# taz.de -- Wehrbeauftragter über Soldaten-Betreuung: "Wir brauchen mehr Front… | |
> Wer Soldaten in den Kampf schickt, muss sie auch betreuen. Reinhold Robbe | |
> über die Verzögerung beim Traumazentrum für Soldaten, Zoobesuche und | |
> Karl-Valentin-Abende in Masar-i-Scharif. | |
Bild: Er war schon da: Peter Maffay vor Soldaten am 24. Juni 2005 in Kabul. | |
taz: Herr Robbe, wohl nie war ein ehemaliger Zivildienstler so beliebt | |
unter Soldaten wie Sie. Wie haben Sie das gemacht? | |
Reinhold Robbe: Sie werden sich vielleicht wundern, dass dieser Punkt nur | |
ganz selten ein Thema war bei meiner Arbeit als Wehrbeauftragter. Manchmal | |
haben mir Soldaten sogar gesagt: Eigentlich können Sie uns viel besser | |
vertreten. Sie sind nicht Reserveoffizier, Sie müssen keine Rücksicht | |
nehmen auf militärische Hierarchien. Sie haben den Rücken frei. | |
Heute treten Sie für die Soldaten ein. Wo war der Bruch in Ihrer Biografie? | |
Anfang der Siebzigerjahre habe ich den Kriegsdienst verweigert, weil ich | |
nicht auf meine Verwandten in Erfurt und Karl-Marx-Stadt schießen wollte. | |
Diese Lage hat sich seit 1990 fundamental verändert. Ich habe 1995, damals | |
ging es um Bosnien, das erste Mal für einen robusten Einsatz gestimmt - und | |
zwar gegen die eigene Fraktion. Da habe ich mir vorgenommen: Wenn du | |
konfrontierst wirst mit den Folgen deines Beschlusses, dann hast du eine | |
Verantwortung und musst dich auch um den einzelnen Menschen kümmern. | |
Früh haben Sie die Lage in Afghanistan Krieg genannt. Warum haben Sie mit | |
dem sprachlichen Dogma im politischen Berlin gebrochen? | |
Ich habe gemerkt, wie die Soldaten darunter leiden, dass vieles massiv | |
unterdrückt wurde, was mit einer deutlichen Beschreibung des Geschehens zu | |
tun hatte. Die Soldaten wurden in Zentralasien tagtäglich in schwerste | |
Gefechte verwickelt und bekamen alle Merkmale eines Krieges zu spüren. Sie | |
sagten mir: Daheim glauben die Menschen, hier wird etwas aufgebaut, aber | |
hier wird geschossen und gestorben. | |
Es ging nur um das Gefühl der Soldaten? | |
Nein. Ein größeres Verständnis in der Gesellschaft ist nur dann erreichbar, | |
wenn man den Menschen reinen Wein einschenkt. Nichts ist schlimmer, als | |
Dinge zu vertuschen oder schönzureden. Die Leute sehen am Abend in der | |
"Tagesschau", wie geschossen wird, und die politisch Verantwortlichen | |
behaupten: Nein, es handelt sich nur um einen Unterstützungseinsatz für die | |
afghanische Regierung. | |
Ihr Parteivorsitzender Sigmar Gabriel lehnt das böse K-Wort trotzdem weiter | |
ab. | |
Da müssen Sie ihn selber fragen. Ich habe ihn so verstanden, dass er | |
Normalisierung "kriegsähnlicher Verhältnisse" im Einsatz verhindern will. | |
Das ist durchaus ein legitimes Anliegen. | |
Müssen wir uns daran gewöhnen, dass immer mehr schwer traumatisierte | |
Kriegsveteranen in unserem Land leben? | |
Es geht nicht um das Gewöhnen, um Gottes willen! Die Betroffenen, die an | |
posttraumatischen Belastungsstörungen leiden, sollen einfach eine optimale | |
Versorgung bekommen. Auch im zivilen Leben geht niemand gern zum Psychiater | |
und das ist in der Bundeswehr noch viel stärker ausgeprägt. Aber die | |
