# taz.de -- Henning Mankells großer Abschied: Die Wallander-Dämmerung | |
> Der schwedische Schriftsteller Henning Mankell übergibt seinen größten | |
> Helden dem Vergessen. Kommissar Wallander tritt ab - auf ganz alltägliche | |
> und traurige Weise. | |
Bild: Bereitet seinem Helden, Kurt Wallander, einen leises, schleichendes Adieu… | |
Diesmal klang es tatsächlich glaubhaft, wenn Henning Mankell im Vorfeld | |
versicherte, dies sei nun aber wirklich der letzte Wallander-Roman. Und | |
tatsächlich, er hat für seinen Helden einen Abgang vorgesehen, der dessen | |
Wiederkommen definitiv unmöglich macht. Denn wenn der Kommissar mit "Der | |
Feind im Schatten" seinen letzten Fall bearbeitet hat, wird der Alzheimer | |
ihn holen kommen. Das wars also; und es passt zu Wallander, dass er nicht | |
mit einem großen dramatischen Knall abtritt, sondern auf diese traurige, | |
schicksalhafte und doch so alltägliche Weise. Jetzt heißt es also ernsthaft | |
Abschied nehmen. | |
Kurt Wallander war einer, den man einerseits mögen musste ob seiner | |
menschlichen Schwächen und seiner Normalität, der einem aber auch auf die | |
Nerven gehen konnte mit dieser ins Grämliche lappenden Schwermut, diesem | |
altmännerhaften (zu Beginn der Serie, die nie eine sein sollte, war Kurt ja | |
gerade mal um die vierzig!) "Was ist aus unserem Schweden | |
geworden"-Gejammer, das einem eine dauerhafte Beziehung zu ihm ernsthaft | |
erschwerte. | |
Allerdings ist zuzugeben, dass wohl jeder fühlende Mensch an Wallanders | |
Stelle angesichts der in den Romanen gehäuft auftretenden blutigen | |
Gräueltaten im dünn besiedelten Südschweden zum misanthropischen | |
Melancholiker hätte werden müssen. So kann die Wallandersche Schwermut vor | |
allem als logische Folge der Lebenshärte im Mankellschen Schonen gesehen | |
werden. | |
Dessen Ähnlichkeit mit dem realen Schonen ist in fast jeder Hinsicht | |
beträchtlich, nur im Hinblick auf die Verbrechensquote hebt es sich vom | |
Original sehr deutlich ab. Den diffusen Kulturpessimismus des Helden, der | |
sich an durchaus realen Phänomenen abarbeitet - Einwanderung, | |
Globalisierung, Öffnung Schwedens nach Europa -, zu spiegeln und zu stützen | |
durch ein fiktives, zumindest aber grotesk übertriebenes Bedrohungsszenario | |
durch scheinbar grenzenlos gewordene Gewaltausübung, zeugt letztlich | |
weniger von der reaktionären Grundhaltung der Figur Wallander als vielmehr | |
von einer reaktionären Grundprämisse der literarischen Konstruktion. | |
Henning Mankell, der als linksliberaler Gutmensch bekannt ist (und der den | |
Staat Israel lieber heute als morgen abgeschafft sähe), würde diese These | |
wahrscheinlich weit von sich weisen. Doch dass es zumindest nicht | |
unproblematisch ist, einen Helden als Sympathieträger anzubieten, der | |
mitunter wenig aufgeklärte Ansichten vertritt, weiß der Autor auch. So | |
lässt er Wallanders literarische Existenz in "Der Feind im Schatten" nicht | |
ausklingen, ohne ihn vorher noch im Epilog - rückblickend auf seinen ersten | |
Fall "Mörder ohne Gesicht" - sinnieren zu lassen: "Er hatte zugeben müssen, | |
dass sich unter seiner freundlichen und toleranten Oberfläche dunkle, | |
vielleicht rassistische Ansichten verbargen. Das hatte ihn erschreckt. Er | |
hatte sie ausgemerzt, heute waren sie nicht mehr vorhanden." Damit ist das | |
ja auch noch geklärt. | |
Die Zeiten, da Wallander schwer am Zustand der schwedischen Gesellschaft | |
trug, sind ohnehin vorbei. In "Der Feind im Schatten" (aus dem Schwedischen | |
von Wolfgang Butt. Zsolnay Verlag, 590 S., 26 Euro) ist es vor allem die | |
eigene Befindlichkeit, die den Kommissar bedrängt. Er ist nun sechzig, was | |
ja eigentlich kein Alter ist; doch ein Diabetiker mit Gewichtsproblemen | |
trägt daran schon etwas schwerer. Und als wären nicht schon die ständigen | |
Schwankungen des Blutzuckerwerts Menetekel genug, wird der Ermittler auch | |
noch gebeutelt von Gedächtnisaussetzern und einem Pseudo-Herzinfarkt. Die | |
anderen fünfzig Prozent der sechshundert Romanseiten widmet er einem Fall, | |
der wie eine nostalgische - man könnte auch sagen: wenig originelle - | |
Anleihe bei den Agentenromanen des Kollegen Jan Guillou anmutet. | |
Realer historischer Hintergrund dafür sind jene sowjetischen U-Boote, die | |
in den Achtzigerjahren im schwedischen Sperrgebiet auftauchten. Um die | |
