# taz.de -- Studentenproteste in Marokko: Schwerter, Steine und Herzrasen | |
> Studentendemos in Deutschland? Eher lahm im Vergleich zu dem, was an | |
> Marokkos Unis in den Neunzigern passierte. Ein Erlebnisbericht. | |
Bild: Gehörte in Marokko zum Protest dazu. | |
Die rund 300 Kölner Studentinnen und Studenten waren gut frisiert, gut | |
gekleidet und gut gelaunt. Sie bildeten den ersten Protestzug, den ich in | |
Deutschland erlebt habe und der sich gemächlich, ja leidenschaftslos | |
voranwälzte. An der Spitze brüllte ein Student in sein Megafon Parolen, die | |
manche der Protestierenden hinter ihm wiederholten. | |
Viele beschränkten die Teilnahme aufs Mitlaufen und unterhielten sich dabei | |
mit ihren Freunden. Und wenn der Zug gerade nicht weitergehen wollte oder | |
konnte, dann schrie der mit dem Megafon: "Hinsetzen, hinsetzen!", und | |
plötzlich saßen alle auf dem Boden. | |
Dass sich dies in einem Protestzug ereignen würde, hätte ich nie gedacht. | |
Das Wort "Spaß", das ich nur wenige Tage vor diesem Protest im Deutschkurs | |
gelernt hatte, wurde für mich konkret. Steinewerfen, Knüppelschläge und | |
Herzrasen – das sind meine Erinnerungen an Proteste, denn so habe ich es | |
während meines Studiums in Marokko erlebt. | |
Auch den Raum "Universität" habe ich in Marokko anders wahrgenommen. Er war | |
der einzige Ort, an dem das Volk und nicht der Staat den Verhaltenskodex | |
vorschrieb und wo folglich ganz andere Regeln als im Rest der Gesellschaft | |
herrschten. Es wurde nicht nur von der Revolution gesprochen. Sie wurde | |
gelebt. Es wurde dafür gekämpft. | |
An diesem Kampf war ich beteiligt. Das Studium an sich war nur Nebensache. | |
Gelernt habe ich immer maximal drei Wochen vor den Klausuren. Andere haben | |
nie ein Lehrbuch angerührt. Vom Beruf waren wir „Studentische Aktivisten“ | |
und die Uni war unsere Festung, in die der Staat nicht einbrechen konnte, | |
ohne blutige Auseinandersetzungen zu riskieren. | |
Doch die Proteste sollten nur innerhalb der Mauer bleiben. Es war wie ein | |
unausgesprochener Kompromiss zwischen Staat und studentischer Bewegung. Die | |
paar Male, wo Studenten in den Städten demonstrierten, wurde scharf | |
geschossen. | |
Auf dem Campus kam es oft zu Konfrontationen mit der Polizei. Meist wenn | |
sie einen von uns festnehmen oder wenn sie in den Campus eindringen | |
wollten. In diesem Fall wurde nicht diskutiert, stattdessen gingen die | |
Scheiben der Streifenwagen zu Bruch. Doch verglichen mit den Schlachten mit | |
der Staatsgewalt, die meist damit endeten, dass sich die Polizei an die | |
Grenzen des Campus zurückzog, waren die Schlachten mit den Islamisten weit | |
gefährlicher und gewalttätiger. | |
Mindestens zweimal im Jahr überfielen sie den Campus. Kaum Studenten. | |
Handwerker, Arbeitslose oder andere Söldner waren unter ihnen – mit | |
Schwertern und Macheten bewaffnet. Hatten wir es geschafft, die Islamisten | |
bis an die Campusgrenze zu vertreiben, wo die Polizisten standen, dann | |
bekamen wir es mit denen zu tun. | |
Nach einigen Jahren Aufenthalt in Deutschland bin auch ich bei einem | |
studentischen Protest mitmarschiert. Gegen die Studiengebühren. Ich habe | |
die Parolen aus dem Megafon gehört und sie, so laut ich gerade wollte, | |
wiederholt. Ich habe mich hingesetzt, als alle sich hingesetzt haben. | |
Als der Protest zu Ende war, bin ich allein nach Hause gegangen. Ich | |
verspürte zu keinem Zeitpunkt das Angstgefühl, das mich während meiner | |
Studienzeit in Marokko begleitet hatte. Denn im Gegensatz zu dort herrschen | |
hier für alle dieselben Regeln. Es herrscht Demokratie. | |
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taz-Autor Khalid El Khaoutit beschreibt in der sonntaz seine Erinnerungen | |
an die gewaltsamen Studentenproteste in Marokko. | |
23 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Khalid El Kaoutit | |
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