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# taz.de -- Urteil erwartet: Drogen als Therapie
> Der Psychotherapeut Garri R. wollte Patienten mit Rauschmitteln von
> Traumata befreien. Im September starben zwei von ihnen an einer
> Überdosis. Am Montag kommt das Urteil.
Bild: Der Prozess gegen Garri R.
In seiner Kehle sitzt ein Kloß. Garik R. trinkt einen Schluck Wasser und
räuspert sich: "Es tut mir leid. Das wollte ich nicht." Mit erstickter
Stimme fügt er hinzu: "Ich bin auch kein Opfer." Es sind die letzten Worte
des Angeklagten in diesem Prozess. Am heutigen Montag will das Landgericht
das Urteil gegen den Arzt und Psychotherapeuten verkünden.
Garik R. wirkt im Prozess wie jemand, der wohl immer geahnt hat, dass er
die Psycholyse, eine nicht anerkannte Therapieform, die Traumata
drogenunterstützt behandelt, eines Tages vor Gericht verteidigen muss. Eine
als Zeugin geladene Patientin berichtet, er habe ihr gesagt, er habe seinen
Weg gefunden. Doch dieser sei gefährlich. Einmal habe er deshalb auf die
Vergabe von Drogen verzichtet - er fürchtete, die Polizei könne bei ihm
auftauchen. Im diesem Fall sollten sich die Patienten auf den Boden legen
und die pupillengeweiteten Augen mit der Bemerkung schließen: "Wir
meditieren!"
Dieses Szenario erfüllte sich nicht - es kam schlimmer. An einem Samstag im
September 2009 starben zwei seiner Patienten an einer Überdosis MDMA, dem
Hauptbestandteil von Ecstasy. Seit März muss sich der 51-jährige
Familienvater vor dem Landgericht wegen Verstößen gegen das
Betäubungsmittelgesetz und gefährlicher Körperverletzung mit Todesfolge
verantworten.
Während den Verhandlungen wirkt der Mann mit dem hageren Glatzkopf nervös,
oft hat er seine schmalen Hände über Mund und Kinn gelegt. Er lauscht
angespannt, wie das Gericht die Scherben seines Lebens seziert. Mehr als
zehn Jahre ist es her, dass er sich bei dem Schweizer Arzt Samuel Widmer in
Psycholyse ("Seele lösen") ausbilden ließ. 2005 eröffnete er in
Berlin-Hermsdorf eine Praxis. Die Patienten, die aus der Mitte der
Gesellschaft stammten, fanden ihn auf Empfehlung. Sogar eine Klinik
überwies.
R. war ein beliebter Therapeut, der die Nähe zu seinen Klienten suchte, sie
duzte und in dessen Gruppen eine liebevolle Atmosphäre mit viel
Körperkontakt herrschte, berichten die Zeugen. "Auf die Reise gehen" hieß
es intern, wenn man von Drogensitzungen sprach. Vor jener Septembersitzung
will der Arzt LSD genommen haben: "Um aufmerksamer zu sein für die
besondere Arbeit." Er begrüßte seine zwölf Gäste mit Musik. Nach einer
Befindlichkeitsrunde wollte er ihre Suche im Unterbewussten mit der legalen
Substanz Neocor unterstützen, die würde den "Geist öffnen".
Drei Patienten verzichteten, neun konsumierten ihre gefüllten Kapseln mit
der Ermahnung, sich zu überlegen, was man damit erreichen wolle. In der
zweiten Runde entschieden sich sieben Patienten für das "Herz öffnende"
MDMA, einer wählte nochmals Neocor. Im Arbeitszimmer wog R. das feine,
weiße Pulver ab. "Die Menge erschien mir etwas größer, als ich es erwartet
hatte", erklärt er vor Gericht. Er habe seine Brille aufgesetzt und erneut
gewogen: "Es war ähnlich viel. Trotzdem verließ ich mich auf die Waage."
Nach den Schätzungen eines Toxikologen erhielten die Teilnehmer wohl zehn-
bis zwanzigmal mehr als jene 100 bis 120 Milligramm, die in der Szene als
verträglich gelten. Mit Wasser nahmen sie das bittere Pulver zu sich. "Es
war eine feierliche Stimmung", erinnert sich eine Teilnehmerin. Doch
plötzlich zitterten die Berauschten und klapperten mit den Zähnen. Sie
schwitzen und rissen sich die Kleider vom Leib. Einige rollten mit den
Augen, verzerrten ihre Gesichter. "Das war schrecklich, das wurde immer
schlimmer", erinnert sich jene Zeugin, die keine Drogen nahm.