fiktive Sichtung eines mysteriösen U-Boots und deren Vertuschung von | |
höchster Stelle webt Mankell seinen Plot, muss dafür allerdings eine | |
aufwendige Stützkonstruktion zimmern. Linda, Kurts Tochter, wird zu diesem | |
Zweck liiert mit einem Börsenspekulanten aus adeligem Hause, dessen Vater | |
ein hoher Marineoffizier a.D. ist. Als nacheinander der Exoffizier und | |
dessen Frau verschwinden, nicht ohne dass der Offizier dem Kommissar aus | |
Ystad vorher von einem U-Boot erzählt hat, dessen Sichtung geheimgehalten | |
werden sollte, braucht Wallander noch eine geraume Weile, bis ihm auf Seite | |
201 endlich dämmert, dass möglicherweise eine Spionageintrige hinter dem | |
Verschwinden des Ehepaares steht. | |
Diese Retardierung der Handlung ist in diesem letzten aller Wallanders | |
besonders augenfällig. Der Leben des Helden ist allemal wichtiger als das | |
Vorantreiben des kriminalistischen Plots, der immer wieder Ruhephasen | |
durchläuft. Henning Mankell liebt es, eingeschliffene dramaturgische | |
Leseerwartungen zu unterlaufen. Während andere Autoren sich immer noch an | |
die vor einem Jahrhundert gemachte Beobachtung des Formalisten Viktor | |
Sklovskij halten, dass, wenn in einer Kriminalerzählung ein Gewehr an der | |
Wand hängt, später auch damit geschossen werde, kümmern Mankell solche | |
zeitlosen Genregesetze wenig. Würde man sich mit geschärftem | |
formalistischem Instrumentarium an seinem Werk zu schaffen machen, käme man | |
womöglich zu dem Schluss, dass es gar keine Krimis sind, die er schreibt. | |
Auch in "Der Feind im Schatten" bleibt der Fall, von dem hier die Rede ist, | |
letztlich ungelöst, auch wenn es Wallander gelingt, zumindest das größte | |
Rätsel annähernd zu klären. Doch zahlreiche Hinweise und Motive weisen - | |
auch darauf wird im Epilog sogar ausdrücklich hingewiesen - nach wie vor | |
ins Leere. Was ist aus dem Stein geworden, der auf dem Schreibtisch des | |
Offiziers gelegen hatte und dann verschwand? Wer wurde warum erschossen? | |
Warum standen neben einer Leiche ihre Schuhe? Weder Wallander noch wir | |
werden es je erfahren. | |
Das Gute daran ist: Es macht nichts, weil es darum ja gar nicht geht. Wenn | |
der Autor auffällig ein Paar Schuhe neben einer Leiche platziert, um am | |
Schluss zu erkennen zu geben, dass er keine Ahnung habe, was das solle, tut | |
er das Gegenteil dessen, worauf die meisten anderen Genrekollegen aus sind. | |
Er simuliert das wahre Leben, mehr noch: Er stellt es aus in all seiner | |
Unerklärlichkeit, Lächerlichkeit und Unvollendetheit. Dieselbe Behandlung | |
wird seinem Helden zuteil. Mit diesem Verfahren ist Mankell in Kurt | |
Wallander ein Charakter gelungen, der auf eine ziemlich unnachahmliche Art | |
und Weise echt ist, einer, der deutlicher als andere fiktive Charaktere aus | |
den Buchseiten steigt und lebt. Dass er, unabhängig von seiner papierenen | |
Existenz, eine Karriere als Fernsehfigur gemacht hat, die nacheinander von | |
drei verschiedenen Schauspielern dargestellt wurde (zuletzt von den | |
verdienstvollen, aber eigentlich viel zu dünnen Mimen Krister Henriksson | |
und Kenneth Branagh), hat ihm weder geschadet noch seinen Autor irritiert. | |
Er habe dabei sehr viel über Wallander gelernt, sagt der freundlich. | |
Die Fernsehpräsenz der Wallander-Figur dürfte bewirken, dass diese | |
mittlerweile ihren Autor an Prominenz deutlich übertrifft. Auch Werbegelder | |
fährt Kurt Wallander ganz allein ein. Das allerdings würde einem nicht | |
einmal auffallen, wenn nicht dem Buch - bei einem 600-Seiten-Band ist das | |
ein echtes Versäumnis - das Lesebändchen fehlte. Wenn man es auf der Suche | |
nach einem als Lesezeichen brauchbaren Etwas schüttelt, fällt eine kleine | |
Werbebroschüre heraus: "Immer auf der richtigen Spur. Mit Kurt Wallander | |
und seinem Peugeot". Man kann eine Probefahrt vereinbaren. | |
Eigentlich ist das ja gar nicht so schlimm. Warum sollen Schriftsteller | |
nicht mit Werbung Geld verdienen dürfen; und Mankell steckt es bestimmt in | |
irgendein schönes Afrika- (oder Palästina-)Projekt. Und trotzdem: Wer | |
Wallander kennt, weiß, dass es nicht zu ihm passt, für irgendeinen | |
Autohersteller schauzufahren. Hätte man ihn gefragt, so hätte er Nein | |
gesagt. | |
30 Apr 2010 | |
## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
## TAGS | |
Kommissar Wallander | |
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