# taz.de -- Die 85-jährige Esther Bejarano kämpft gegen Nazis: Hip-Hop der Ho… | |
> Die jüdische Musikerin Esther Bejarano spielte im Mädchenorchester von | |
> Auschwitz und überlebte so den Holocaust. Derzeit tritt sie mit der | |
> Kölner Hip-Hop-Combo Microphone Mafia auf und engagiert sich gegen Nazis. | |
Bild: Kämpft mit Rap gegen Nazis: Esther Bejarano mit der Kölner Hip-Hop-Comb… | |
taz: Frau Bejarano, mit der Kölner Hip-Hop-Combo Microphone Mafia haben Sie | |
die CD "Per la Vita" aufgenommen. Ihre Lieder wurden mit einem Hip-Hop-Beat | |
unterlegt und neue, gerappte Texte kamen zu ihrem Gesang dazu. Mögen Sie | |
Hip-Hop-Musik wirklich? | |
Esther Bejarano: Ich kann nicht sagen, dass ich sie liebe. Sie ist mir viel | |
zu laut und das Rumgehopse auf der Bühne ist auch nicht mein Fall. Die | |
Rapper habe ich aber schon gemäßigt. | |
Was interessiert Sie an der Zusammenarbeit? | |
Zum einen, wie unsere Musik mit den Texten der Rapper zusammenpasst. Die | |
sind wirklich gut. Zum anderen, dass eine Alte wie ich mit ganz jungen | |
Leuten auf der Bühne steht. Es kommen drei Generationen zusammen, aber auch | |
drei verschiedene Religionen. | |
Welche denn? | |
Wir Bejaranos sind Juden, Kutlu Yurtseven ist Moslem und Rossi Pennino ist | |
Christ. Es ist auch eine Aussage, dass man gemeinsam arbeiten und leben | |
kann. Gerade mit den Rappern teilen wir Erfahrungen von | |
Ausländerfeindlichkeit: Wir wollen zeigen, dass diese Erfahrungen nicht | |
Vergangenheit, sondern auch bittere Gegenwart sind. | |
Wie kamen Sie mit der Microphone Mafia in Kontakt? | |
Sie haben uns gesucht. Einverstanden war ich auch nur, weil ich das Projekt | |
politisch gut, eine tolle Mischung und ein Mittel zum Zweck finde. Ein | |
Mittel gegen Nazis und Antisemitismus. | |
Die CD soll auf dem Schulhof als Gegenstimme zu rechten Musik-CDs verteilt | |
werden. Wer kommt zu Ihren Konzerten? | |
Ganz gemischt, auch viele alte Leute sind von dem Projekt begeistert. | |
Mittlerweile kommen sogar Anfragen aus dem Ausland, da viele Zeitungen | |
darüber berichteten. Neulich bekam ich einen Anruf aus den USA, aus | |
Cincinnati, von einem Mann, den ich 60 Jahre nicht gesehen habe. Krümel, | |
was machst du denn für Sachen, sagte er. Früher haben mich alle Krümel | |
genannt, da ich so klein war. Er will Auftritte für uns organisieren. Auch | |
das Goethe-Institut will, dass wir in Jerusalem, Tel Aviv, Prag und | |
Istanbul spielen. | |
Sie gehen auf große Tournee? | |
Wir sind natürlich bereit, obwohl ich nicht weiß, wie lange ich es noch in | |
meinem Alter mache. Es ist ein wichtiges Projekt, gerade in der heutigen | |
Situation von Ausländerfeindlichkeit. Es ist eine Katastrophe mit den | |
Nazis, eine Schande für Deutschland. Die Regierung macht nichts. Darum | |
müssen wenigstens wir was tun. | |
Wie kamen Sie zur Musik? | |
Schon bei meinen Eltern spielte Musik eine große Rolle. Mein Vater hatte | |
eine wunderschöne Stimme, er war Kantor in der jüdischen Gemeinde, sang | |
Opern und leitete Arbeiterchöre. Er war durch und durch Musiker. Meine | |
Mutter stand immer neben ihm. Sie wollten, dass alle ihre Kinder Klavier | |
spielen lernten. Aber nur ich hatte die Geduld und spielte gerne. Ich kann | |
mich erinnern, dass wir Konzerte zu Hause gegeben haben. Leute standen auf | |
der Straße und haben zugehört. Das hat mich geprägt und mir geholfen, zu | |
überleben. So hatte ich eine einigermaßen schöne Kindheit, bis Hitler im | |
Saarland an die Macht kam. | |
Nachdem Sie zwei Jahre Zwangsarbeit in einer Gärtnerei in Fürstenwalde | |
leisten mussten, wurden Sie 1943 nach Auschwitz deportiert und spielten | |
dort im Mädchenorchester Akkordeon. Spielen sie dieses Instrument immer | |
noch? | |
Recht und schlecht, ich habe es nie gelernt. Aus der Not heraus habe ich | |
gespielt und hatte in Auschwitz keine Wahl. Es gab kein Klavier. Aber ein | |
Akkordeon. Rechts die Klaviertasten und links die Knöpfe. Ich hatte keine | |
Ahnung, was ich mit den Knöpfen anfangen sollte, bis mir aufging, dass das | |
die Akkorde sind. Dann sollte ich für Zofia Czajkowska, genannt die | |
Tschaikowska, die erste Dirigentin des Mädchenorchesters, den deutschen | |
Schlager "Du hast Glück bei den Fraun, Bel Ami" spielen. | |
Kannten Sie das Stück? | |