Realitäten müssen auf den Tisch. Die Amerikaner zum Beispiel reden längst | |
offen darüber, dass 30 Prozent ihrer Soldaten mit psychischen | |
Auffälligkeiten aus den Einsätzen zurückkommen. | |
Und in Deutschland ist man darauf noch nicht eingestellt? | |
Der Bundestag hat Anfang 2009 einstimmig die Schaffung eines Traumazentrums | |
gefordert. Trotzdem hat es der Chef des Zentralen Sanitätsdienstes der | |
Bundeswehr bis heute nicht für nötig befunden, diesen Beschluss umzusetzen. | |
Allerdings hat der Verteidigungsminister jetzt angekündigt, dass demnächst | |
in Berlin solch ein Institut entstehen soll. Ich hoffe, es wird sich um ein | |
Forschungs- und Kompetenzzentrum als selbstständiges Institut handeln, das | |
auch seinen Namen verdient. | |
Trotz der neuen Debatte über den Krieg gibt es immer noch ein großes | |
Desinteresse am Afghanistan-Einsatz. | |
An der Bevölkerung ist weitgehend vorbeigegangen, dass die Bundeswehr | |
entscheidende Veränderungen durchgemacht hat. Vor 1990 fand der Ernstfall | |
ja nur im Sandkasten statt. Inzwischen gibt es eine völlig neue Qualität. | |
Aber die Politik hat es möglichst vermieden, ehrlich darüber zu reden. Auch | |
in den Wahlkreisen finden solche Debatten kaum statt. Wenn dort bei einer | |
Parteiversammlung jemand fragt: Was machen eigentlich unsere Jungs im | |
Kosovo und in Afghanistan?, dann heißt es nicht selten: Das ist eine | |
komplizierte Sache. Am besten wir reden beim nächsten Mal drüber. | |
Sie fordern stets mehr Solidarität mit den Soldaten. Wie soll das | |
funktionieren, wenn die große Mehrheit der Bevölkerung den Einsatz ablehnt? | |
Ich fordere keine Unterstützung für irgendwelche Mandate. Es geht mir nur | |
darum, dass die Gesellschaft zumindest zur Kenntnis nimmt, was die Soldaten | |
im Einsatz durchzustehen haben. | |
Meinen Sie das, wenn Sie eine bessere Integration der Soldaten in die | |
deutsche Gesellschaft fordern? | |
In der gesamten kulturellen und wissenschaftlichen Elite unseres Landes | |
finden Sie kaum jemanden, der sich ernsthaft mit der Bundeswehr befasst. | |
Ich will nach dem Ausscheiden aus meinem Amt mit Hilfe eines runden Tischs | |
eine breitere Debatte anstoßen. Mir geht es aber auch darum, ganz konkret | |
mehr Zuwendung für die Soldaten zu organisieren. | |
Zuwendung organisieren? | |
Was hält denn zum Beispiel einen Gewerkschaftsfunktionär davon ab, bei der | |
Kundgebung zum 1. Mai daran zu erinnern, dass sich zwischen 7.000 und 8.000 | |
Soldatinnen und Soldaten aus Deutschland in Auslandseinsätzen befinden und | |
dort ihr Leben riskieren? Was hält einen Arbeitgeberpräsidenten davon ab, | |
zu Beginn seiner Jahrestagung der gefallenen Soldaten aus Deutschland zu | |
gedenken? | |
In Deutschland gibt es große Vorbehalte gegen so eine Militarisierung des | |
Alltagslebens … | |
Was hat das mit Militarisierung zu tun? Überhaupt nichts - ganz im | |
Gegenteil! Die Soldaten sind nicht aus Jux und Dollerei im Einsatz. Es geht | |
darum, mithilfe symbolischer Aktionen dafür zu sorgen, dass den Menschen | |
hier klar wird, was es bedeutet, wenn der Bundestag einen solchen Einsatz | |
beschließt. | |
Sie haben kein Verständnis dafür, dass vielen solche Symbolik widerstrebt? | |
