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# taz.de -- IG-Metallchef über Wirtschaftskrise: "Uns hat man den Krieg erklä…
> IG-Metall-Chef Berthold Huber über die fehlende Aufarbeitung der
> Wirtschaftskrise, die Macht der Konsumenten und seine Idee einer sozialen
> marktwirtschaftlichen Demokratie.
Bild: "Es fehlt an Anerkennung für diejenigen, die den gesellschaftlichen Reic…
taz: Herr Huber, am 1. Mai, am Tag der Arbeit, gehen Gewerkschafter
traditionell auf die Straße. Ist das nicht ein überholtes Ritual?
Berthold Huber: An diesem Tag zu demonstrieren ist unverändert wichtig. Es
ist ein Tag für die Würde der Arbeit, für die Würde der Arbeitnehmer und
Arbeitnehmerinnen. Sie sind nicht nur dafür da, Produkte in die Welt zu
setzen, sondern müssen auch als gleichberechtigte Menschen akzeptiert
werden.
Das ist doch eine Selbstverständlichkeit.
Leider nicht. Es fehlt in der Gesellschaft an Anerkennung und Respekt für
diejenigen, die den gesellschaftlichen Reichtum schaffen. Ohne Arbeit gibt
es keinen Wohlstand - diese Wahrheit bleibt, auch wenn sich heute Arbeit
vielfältiger darstellt als vor 40 Jahren. Und auch wenn wir vor großen
strukturellen Änderungen durch die Krise stehen.
Hat die deutsche Gesellschaft die richtigen Lehren aus der Krise gezogen?
Nicht im Geringsten. Bisher fehlt eine fundierte Analyse dieser Krise, die
nicht nur eine einfache Konjunkturkrise ist, sondern eine tiefe
Strukturkrise. Der marktradikale Kapitalismus hat eine Führungsschicht
hervorgebracht, die durch Gier nach höchsten Renditen und
Verantwortungslosigkeit gekennzeichnet ist. Spaltung und sozialer Zerfall
der Gesellschaft sind die Folgen. Wir brauchen eine schonungslose
Aufarbeitung, wie es zu diesem Desaster kommen konnte. Notwendig ist ein
echter Kurswechsel, sonst ist die nächste Krise vorprogrammiert.
Sie fordern eine Wahrheitskommission zur Krisenaufarbeitung. Wie soll die
aussehen?
Es gibt doch Akteure, die das System aus Spekulation und
Rücksichtslosigkeit organisiert haben und damit diese Krise
heraufbeschworen haben. In den USA gibt es eine Debatte im Senat und in der
Öffentlichkeit, etwa über die Rolle der Banken. In Deutschland hingegen
fehlt diese Kultur der offenen Aufarbeitung. Bei uns werden die Banken
geschont. Niemand will für das Desaster verantwortlich gewesen sein.
Herr Ackermann soll also öffentlich verhört werden?
Ich will niemanden verurteilen oder bildlich gesprochen an den Galgen
bringen. Aber eines muss doch klar sein: Bestimmte Dinge darf es in Zukunft
nicht mehr geben - und dies erfordert eine Benennung der Verantwortlichen
und der Fehler im Denken und Handeln.
Waren vor allem überzogene Renditeerwartungen die Ursache der Krise?
Ja, das ist einer der wichtigsten Gründe. Wir sind mit horrenden
Renditeforderungen konfrontiert worden, zum Beispiel im Maschinenbau, wo
jeder weiß, dass zweistellige Renditen unrealistisch sind.
Was sind andere Gründe?
Spätestens ab 1990, mit dem Ende der Ost-West-Teilung, ist der weitgehende
Konsens in Politik und Gesellschaft, dass es den Leuten einigermaßen gut
gehen soll, gebrochen worden. An dessen Stelle ist die Gier nach
unbegrenzter Profitmaximierung getreten. Es hat sich das Dogma
durchgesetzt, die Wirtschaft bliebe am besten sich selbst überlassen. Der
Staat hat sich immer weiter zurückgezogen. Immer mehr öffentliche Bereiche
sind der Renditelogik unterworfen worden. Parteien und Politik haben
versagt, weil sie nicht gegengesteuert haben.
Haben auch die Gewerkschaften versagt?
Auch die Gewerkschaften haben die Gefahren nicht gleich erkannt, benannt
und sich zunächst auch nicht eindeutig und selbstbewusst genug
positioniert. Und das, obwohl man den Gewerkschaften den Krieg erklärt hat.
Krieg? Ist das nicht übertrieben?
Chefs großer Wirtschaftsverbände haben öffentlich darüber gejubelt, dass
Unternehmen aus den Arbeitgeberverbänden austreten und damit tarifflüchtig
werden. Marktradikale Akteure haben das deutsche System der sozialen
Marktwirtschaft in Frage gestellt.
Sie fordern jetzt eine "geistig-moralische Wende" hin zu einer nachhaltigen
Wirtschaft. Wie soll das gehen?
Ich maße mir nicht an, auf alle Fragen eine Antwort zu haben. Aber man muss
doch eine Vorstellung von der Zukunft der Gesellschaft entwickeln.
