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# taz.de -- Lehman-Geschädigte: "Da kriegt man so 'ne Wut"
> Sie prozessieren und demonstrieren unermüdlich: Für eine Gruppe Hamburger
> Rentner ist die Lehman-Pleite noch nicht erledigt. Ihre Forderung an die
> Banken: Wir wollen unser Geld zurück.
Bild: Aktionsform Warnwache: Edeltraut Grattolf und ihre Mitstreiterin Gisela S…
Am Eingang der Dresdner Bank in Hamburg-Harburg stehen zehn wütende Rentner
in grellfarbenen Warnwesten. Sie lärmen mit ihren Trillerpfeifen und
Tröten. "Sind Sie noch Kunde bei der Dresdner / Commerzbank?" steht auf
einer Pappe, die sich Edeltraut Grattolf um den Hals gehängt hat, darunter
ein Ausschnitt aus der Bild-Zeitung über zu hohe Banker-Boni. Die
60-Jährige hat im September 2008 durch die Pleite von Lehman Brothers
20.000 Euro verloren.
Es war der Traum vom großen Geld. Menschen wie Grattolf träumten ihn,
Bankberater versprachen ihn. Wie hoch das Risiko wirklich war, sei nicht
offen gelegt worden, werfen sie den Banken vor.
In Hamburg haben sich fast 130 Rentner in einer Interessengemeinschaft
zusammengefunden. Knapp drei Millionen Euro beträgt die Summe aller ihrer
Verluste mit Lehman-Zertifikaten. Die haben sie bei der Dresdner Bank, der
Hamburger Sparkasse oder der Citibank - die heute Targobank heißt -
gekauft. Jetzt wollen sie ihr Geld zurückhaben.
Grattolf wohnt im Stadtteil Wilhelmsburg. Schon ihre Eltern haben in dem
Reihenhaus aus hellem Klinker gelebt. Auf der Kommode ein Katzenkalender,
daneben ein Strauß Plastikrosen und Untersetzer unter den Wassergläsern.
"Da kriegt man so 'ne Wut", sagt sie immer wieder, während sie in einem von
zwei dicken Ordnern blättert. Darin ist die ganze Geschichte ihres
Verlustes dokumentiert.
Demnach bekam sie Anfang 2007 einen Anruf von der Dresdner Bank. Der
Berater empfahl Grattolf, ihren Rentenfonds, der fast ausschließlich aus
festverzinslichen Wertpapieren bestand, zu verkaufen. Das frei gewordenen
Geld solle sie in Lehman-Zertifikate stecken - eine Art
Schuldverschreibung, deren Ertrag davon abhänge, wie erfolgreich Lehman
sei. 8,75 Prozent Zinsen könne das bringen. Außerdem sei das Kapital
hundertprozentig sicher, habe man ihr gesagt.
"Das war schon verlockend", so Grattolf heute. Einen Prospekt werde man ihr
schicken, habe der Berater versprochen. Der sei aber noch nicht da gewesen,
als der Berater einen Monat später wieder anrief. Trotzdem habe er darauf
gedrängt, dass sie sich entscheide. Die ehemalige kaufmännische Angestellte
kaufte 20 Zertifikate von Lehman Brothers zu je 1008,53 Euro.
Drei Tage vor der Lehman-Pleite habe sie versucht, ihre Papiere
loszuwerden. 517,95 Euro seien sie da noch wert gewesen. Das hat sie sich
notiert. Damals habe sie um ein Verkaufsgespräch gebeten. Sie erzählt, man
habe ihr gesagt, ihr Berater sei im Urlaub und sonst niemand da, der sich
auskenne.
Am 15. September 2008 ist Lehman insolvent. Grattolf hört es im Radio. Auf
ihrem Kontoauszug steht später hinter den Zertifikaten: "ohne Beleg". Sie
will ihre Bank verklagen, weil sie sich falsch beraten fühlt. Allerdings
geht das nur innerhalb von drei Jahren nach dem Kauf der Zertifikate. Damit
diese Frist verlängert wird, muss sie sich einen Ombudsmann nehmen. Er
vermittelt zwischen der Bank und ihr. Über ihn erhält die Frührentnerin ein
Schreiben der Dresdner Bank, in dem es heißt: "Eine unbedingte Kapital- und
Renditegarantie wurde Frau Grattolf nicht gegeben, die Anlage somit auch
nicht als ,sichere Anlage' vorgestellt." Damit steht Aussage gegen Aussage.
Kurz nach der Pleite fand sie ein Internet-Forum für Lehman-Geschädigte.
Mit einigen davon schloss sich Grattolf zusammen. Seit Anfang 2009 stehen
sie jeden Freitag in Hamburg-Harburg. Eine halbe Stunde vor der Targo und
eine halbe vor der Dresdner Bank. Immer wieder fängt Grattolf Kunden ab,
die eine der Banken betreten wollen: "Das sind Verräter", warnt sie und
gibt ihnen noch einen Flyer mit. Einige bleiben stehen, pflichten den
Rentnern bei und erzählen ihre eigene Geschichte. Doch eine Frau sagt: "Wir
sind doch selber schuld. Wir wollten doch immer mehr."
Die Geldinstitute wollen sich offiziell nicht zu den für sie ärgerlichen
Demonstrationen äußern. Inoffiziell heißt es, mit höheren Renditen seien
auch höhere Risiken verbunden. Aber man könne sich durchaus vorstellen,
dass die Beratung in manchen Fällen nicht optimal gewesen sei.
Das sehen auch die Opfer so, die prozessieren. Die Klage zweier
Haspa-Kunden hat das Oberlandesgericht Hamburg gerade abgewiesen. Vor der
Urteilsverkündung hatte Grattolf noch mit ihren Mitstreitern lautstark vor
dem Gerichtsgebäude demonstriert. Jetzt, nach der Urteilsverkündung, sitzt
sie wie versteinert da und schüttelt immer wieder den Kopf, auf ihrem Schoß
die schwarze Handtasche mit der orangenen Warnweste darin.
Sie werden weiter demonstrieren, jeden Freitag. Eine halbe Stunde vor der
Targo und eine halbe vor der Dresdner Bank.
Immer wieder fängt sie Kunden ab, die eine der Banken betreten wollen: "Das
sind Verräter", warnt sie.
6 May 2010
## AUTOREN
Katharina Hamberger
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