# taz.de -- Debatte Griechenland: Brüssel duckt sich | |
> Die nationalen Kassen sind klamm und die Regierungschefs verlieren die | |
> Lust auf Europa. Erstmals scheint der Euro wirklich gefährdet. Auch | |
> Deutschland hat dazu beigetragen. | |
Ein Krankenbesuch hätte das Treffen der Chefs der Euroländer heute Abend in | |
Brüssel eigentlich werden sollen. Begeisterung löste der Termin, den Angela | |
Merkel durchsetzte, bei den anderen EU-Staaten nicht aus. Doch sie beugten | |
sich dem deutschen Druck. Man wollte Athen nochmals einschärfen, seine | |
Medizin nur ja regelmäßig einzunehmen. | |
Und man wollte ein weiteres Mal daran erinnern, welch große Opfer die | |
anderen Verwandten auf sich nehmen müssen, damit Griechenland genesen kann. | |
Nach den schweren Unruhen in Athen, die drei Menschen das Leben gekostet | |
haben, wird beim Dinner aber eher Begräbnisstimmung herrschen. Und manch | |
einer wird sich fragen, ob es zu so gewalttätigen Straßenkämpfen gekommen | |
wäre, wenn sich die europäische Familie früher und eindeutiger zu ihrem | |
südlichsten Mitglied bekannt hätte. | |
Die Stimmung in Brüssel ist auf dem Tiefpunkt - auch. Während in der | |
kritischsten Phase der Weltwirtschaftskrise die Euroländer enger | |
zusammenrückten und recht bereitwillig zu einem von Nicholas Sarkozy | |
einberufenen Sondergipfel der Euroländer anreisten, wären dieses Mal die | |
meisten am liebsten zu Hause geblieben. Portugal, Spanien, Irland und | |
Italien fürchten sich vor Ansteckung und lassen sich vielleicht schon | |
deshalb dieser Tage nicht gern mit dem Pleitier Papandreou ablichten. | |
Sarkozy scheint die Lust an Europa nach Ende der französischen | |
Ratspräsidentschaft völlig vergangen zu sein. Belgien und Luxemburg sind | |
mit innenpolitischen Krisen beschäftigt. In den Niederlanden haben sich die | |
Wähler von Europa abgewandt. Ähnlich wie die Deutschen fühlen sich auch die | |
holländischen Nettozahler als die ewigen Melkkühe der EU. | |
Am drastischsten aber drückt auf die Stimmung, dass Angela Merkel ihre | |
Rolle als ehrliche Maklerin im Dienste der gemeinsamen Sache aufgegeben | |
hat. Die Zeiten, wo sie in Brüssel als Lichtgestalt gefeiert wurde, weil | |
sie mit ein paar geschickt eingesetzten finanziellen Zugeständnissen | |
polnische Widerstände überwand, liegen lange zurück. Mittlerweile ist sie | |
auf die Schrödersche Linie eingeschwenkt und macht klar, dass Deutschland | |
nicht länger bereit ist, die Risse in der Union mit Geld zu kitten. | |
Natürlich steht es der Kanzlerin frei, die Stimmung zu Hause und die Ebbe | |
in der eigenen Staatskasse stärker im Blick zu haben als die Zukunft | |
Europas. Doch diese Haltung ist kurzsichtig. Denn kein Land hat mehr von | |
der europäischen Integration profitiert als das wiedervereinigte | |
Deutschland. Für die Attraktion, die eine starke Währung ausübt, sollte | |
gerade Merkel Verständnis haben - auch bei der deutsch-deutschen | |
Währungsunion hat 1990 keiner so genau nachgerechnet und hingeschaut. Es | |
wäre politisch undenkbar gewesen, Ostdeutschland die D-Mark wieder | |
wegzunehmen oder den Umtauschkurs nachträglich zu ändern, als das volle | |
Ausmaß des wirtschaftlichen Desasters der DDR deutlich wurde. | |
Die Westdeutschen haben damals nur zähneknirschend akzeptiert, dass sie | |
