selbstjustiz betreibe und den Eindruck erwecke,
nach forcierter Aufklärung möglichst schnell wieder in den Alltag
zurückkehren zu wollen, dritte forderten schonungslose Offenlegung
sämtlicher Fakten.
Auf dem Podium saßen die AltschülerInnen Thomas Bockelmann, Johannes von
Dohnanyi, Amelie Fried und Quintius von Tielemann, außerdem Julia von
Weiler für die Organisation Innocence in Danger und die Rechtsanwaltin
Claudia Burgsmüller. Artig stellten sich die Ehemaligen, wie alle
Ex-Mitschüler im Saal, mit Jahrgang und Verweildauer vor. Und unisono
lobten sie zuerst einmal ihre Schule über den grünen Klee.
Nur von Tielemann berichtete über die "permanenten Grenzverletzungen",
Versuchen sexueller Übergriffe, deren er sich habe erwehren müssen. Als er
dies seinen Eltern berichtete, hätten sie ihm einfach nicht geglaubt.
Thomas Bockelmann erinnerte, dass man schon etwas geahnt habe, "mit einer
pubertierenden Halbunschuld". Die Odenwaldschule sei auch ein
"Reparaturbetrieb" für Eltern gewesen, die mit ihren Kinder nicht zurecht
kamen: "Die haben uns ja da hingebracht, weil sie uns los sein wollten."
Immer wieder war die Rede davon, dass gerade der damalige Direktor und
Reformpädagoge Gerald Becker ein beliebter und "begnadeter Lehrer" gewesen
sei. Dies, so Julia von Weiler, sei gerade das Wesen der Kinderverführer,
die in ihrer Auswahl der Opfer "sehr gute Menscheversteher" seien. Am
schmerzlichsten sei die Erkenntnis der "Zweckbestimmtheit" der Zuneigung.
Rechtsanwältin Claudia Burgsmüller, mit der Erfassung und juristischen
Aufarbeitung der Aussagen der Missbrauchsopfer betraut, betonte mehrmals,
sie sei keine "Sonderermittlerin", sondern "Aufklärerin". Sie warnte vor
"überstürztem Handeln". Die reine Sammlung und Aufarbeitung der Übergriffe
werde "noch Wochen, wenn nicht Monate" dauern.
Alle Diskutanten waren sich einig, dass die Odenwaldschule jetzt eine
"Bringschuld" habe. Sie müsse beweisen, dass sie noch immer etwas
Besonderes sei, müsse aufklären, umstrukturieren und dennoch den freien
Geist und die guten, pädagogischen Errungenschaften erhalte, sagte Amelie
Fried. Bisher habe sie den Eindruck gehabt, dass der Trägerverein nur
"widerwillig und jammrig" zurückgetreten sei, nachdem er eingestehen
musste, schon 1999 über die Vorwürfe informiert gewesen zu sein.
Das sei für sie so erschienen, als fühle sich "irgendwie hier überhaupt
keiner für irgendetwas verantwortlich". Aus dem Publikum meldeten sich
wenige ehemalige und derzeitige Lehrkräfte zu Wort. Kaufmann erklärte das
mit den Schwierigkeiten, erst einmal begreifen zu müssen, dass bei manchen
eben auch ehemalige Kollegen, Freunde und Bekannte zu den Tätern gehören.
***
Dieser Text ist für Sie kostenlos verfügbar. Dennoch wurde er nicht ohne
Kosten hergestellt! Wenn Ihnen der Text gefallen hat, würden wir uns
freuen, wenn Sie der taz dafür einen kleinen Betrag bezahlen. Das können
wenige Cent sein - wir überlassen es Ihnen.
Für unabhängigen Journalismus: taz-Konto 39316106 | BLZ: 10010010 |
Postbank Berlin - Verwendungszweck "taz.de".
18 Apr 2010
## AUTOREN
Heide Platen
## ARTIKEL ZUM THEMA
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.