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# taz.de -- Gesteigerte Aktivitäten bei der Bundesregierung: 300 Euro auch fü…
> Die Regierung verabschiedet eine Reihe von Beschlüssen zur Bildungs- und
> Arbeitsmarktpolitik. Darunter auch das umstrittene Nationale
> Stipendienprogramm.
Bild: Dier schwarz-gelbe Troika: Annette Schavan (CDU), Ursula von der Leyen (C…
BERLIN taz/dpa | Als Troika traten gestern Bildungsministerin Annette
Schavan (CDU), Arbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) und
Wirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in Berlin vor die Presse, um
neueste Kabinettsbeschlüsse zu erklären und Einschätzungen zur
wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland abzugeben. Kurz vor den
Landtagswahlen in Nordrhein-Westfalen am 9. Mai übt sich die schwarz-gelbe
Regierung damit demonstrativ in Handlungsfähigkeit.
Am Mittwochmorgen hatte das Kabinett getagt und grünes Licht für diverse
Arbeitsmarktmaßnahmen und den Aufbau des Nationalen Stipendienprogramms
gegeben. "Damit machen wir die Studienfinanzierung zukunftstauglich",
beschied Schavan. "Jeder junge Mensch soll sich darauf verlassen können,
dass seine Entscheidung für eine gute Bildung nicht an finanziellen Hürden
scheitert", sagte die Bildungsministerin und bedauerte, dass immer noch zu
wenige Studenten aus einkommensschwachen Familien stammten.
Dass der neue Kabinettsbeschluss daran etwas ändert, wird von Kritikern
vehement bestritten. Denn das neue Stipendienprogramm sieht vor, dass bis
zu zehn Prozent der leistungsstärksten Studenten ein monatliches,
BAföG-anrechnungsfreies Stipendium von 300 Euro erhalten - völlig
unabhängig vom Einkommen der Eltern.
Statt nur Kinder aus einkommensschwachen Haushalten zu fördern, vergibt die
Regierung die zusätzliche Finanzspritze also auch an Nachwuchs aus
wohlhabenden Haushalten. Dabei hatte das Hochschul-Informations-Systems
(HIS) mit einer Studie 2009 belegt, dass schon jetzt ein Großteil der
Stipendiaten aus gut verdienenden Akademikerhaushalten stamme. Kinder aus
einkommens- und bildungsschwachen Elternhäusern bezögen hingegen selten ein
Stipendium.
Selbst der wirtschaftsnahe Stifterverband für die deutsche Wissenschaft
hatte vor diesem Hintergrund das Stipendienprogramm, das unter anderem auf
den nordrhein-westfälischen Wissenschaftsminister Andreas Pinkwart (FDP)
zurückgeht, kritisiert. Der Stifterverband mahnte ebenso wie Stipendiaten
verschiedener Stiftungen an, dass bei der Geldvergabe auch Kriterien wie
die soziale Herkunft berücksichtigt werden müssten.
SPD-Vize-Vorsitzende Hannelore Kraft griff gestern die Kritik auf und warf
der Regierung "unerträgliche Klientelpolitik" vor. Die Vizevorsitzende des
Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Ingrid Sehrbrock, erklärte, das
Stipendienprogramm werde die Spaltung an den Hochschulen vertiefen. Auch
der Studentendachverband fzs meldete sich zu Wort: "Es kann nicht sein,
dass ein Breitenförderungsinstrument missbraucht wird, um eine
Eliteförderung auszubauen", sagte Vorstandsmitglied Florian Kaiser. Der
hochschulpolitische Sprecher der Grünen, Kai Gehring, monierte zudem, dass
die BAföG-Förderung im Gegensatz zu den Stipendienplänen "mickrig"
ausfalle.
