# taz.de -- Zahlungsprobleme im Gazastreifen: Der Hamas geht das Geld aus | |
> Nur noch die Häfte der Gehälter erhalten Angestellte in dem abgeriegelten | |
> Küstenstreifen. Das schafft Verunsicherung, aber noch keine Intifada | |
> gegen die Hamas. | |
Bild: Das Dollar-Zeichen am Fenster einer Wechselstube in Gaza City. | |
GAZA-STADT taz | Abu Omar nimmt leichten Schrittes die 15 Stufen zur | |
Al-Mukhtar-Post im Stadtzentrum von Gaza. Heute ist Zahltag bei der Hamas | |
und er bekommt immerhin zwei Drittel seines Gehaltes als Koch ausgezahlt. | |
Das ist mehr, als viele andere bekommen, denn die Hamas steckt seit einer | |
Weile in Zahlungsschwierigkeiten. | |
Früher hat Abu Omar für die Präsidentschaftsgarde, die Elitetruppe Jassir | |
Arafats gekocht und anschließend für die Wachtruppe von | |
Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Nach dem Machtwechsel im Gazastreifen | |
bekam Abu Omar neue Chefs. "Mir ist doch egal, ob ich für die Fatah oder | |
die Hamas koche", hebt er entschuldigend die Arme in die Luft. "Ich habe | |
zehn Kinder zu ernähren." | |
Seit zwei Monaten zahlt die Regierung im Gazastreifen nur noch einen Teil | |
der Gehälter aus und auch das nicht komplett in der Schekel-Währung. Abu | |
Omar zählt 100 (jordanische) Dinar, die er gleich umtauscht, 200 Dollar und | |
noch mal 200 Schekel (insgesamt knapp 400 Euro). Am Treppenabsatz warten | |
zwei Geldwechsler auf Kundschaft. Sie verstauen die gebündelten Scheine in | |
den Hosentaschen. | |
Schon frohlockte die israelische Tageszeitung Haaretz, es stünde | |
möglicherweise eine erneuter Aufstand der Palästinenser bevor, diesmal | |
gegen die Hamas. Ein hungriges Volk ist schließlich kein glückliches. Doch | |
die Hamas gibt sich unbesorgt. | |
Die Sympathie für die islamistische Regierung in Gaza sei ungebrochen, | |
meint Dr. Ahmed Yousef, stellvertretender Außenminister der Hamas-Regierung | |
und politischer Berater von Premierminister Ismael Hanijeh. "Die Leute hier | |
wissen, dass wir kämpfen müssen, und die Blockade ist Teil unseres | |
Kampfes." Es sei ausreichend Geld vorhanden, nur eben nicht in der | |
passenden Währung. Das sei auf den Boykott zurückzuführen. | |
"Im Moment arbeitet nur noch eine Bank mit uns zusammen", schimpft der in | |
Amerika studierte Yousef und spricht von einer "Verschwörung gegen die | |
Hamas". Die USA, Israel "und vielleicht einige Leute in Ramallah (von der | |
Fatah) versuchen, das Volk in Gaza auszuquetschen und zur Aufgabe zu | |
zwingen." Das werde nicht passieren. | |
Auf eine neue Intifada, noch dazu gegen die Hamas, deutet im Gazastreifen | |
vorläufig nichts hin. Vor den Geldautomaten bilden sich am Zahltag lange | |
Schlangen. Die ehemaligen Beamten, die bis heute von der PA | |
(Palästinensische Autonomiebehörde) in Ramallah bezahlt werden, obwohl sie | |
seit dem Machtwechsel in Gaza vor vier Jahren nicht mehr arbeiten, bekommen | |
ihr volles Gehalt. | |
Unermüdlich spucken die Automaten an der Palestine Bank und der Western | |
Bank die Schekel-Noten aus, die viele der ehemaligen Sicherheitsbeamten | |
gleich umsetzen. Zu groß ist die Versuchung angesichts des üppigen | |
Angebots. In den Supermärkten biegen sich die Regale unter dem Gewicht der | |
aus Ägypten eingeschmuggelten Waren. | |
Aus Angst vor der unterirdischen Eisenmauer, mit der Ägypten dem Schmuggel | |
ein Ende machen will, ist in den Tunnels 24 Stunden pro Tag Betrieb und die | |
Geschäfte horten, was sie an haltbarer Ware unterbringen können. Der | |
Supermarkt auf einer der Hauptstraßen Gazas führt zehn verschiedene Sorten | |
Schokolade. Ob Lindt oder Cadbury, mit Karamellfüllung, Rosinen, Nüssen, | |
bitterherb oder Trüffel - nichts gibt es, was es im Gazastreifen nicht | |
gibt. | |
Glücklich ist, wer der Fatah treu blieb und dem Befehl aus Ramallah Folge | |
leistete, die Arbeit unter dem Hamas-Regime zu verweigern. Die | |
Sicherheitstruppen der Fatah hatten ohnehin keine Wahl, doch Abbas forderte | |
auch Ärzte, Lehrer und einfache Verwaltungsbeamte dazu auf, das Leben unter | |
der Hamas per Streik lahmzulegen. Wer seiner Arbeit weiter nachging, | |
riskierte es, von der Gehaltsliste der PA gestrichen zu werden. | |
"Ich bin Arzt", sagt Dr. Eiman al-Sahbani. "Ich konnte meine Patienten | |
nicht im Stich lassen." Der 40-jährige Chef der Notaufnahme im | |
Shifa-Krankenhaus gab sein sicheres Gehalt der PA auf und bezieht | |
stattdessen seither regelmäßige Einkünfte von der Hamas. | |
Seiner Frau, die ebenfalls Ärztin ist, erging es ähnlich, was zunächst | |
nicht so schlimm war, denn die Hamas zahlte die gleichen Gehälter wie | |
vorher die Regierung in Ramallah. Jetzt jedoch wird es knapp für die junge | |
sechsköpfige Familie. "Seit zwei Monaten bekommen wir nur noch die Hälfte | |
unseres Gehalts ausgezahlt." | |
Niemand weiß, warum die Gehälter gekürzt wurden und wann die Regierung die | |
Außenstände begleichen will. "Wir können uns nichts mehr leisten", jammert | |
Dr. al-Sahbani, "keine neue Kleidung für die Kinder und noch nicht einmal | |
ein Getränk am Strand." Die gesamten Einnahmen der Eltern werden in | |
Nahrungsmittel umgesetzt. "Dabei geht es uns noch gut, denn wir haben ein | |
Haus und können überleben." | |
Einen Streik des Krankenhauspersonals hält der Urologe für ausgeschlossen. | |
Nicht die Hamas sei schuld an der Misere, sondern Israel und Ägypten, die | |
den Gazastreifen zum Gefängnis machten. "Das Problem ist, dass die | |
Fatah-Beamten zu Hause sitzen und trotzdem weiter Geld bekommen", das | |
schüre Neid und Unmut. Al-Sahbani hegt jedoch keinen Zweifel daran, dass er | |
sein Gehalt rückwirkend in voller Höhe ausgezahlt bekommen wird, sobald die | |
Hamas wieder flüssig ist. | |
10 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Susanne Knaul | |
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