Welche haben Sie?
Zum Beispiel die: Es geht nie ohne die Beteiligung der Menschen. Die alte
Form der Ökonomie, dass jemand bestimmt, etwa der Vorstand, und die anderen
dann die Befehle zu befolgen haben, wird nicht mehr funktionieren. Es
braucht eine neue Form der Mitsprache und Mitbestimmung. Deswegen brauchen
wir eine Erweiterung der Mitbestimmungsregeln.
Reicht das?
Wir müssen auch das Aktienrecht reformieren. Bislang sind Vorstand und
Aufsichtsrat der großen Aktiengesellschaften lediglich verpflichtet, im
Sinne der Aktionäre zu handeln. Sie müssen sich aber den Beschäftigten und
dem Allgemeinwohl gegenüber verantworten. Die Aktionäre leben schließlich
auch von der Gesellschaft.
Der Staat hat seine teuren Konjunkturpakete kaum mit Auflagen an die
Industrie verknüpft. Ist die Chance, Strukturelles zu ändern, nicht längst
vertan?
Bildhaft gesprochen: Wer auf dem letzten dünnen Ast in der Krone eines
morschen Baumes sitzt und wieder herunterwill, für den ist Springen keine
gute Idee. Ihm bleibt nur, wieder zurückzuklettern. Ein grundlegender
Kurswechsel braucht Zeit. Ich bin überzeugt davon, dass sich Unternehmen
umorientieren müssen, zum Beispiel in der Automobilindustrie. Sie kann
nicht weitermachen wie bisher, wir brauchen neue, ressourcenschonende
Mobilitätskonzepte.
Muss der Staat die Preise für den Naturverbrauch erhöhen, damit alle
sparsamer mit den Ressourcen umgehen?
Das kann man nicht einfach so machen. Aber wir müssen Monopole verhindern.
Nehmen wir die Stahlindustrie: Es kann doch nicht sein, dass weltweit nur
drei Konzerne Zugriff auf Eisenerz haben - und dass solche wichtigen
Rohstoffe Spekulationsobjekte an den Börsen werden. Da brauchen wir eine
staatliche Regulierung, national und international.
Die Regierung plant eine Sonderabgabe für Banken. Ein gelungenes Beispiel
für staatliche Regulierung?
Diese Bankenabgabe soll etwas mehr als 1 Milliarde Euro pro Jahr bringen.
Wir haben aber schon mindestens 147 Milliarden Euro öffentliches Geld
direkt und indirekt für die Sicherung des Finanzmarktes in die Hand
genommen - also brauchen wir 147 Jahre bis zum Ausgleich. Das ist doch
Wahnsinn! Im Übrigen gibt es unter den G-20-Staaten dazu nur blumige Worte,
aber keine Taten.
Wenn der Staat versagt, können es die Verbraucher dann über einen
bewussteren Konsum richten?
Die Einkaufsentscheidungen von Privatpersonen allein reichen nicht. Viele
können sich den Kauf ökologischer und fairer Produkte ja gar nicht leisten.
Aber natürlich, es gibt auch eine persönliche Verantwortung.
Einkaufen bei Schlecker ist also verboten?
Sie spitzen das auf Namen zu. Ich sage: Wenn ich anständige Verhältnisse
für mich haben will, muss ich mich persönlich auch anständig verhalten,
auch wenn es etwas teurer ist. Am Ende des Tages geht es ja nicht nur
darum, was man hat, sondern auch, wie man sich fühlt und ob man guten
Gewissens in den Spiegel schauen kann.
Selbst in der Biobranche fehlen allerdings oft faire Arbeitsbedingungen.
Müssen die Gewerkschaften das Thema Konsumenten offensiver erklären?
Ja, das müssen sie. In meinen Augen ist das 21. Jahrhundert ein Jahrhundert
der Unsicherheit und Instabilität, deshalb müssen Gewerkschaften für
stabile Verhältnisse kämpfen. Ich fordere: Die neoliberale Marktwirtschaft
muss durch eine soziale marktwirtschaftliche Demokratie ersetzt werden. Im
Unterschied beispielsweise zur Linkspartei ist nicht die Eigentumsfrage
entscheidend, sondern die Frage der Mitbestimmung und umfassende
Mitsprache. Das heißt aber auch: Die Gewerkschaften müssen sich viel mehr
als bisher den Fragen zuwenden: Wie und was wird produziert? Und wie wird
konsumiert?
Wie müssen sich Firmen in der Metall- und Elektrobranche umstellen?
Ein Beispiel: In Deutschland gibt es drei große Druckmaschinenhersteller,
die auf dem Weltmarkt führend sind. Seit langem ändert sich das
Kommunikationsverhalten der Menschen, sie lesen weniger Bücher und
Zeitungen und mehr Texte online. Diese Industrie wird es also schwer haben,
obwohl die Beschäftigten Spezialisten und hervorragend ausgebildet sind.
Wir müssen den Strukturwandel sozial gestalten und für flexible Übergänge
auf dem Arbeitsmarkt sorgen.
30 Apr 2010
## AUTOREN
R. Rother
U. Schulte
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