Das Kabinett hatte zuvor auch eine Erhöhung der Ausbildungsförderung für
Studenten (BAföG) beschlossen. Vom Beginn des kommenden Wintersemesters an
werden die Einkommensfreibeträge im BAföG um drei Prozent und die
Bedarfssätze um zwei Prozent angehoben. Der Förderungshöchstsatz steigt
damit auf monatlich 670 Euro. Die Erhöhung macht im Schnitt jedoch nur 13
und maximal 22 Euro im Monat aus. Trotzdem zeigte sich die
Bildungsministerin optimistisch, dass bis Ende 2010 der Kreis der
Studenten, die BAföG erhalten, um rund 50.000 größer sein werde.
Weitere Änderungen sehen unter anderem vor, die Altersgrenze zum
BAföG-Bezug bei Aufnahme eines Master-Studiums von 30 auf 35 Jahre
anzuheben. Die Einschränkung, dass die Beantragung der Förderung nur bis zu
drei Jahre nach Aufnahme des Studiums möglich ist, wird abgeschafft.
Damit soll Frauen, die in den ersten Jahren ihres Studiums ein Kind
bekommen und ihr Studium unterbrechen, der Zugang zum BAföG offen gehalten
werden.
Ob die Umsetzung des Nationalen Stipendienprogramms so reibungslos
vonstatten gehen wird, wie die Regierung sich das wünscht, bleibt
abzuwarten. Nach Informationen des Handelsblatt lehnt der Bundesverband der
Arbeitgebervereinigung (BDA) finanzielle Zusagen für das Programm ab. Die
Finanzierung von Stipendien sei "keine originäre Aufgabe der Unternehmen".
Schwierigkeiten könnten sich so für die Universitäten ergeben. Sie sind
angehalten, 150 Euro für jeden Stipendiaten aus der eigenen Tasche zu
finanzieren bzw. von außen einzuwerben. Erst dann legen Bund und Länder die
restlichen 150 Euro dazu.
Gleich mehrere Beschlüsse fasste das Kabinett gestern zudem für den
Arbeitsmarkt. So wird die staatliche Förderung des Kurzarbeitergelds, die
ursprünglich Ende 2010 ausgelaufen wäre, um 15 Monate verlängert.
Noch bis Ende März 2012 übernimmt die Bundesagentur für Arbeit (BA) die
Sozialbeiträge für kurzarbeitende Arbeitnehmer. Wie bisher in den ersten
sechs Monaten zur Hälfte und ab dem sechsten Monat vollständig. "Wir
schaffen damit Planungssicherheit für die Unternehmen", sagte
Bundesarbeitsministerin von der Leyen. Sie stellt aber auch klar: "Das
läuft jetzt noch bis Ende März 2012 und dann ist Schluss."
Von der Leyen verwehrte sich gegen Vorwürfe, das Kurzarbeitergeld lade zu
Mitnahmeeffekten ein. "Alle müssen dazu zahlen". Sie bezifferte die Kosten
des Kurzarbeitergelds für das Jahr 2009 auf 4,8 Milliarden für die
Arbeitgeber, 2,6 Milliarden für Arbeitnehmer durch Lohneinbußen und auf 5,4
Milliarden Euro für den Staat. Die Verlängerung der Maßnahme bis 2012 werde
die BA rund 800 Millionen Euro kosten.
Nach der Zustimmung des Kabinetts steht seit gestern auch die Reform der
Jobcenter fest. Um auch weiterhin die Zusammenarbeit von BA und Kommunen
bei der Betreuung von Arbeitslosen in den Jobcentern zu gewährleisten,
einigte sich die Regierung auf eine Grundgesetzänderung. Diese war nötig
geworden, nachdem das Bundesverfassungsgericht die praktizierte Form
"Mischverwaltung" zwischen Bund und Kommune in den Jobcentern als
verfassungswidrig kritisiert hatte.