Ich kenne natürlich die Argumentationen: Ist das nicht Heldenverehrung? | |
Sind das Anknüpfungspunkte an die Hitler-Zeit? Ich will Ihnen sagen, ich | |
bin an der Stelle vollkommen frei und unverdächtig. Ich bin mit 15 Jahren | |
Sozialdemokrat geworden, um einen kleinen Beitrag dazu zu leisten, dass | |
sich die dunkelste Epoche unserer Geschichte niemals wiederholen möge. Das | |
ist auch heute noch mein Bestreben. | |
Sie haben ja auch kostenlose Zoobesuche für Soldaten vorgeschlagen … | |
Richtig. Ich denke auch an kostenlose Theaterbesuche, an Tickets für | |
Sportveranstaltungen - da sind der Kreativität keine Grenzen gesetzt. | |
Würden die meisten Sozialdemokraten Zootickets nicht lieber | |
Hartz-IV-Familien spendieren als gut verdienenden Soldaten? | |
Sie finden in jeder Partei solche Vorurteile wie das von den gut | |
verdienenden Soldaten. Die lassen sich auch leider nicht so schnell | |
beseitigen. | |
Aber verglichen mit dem Rest des Arbeitsmarkts bietet die Bundeswehr doch | |
eine ziemlich gute soziale Absicherung … | |
Sie vergleichen Äpfel mit Birnen. Die Mehrheit der Soldaten zählt zu den | |
unteren Einkommensgruppen. Und ein Kämmerer in Ueckermünde wird genauso gut | |
bezahlt wie jemand in vergleichbarer Stellung bei der Bundeswehr, er muss | |
aber nicht um Gesundheit und Leben fürchten. Ich sage Ihnen, wir müssen | |
endlich zu einer offeneren Debatte kommen. | |
Auch die Bundeswehr? | |
Das gilt auch für die Soldaten, insbesondere die militärische Führung. Ich | |
wünsche mir einen weniger restriktiven Umgang mit der Öffentlichkeit. | |
Kritischen Leuten darf von der Bundeswehr nicht ständig eine unsichtbare | |
Wand vorgehalten werden. | |
Heißt das, Sie wollen der Bundeswehr intellektuelle Frischluft verschaffen? | |
Den Versuch ist es wert. Die Bundeswehr hat ja schon zaghafte Versuche in | |
diese Richtung unternommen, aber sie macht nicht genug auf diesem Gebiet. | |
Wie wollen Sie diesen Austausch mit Künstlern und Intellektuellen | |
organisieren? | |
Ich habe die Schirmherrschaft für die neue Initiative "Frontkultur" | |
übernommen. Unter diesem provokanten Titel versuchen junge Künstler | |
beispielsweise, Kultur in den Einsatz zu bringen. | |
Ein Auslandseinsatz für Nachwuchskünstler? | |
So kann man das sagen. Ende Mai wird in Masar-i-Scharif ein szenischer | |
Liederabend von Karl Valentin aufgeführt. Die Künstler, fünf Sängerinnen | |
und Schauspieler um die dreißig, hatten vorher nie irgendwelche | |
Berührungspunkte mit der Bundeswehr. | |
Was soll die Frontkultur bringen, außer Ablenkung für die Truppe? | |
Ich erhoffe mir eine Ausstrahlung auf andere Künstler. Literaten könnten | |
zum Beispiel eine Lesereise machen. Ich bin auch in Kontakt mit einem | |
Fotografen, der Soldaten im Einsatz porträtieren möchte - aber unter einem | |
bestimmten Blickwinkel. Wenn er daraus später eine Ausstellung in Berlin | |
macht, würde das den Diskurs beleben. | |
Sie sind mit 55 Jahren zu jung, um sich aufs Ehrenamt zu verlegen. Wie | |
viele Angebote von der Rüstungslobby haben Sie schon? | |
Sie werden lachen: Kein einziges. | |
7 May 2010 | |
## AUTOREN | |
A. Geisler | |
E. Chauvistré | |
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