# taz.de -- Alarmierendes Studienergebnis: Bildungskrise an der Ruhr | |
> Die Region Ruhr hat eine Vorstudie für einen Bildungsbericht in Auftrag | |
> gegeben. Die Ergebnisse sind miserabel: 25 Prozent Armut, bis zu 30 | |
> Prozent Schülerschwund. | |
Bild: Schönes Panorama, bittere Realität: Das Ruhrgebiet wird älter und düm… | |
Berlin taz | Das Papier liest sich wie ein Bericht Marke "The Day After", | |
am Tag nach der Katastrophe. Die Autoren stellen fest, dass in der Region | |
rund ein Viertel der Menschen in Armut lebt. "Dabei fallen die Armutsquoten | |
umso höher aus, je jünger die Kinder sind." Zudem kann man manche Orte in | |
der Gegend als aussterbende Areale bezeichnen. In Unna etwa wird die Zahl | |
der 10- bis 16-Jährigen um satte 30 Prozent zurückgehen. | |
Man kann es kürzer fassen, was in der [1]["Vorstudie Bildungsbericht Ruhr"] | |
(PDF) steht: Das Ruhrgebiet wird älter - und dümmer. Die Frage ist: Was | |
macht die Region mit diesen Erkenntnissen, die seit Dezember 2009 | |
vorliegen? Die Antwort lautet: Sie veröffentlicht das Papier, das der taz | |
exklusiv vorliegt, erst mal nicht. "Das ist ein spontaner Bericht", sagt | |
Michael Schwarze-Rodrian, "er ist noch in Arbeit und nicht reif zu | |
Veröffentlichung." | |
Schwarze Rodrian ist Projektleiter der Studie. Er arbeitet bei der | |
Wirtschaftsförderung Metropole Ruhr GmbH, und was er sagt, klingt ein | |
bisschen merkwürdig, wenn man in das Papier hineinsieht. Der Vorbericht | |
besteht nicht etwa aus eilig zusammengehefteten Blättern, sondern ist ein | |
stattliches, 121 Seiten starkes Druckwerk, das auf ziemlich aktuellen | |
Zahlen beruht. | |
Beteiligte Forscher sagen, es handle sich um seriöses Papier mit Daten, die | |
bekannt waren, die gleichwohl in der Zusammenstellung für eine Region "in | |
dieser Deutlichkeit nicht erwartbar" gewesen seien. "Es handelt sich um | |
schwerwiegende Probleme, die struktureller Art sind", sagte einer der | |
Forscher der taz. | |
Die Wirtschaftsförderung sieht das ähnlich. "Es sind besorgniserregende | |
Befunde", sagt ein Mitarbeiter der Wirtschaftsförderung. Zugleich aber | |
hätten die Wissenschaftler Zahlen und Daten geliefert, "die hervorragend | |
geeignet sind, um in Abstimmung mit den Städten die Bildung im Ruhrgebiet | |
auf ein ganz anderes Niveau zu heben." Dass das Papier weiter in Schubladen | |
schmoren und begutachtet werden muss, habe nichts mit der Wahl in | |
Nordrhein-Westfalen am 9. Mai zu tun. | |
Das kann man glauben oder auch nicht. Die Annahmen der derzeit noch | |
amtierenden schwarz-gelben Landesregierung jedenfalls stehen in krassem | |
Gegensatz zu dem, was der Bericht aufzeigt. Während Ministerpräsident | |
Jürgen Rüttgers (CDU) tapfer an der gegliederten Schule und auch an der | |
Hauptschule festhalten will, machen die Autoren die Risiken dieser | |
Strategie deutlich. Denn die Hauptschule sei die "Achillesferse" der | |
allgemeinbildenden Schulangebote. | |
Die Schülerrückgänge an den Hauptschulen fallen im Vergleich zum restlichen | |
Land an der Ruhr noch dramatischer aus. Der Bericht rechnet vor, dass die | |
unter besonderer Finanznot leidenden Städte und Gemeinden der Ruhrmetropole | |
einen Überhang von 20,4 Prozent Hauptschulen haben. Das sind 10 Prozent | |
mehr als in Rest-NRW. Der Pott muss dafür einen doppelt so hohen | |
Finanzaufwand als der Rest des Landes betreiben, nur um die Hauptschule zu | |
erhalten - obwohl nur noch wenige in diese Schulform wollen. | |
Von den Grundschulabgängern im Ruhrgebiet gehen nur 10 Prozent auf die | |
Hauptschule. Der Bericht weist nachdrücklich darauf hin, dass bei dieser | |
Quote eine soziale Problemverdichtung stattfindet, die ein erfolgreiches | |
Lernen quasi nicht mehr möglich macht. Kein Wunder, dass die Forscher in | |
dem noch unveröffentlichten Bericht übereinstimmend feststellen: "Die | |
Metropole Ruhr wird um Strukturreformen im Bildungssystem nicht | |
umhinkommen." Zu den Autoren zählen unter anderen der Pisa- und | |
Igluforscher Wilfried Boos, die Expertin für Frühpädagogik Lilian Fried | |
(Dortmund), die den Sprachtest für Vorschüler entwickelt hat, und Detlef | |
Müller-Böling von CHE Consult. | |
Besonders benachteiligt sind Migranten an der Ruhr. Abweichend von der | |
Situation in den Kreisen der Ruhrmetropole ist in den meisten Städten des | |
Ruhrgebiets, wo der Anteil der Migrantenkinder an der Schülerpopulation bis | |
zu 40 Prozent ausmacht, fast jeder zweite Hauptschüler ein Migrant. | |
Insgesamt 15,1 Prozent der Migranten verlassen die Schule ohne Abschluss. | |
Damit ist der Anteil der Schüler mit Zuwanderungsgeschichte an den | |
Schulabgängern mit unzureichender Bildung 2,5-mal so groß wie bei den | |
deutschen Schülern. | |
Das ist deswegen so bitter, weil die Zahl der Kinder in der Region | |
dramatisch abnimmt. In NRW sinkt die Zahl der 10- bis 16-Jährigen um 20 | |
Prozent, die Teenie-Zahlen schrumpfen in den Städten Bottrop, Hagen, Hamm, | |
Recklinghausen, Wesel und Unna sowie im Ennepe-Ruhr-Kreis um bis zu ein | |
Drittel. Lediglich Mülheim, Dortmund und Essen stehen mit minus 17 Prozent | |
ein wenig besser da. | |
28 Apr 2010 | |
## LINKS | |
[1] /fileadmin/static/pdf/Vorstudie_Bildungsbericht_Ruhr.pdf | |
## AUTOREN | |
B. Schumann | |
C. Füller | |
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