Ich kannte den Schlager, aber es war schon ein Wunder, dass ich dieses Lied | |
zustande gebracht habe. Hundertprozentig merkte sie, dass ich keine | |
Akkordeonspielerin bin, aber auch, dass ich musikalisch bin. Das war mein | |
Glück, denn vorher musste ich eine sehr schwere Arbeit verrichten. Steine | |
schleppen, von einer Seite des Feldes zur anderen Seite. Eine völlig | |
unsinnige Arbeit, da man am nächsten Tag die Steine zurückschleppen musste. | |
Sie gingen 1960 nach Hamburg. Wie schwer fiel Ihnen diese Entscheidung? | |
Sehr schwer, da ich nicht gerne in das Land der Täter zurückkam. Meine | |
Eltern und meine Schwester wurden von den Nazis ermordet, aber wir hatten | |
keine andere Wahl. Erstens bekam mir das Klima in Israel nicht und zweitens | |
wollte mein Mann nicht mehr in den Krieg ziehen. In einigen Kriegen hatte | |
er schon mitgekämpft, auch ich war Soldatin 1947 im Unabhängigkeitskrieg. | |
Aber die folgenden Kriege fand mein Mann unsinnig. Damals wie heute konnte | |
man den Kriegsdienst nicht verweigern. Also mussten wir raus. | |
Wie sind Sie hier aufgenommen worden? | |
Am Anfang war es schwer. Aber nach und nach lernte ich Leute kennen. | |
Deutsche Widerstandskämpfer. Ich wusste gar nicht, dass es die gab. Ich | |
hatte eine Boutique in Eimsbüttel für Schmuck aus aller Welt und eines | |
Tages baute die NPD einen Stand fast vor meiner Tür auf. | |
Wann war das? | |
Ende 1979. Ich habe protestiert, auch weil die Polizei die Nazis vor einer | |
Gegendemonstration schützte. Die Transparente "Nie wieder Krieg" und "Nie | |
wieder Faschismus" gefielen mir. Ich bin raus und fragte die Polizisten, | |
wen sie hier schützen. Ich packte einen am Revers und er forderte mich auf, | |
ihn loszulassen, sonst würde er mich einsperren. Ruhig meinte ich, dass ich | |
in Auschwitz war. Einer der Nazis sagte darauf, die müssen sie unbedingt | |
einsperren, wenn sie in Auschwitz war, dann ist sie eine Verbrecherin. Das | |
hat mir gereicht. Am nächsten Tag bin ich in die Vereinigung der Verfolgten | |
des Naziregimes eingetreten. Seitdem kämpfe ich gegen diese Nazis. | |
1986 haben Sie das Auschwitz-Komitee mitgegründet. | |
Ich fand es wichtig, dass wir hier so eine Institution haben. Ich tue was | |
ich kann. Auch mit meiner Musik, da ich ausgebildete Koloratursopranistin | |
bin. Singen kannst du, dann mach was damit, dachte ich mir und gründete die | |
Gruppe "Siebenschön". Blöder Name, ich weiß. | |
Welche Musik spielten Sie? | |
Wir waren eine politische Gruppe, die auch Lieder gegen Krieg, | |
Ausländerfeindlichkeit und Antisemitismus gesungen hat. Wie der Zufall so | |
will, hat ein Manager in Paris meine erste Schallplatte in die Hand | |
bekommen und uns für ein internationales Folklore Festival in Vancouver | |
engagiert. Im nächsten Jahr spielten wir wieder auf dem Festival, diesmal | |
mit "Coincidence", einer Gruppe, die meine Tochter gegründet hatte. | |
In Schulen treten Sie als Zeitzeugin auf. Verspüren Sie keine Müdigkeit, | |
die eigene Geschichte zu erzählen? | |
Das gibt es überhaupt nicht: Müdigkeit. Ich finde es ganz wichtig, dass die | |
Zeitzeugen ihre Geschichte erzählen. Egal, ob ich das bin oder wer anderes. | |
Es ist etwas zum Anfassen und wichtiger als zehn Bücher zu lesen. Die | |
Schüler nehmen diese Gespräche viel besser auf, sehen und hören, was damals | |
passiert ist. Leider sind schon viele Zeitzeugen gestorben, hier muss etwas | |
erfunden werden, damit die Geschichte weiterlebt. Zum Beispiel der Film, | |
der das Musikprojekt "Per la vita" dokumentiert, der kann dann an Schulen | |
gezeigt werden. | |
Mitte April hatte die NPD in einem offenen Brief angekündigt, ihre Lesung | |
in einer Schule zu stören. Kommt das oft vor? | |
Nein, das war das erste und ich hoffe, das letzte Mal. Die NPD ist nicht | |
gekommen. Sie sind viel zu feige und haben nur eine große Klappe. Die | |
Veranstaltung war große Klasse und ich habe mich wahnsinnig gefreut, dass | |
so viele Leute, auch junge Menschen gekommen sind. | |
Nächster Auftritt mit der Microphone-Mafia im Norden: 4. Mai, 17:30 Uhr, | |
KZ-Gedenkstätte Neuengamme bei einer Gedenkveranstaltung zum 65. Jahrestag | |
der Befreiung aus den Konzentrationslagern | |
2 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Kendra Eckhorst | |
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