milliardenschwere Solidarität beweisen sollen. Doch die Politiker sagten | |
ihnen parteiübergreifend, dieser Weg sei alternativlos. Eine derartig klare | |
Botschaft hätte man sich auch in der Griechenlandkrise gewünscht. | |
Stattdessen versteckte sich die Bundesregierung wochenlang hinter dem Satz, | |
Athen habe ja noch gar nicht um Geld gebeten. Der Notfallplan hinkte der | |
Entwicklung an den Kreditmärkten immer ein paar Schritte hinterher und | |
wurde dadurch stetig teurer. Auf ein klares Bekenntnis aus Berlin zur | |
Solidarität innerhalb der Eurozone wartet man bis heute. | |
Man kann nicht erwarten, dass die deutschen Steuerzahler eine | |
Kreditbürgschaft in Milliardenhöhe klaglos hinnehmen, wenn ihnen die | |
Politiker nicht überzeugend erklären, warum sie gebraucht wird. Dabei fällt | |
die Begründung leicht. Würde Griechenland die Eurozone verlassen und seine | |
Neo-Drachme abwerten, hätte das zunächst kaum wirtschaftliche, aber riesige | |
psychologische Auswirkungen auf den Euro. Ein Präzedenzfall wäre | |
geschaffen. Portugal, Spanien, vielleicht auch Italien und Irland könnten | |
gezwungen sein, den gleichen Weg zu beschreiten. Im stark geschrumpften | |
Euroraum bliebe die Währung hart - und die dort produzierten Waren würden | |
für die Nachbarn unbezahlbar. Darunter hätte zuerst die exportorientierte | |
deutsche Wirtschaft zu leiden. | |
Ohne Euro kein Europa | |
Auch politisch würde die Union aufgeweicht. Bislang sorgt die | |
Magnetfunktion des Euro dafür, dass die osteuropäischen Länder, die ihn | |
einführen wollen, ihren Haushalt im Gleichgewicht zu halten versuchen. Die | |
Verheißung auf den Euro trägt dazu bei, dass die Bevölkerung harte | |
Sparmaßnahmen akzeptiert. Wenn der Euro seine symbolkräftige und | |
disziplinierende Funktion behalten soll, ist ein Gesundschrumpfen der | |
Eurozone keine Lösung. | |
Stattdessen müssen die Regeln für die Mitglieder der Währungsunion klarer | |
und strenger werden. Die Vorschläge liegen auf dem Tisch: Daniel | |
Cohn-Bendit verlangt einen Europäischen Währungsfonds, der künftige Krisen | |
einzelner Mitglieder abfedern kann. Angela Merkel unterstützt die Idee, | |
eine unabhängige Europäische Ratingagentur zu schaffen, um das Monopol der | |
angelsächsischen Währungsbenoter zu brechen. | |
Kommende Woche wird Währungskommissar Olli Rehn neue Vorschläge machen, wie | |
der Stabilitäts- und Wachstumspakt wieder gestärkt, die | |
Wettbewerbsfähigkeit der Euroländer angeglichen und die Steuerpolitik | |
besser abgestimmt werden kann. Die Ideen sind nicht neu. Bislang | |
scheiterten sie daran, dass die Mitgliedsstaaten in diesen Fragen keine | |
Einschränkung ihrer nationalen Souveränität hinnehmen wollen. | |
Gerade Deutschland hat sich dagegen gesperrt, dass zum Beispiel die | |
nationalen Haushaltszahlen von Eurostat geprüft werden dürfen oder die | |
EU-Kommission Vorgaben macht, wie die nationalen Sozialsysteme | |
wettbewerbsfähiger werden können. Aber ohne engere wirtschaftspolitische | |
Verzahnung wird die Einheitswährung nicht überleben. Die Voraussetzungen | |
dafür sind derzeit, wo die Verwandtschaft kaum noch miteinander spricht, | |
denkbar schlecht. | |
7 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Daniela Weingärtner | |
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