Mit der Reform kann auch die Zahl der Optionskommunen, in denen die Kommune
Bezieher von Arbeitslosengeld II ("Hartz IV") in Eigenregie betreut, von 69
auf maximal 110 aufgestockt werden. Von der Leyen betonte, dass es es
künftig möglich sei, über gemeinsame Zielführung und Datenerfassung
zeitnahe Vergleiche zwischen den Arbeitsweisen der Jobcenter und Kommunen
zu ermöglichen. "Nichts ist motivierender als der öffentliche Vergleich",
betonte von der Leyen. Das Gesetz zur Jobcenterreform solle voraussichtlich
am 9. Juli den Bundesrat passieren und zum ersten Januar 2011 in Kraft
treten.
Am Mittwoch beschloss das Kabinett zudem, sich verstärkt um die Förderung
von arbeitslosen Jugendlichen, Alleinerziehenden und Älteren zu kümmern.
Man nehme jetzt die Menschen in den Blick, die schwieriger in Arbeit zu
vermitteln seien, sagte von der Leyen.
Jugendliche unter 25 Jahren müssen vom Jobcenter oder einer Optionskommune
künftig innerhalb von 6 Wochen verpflichtend in
Ausbildung oder Arbeit vermittelt werden. Nehmen sie die Angebote des
Fallmanagers zum Nachholen einer Schulausbildung, eines Arbeitsplatzes oder
von Beschäftigungsmaßnahmen nicht an, werden Sanktionen verhängt. Künftig
soll ein Fallmanager für 75 Jugendliche zuständig sein. Derzeit liegt die
Betreuungsquote bei 1:83.
Brigitte Pothmer, Sprecherin der Grünen für Arbeitsmarktpolitik,
kritisierte den Beschluss: "Frau von der Leyen startet keine
Vermittlungs-, sondern eine Propagandaoffensive." Das "ganze Manöver" helfe
Jugendlichen nicht weiter. Stattdessen sollten der Vorrang für Ausbildung
im Gesetz verankert und genügend Ausbildungsplätze geschaffen werden,
forderte Pothmer.
Als zweite Gruppe sollen künftig rund 650.000 Alleinerziehenden, die Hartz
IV erhalten, stärker in den Fokus der Jobcenter rücken. 20 Prozent der
Mütter mit Kindern unter drei Jahren wollten arbeiten, zitierte von der
Leyen neuere Untersuchungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und
Berufsforschung (IAB). Es sei nötig, dass sich die Jobcenter verstärkt um
die Kinderbetreuung von Alleinerziehenden kümmerten. "Das Argument,
Kitaplätze gibt es nicht, gilt nicht mehr", stellte die Ministerin klar.
Dort, wo keine Kitaplätze zur Verfügung stünden, könnten die Kommunen mit
Geldern der BA Tagesmütter qualifizieren. Auch soll künftig in jedem
Jobcenter eine neu einzustellende Chancengleichheitsbeauftragte die
Mitarbeiter für die Bedürfnisse der Alleinerziehenden sensibilisieren. An
eine Ausweitung des Rechtsansprüchs auf einen Kitaplatz ist dabei nicht
gedacht. Beschlossen ist seit längerer Zeit, dass ab 2013 für jedes Kind
unter drei Jahren solch ein Rechtsanspruch besteht.
Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Manuela Schwesig bezeichnete die Pläne
von der Leyens als nicht ausreichend. "Ohne geeingete Betreuungsangeboete
können Alleinerziehende nicht erwerbstätig sein", erklärte sie. Schwesig
forderte als einen ersten Schritt "von der Bundesregierung einen
Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung speziell für Kinder von
Alleinerziehenden".
Auch Langzeitsarbeitslose über 50 Jahre werden künftig stärker gefördert.
Bestehende Beschäftigungsprojekte für Ältere sollen ausgeweitet werden.
"Das Netz soll flächendeckend werden", informierte von der Leyen.
Seit gestern steht auch fest, dass die 20 Millionen Renter im laufenden
Jahr wegen gesunkener Löhne eine Nullrunde erwartet. Die Regierung
beschloss, die aktuellen Rentenbeträge unverändert zu lassen. Ohne die
ausgesprochene Rentengarantie wäre eine Kürzung fällig geworden.
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21 Apr 2010
## AUTOREN
Eva Völpel
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