Ruhig sagte der Therapeut: "Es ist alles gut!", "Bleibt bei euch!", "Lasst
es zu!" und: "Das ist das Böse in der Welt!" Ein Frührentner lag bäuchlings
und verkrampft auf dem Boden, er schnaufte und schlug mit den Armen. R.
spritzte dem Patienten Valium, der daraufhin ruhig wurde. Man glaubte, er
würde schlafen, bis R.s Frau und Assistentin sein dunkelblau angelaufenes
Gesicht bemerkte.
R. schlug dem 59-Jährigen auf die Brust und beatmete ihn. Dann sagte er
"Alle raus hier!" - er habe der Gruppe den Anblick des Sterbenden ersparen
wollen. Seine Frau rief den Notarzt: Ein alkoholkranker Patient sei nach
Medikamentengabe umgekippt. Zwanzig Minuten mühte sich die herbeigerufene
Notärztin um den Frührentner, dann gab sie auf. Multiorganversagen ist das
lapidare Wort für die Katastrophe, die sich im Körper des Vergifteten
ereignete: Die Droge, so der Rechtsmediziner, stimuliert das
Neurotransmitter-System. Sie bewirkt eine Überhitzung des Körpers, die
massive Blutgerinnungsstörungen nach sich zieht. Außerdem lösen sich
Muskeln auf, in deren Folge sich Wasser in lebenswichtigen Organen
einlagert.
Während die Notärztin den Totenschein ausfüllte, wurde sie einem weiteren
Patienten gerufen, einem 28-jährigen Studenten. Nun wurden die Sanitäter
stutzig und ärgerlich über den wortkargen Therapeuten und dessen Frau. Als
ein dritter Hilferuf erscholl, durchsuchten sie das Haus und stießen auf
weitere Vergiftete, von denen einige so euphorisch waren, dass sie im
Krankenwagen Lieder sangen. Am Abend starb der Student. Der dritte
Schwervergiftete erwachte Tage später aus seinem Koma - es ist der Mann,
der das MDMA an den Arzt geliefert hatte. Dem Kraftfahrer und
Meditationslehrer droht nun ein Strafverfahren, ebenso R.s Frau, die die
Arbeit ihres Mannes unterstützte.
Doch wie viel Schuld trägt der Angeklagte? Nicht nur Verteidigung und
Staatsanwaltschaft schwanken zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz, zwischen
einer Forderung nach nicht mehr als drei und acht Jahren Haft, zwischen
partiellem und lebenslänglichem Berufsverbot. Auch unter den Patienten
haben sich Lager gebildet, wie sich während der Verhandlungstage zeigte.
Die Drogenerfahrenen unter ihnen sagen, jeder habe von Ecstasy, LSD, Pilzen
und der damit verbundenen Gefahr gewusst.
Doch viele Patienten sind erstmals durch den Psychotherapeuten mit Drogen
in Kontakt gekommen und wollen die Wahrheit über die "Substanzen", "Mittel"
oder gar "Medikamente" genannten Stoffe nur geahnt haben. Sie hätten dem
Mediziner vertraut, der sie nie körperlich untersuchte, sondern dem ein
Fragebogen zur Anamnese genügte. Schon allein das sei kunstfehlerhaft, sagt
ein ärztlicher Gutachter. R. habe nicht differenziert therapiert, seine
Diagnosen seien fragwürdig. Entsetzt hat den Gutachter, dass der Angeklagte
nicht davor zurück schreckte, den alkohol-, also suchtkranken Frührentner
mit Drogen zu behandeln. Überdies verstoße es gegen jede ärztliche Ethik,
Patienten für Gefälligkeiten anzuheuern, etwa als Heizungsmonteur.
Die entscheidende Frage aber ist, ob R. seine Patienten aufklärte.
Willigten diese ein, Gift zu nehmen, und wog der Angeklagte lediglich
fahrlässig zu viel MDMA ab? Oder ist es vielmehr so, dass er seine
Patienten zwar über das Verhalten vor und nach der Drogeneinnahme
informierte, nicht aber über die Risiken dieser Substanzen? So schilderte
eine seiner Patientinnen dem Gericht, sie habe keine Angst vor einer
Überdosis gehabt. Sie glaubte: "Er ist Arzt, er könnte mir helfen."
10 May 2010
## AUTOREN
Uta Eisenhardt
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