| # taz.de -- Urlaub auf zwei Rädern: Asphaltierte Rollbahnen | |
| > Urlaub mit dem Fahrrad ist längst ein Wirtschaftsfaktor geworden. Kein | |
| > Wunder, dass auch der Ruf nach Qualitätsnormen für Fahrradwege immer | |
| > lauter wird. | |
| Bild: Der Radweg im Maintal war der erste mit fünf Sternen. | |
| Mit den Wanderwegen fing Mitte der Neunzigerjahre alles an. Marktstudien | |
| hatten ergeben, dass die Traditionsrouten der Wandervereine nicht mehr | |
| zeitgemäß waren. Der moderne Freizeitgeher wollte nicht länger auf breiten | |
| Hartschotterpisten der Forstwirtschaft hinterherlatschen, und schon gar | |
| nicht auf Asphalt. Er suchte das, was es kaum noch gab: Verschlungene, | |
| schmale und erdige Pfade, auf denen man der Natur wirklich nahe kam. | |
| Um die Routen unterscheiden zu können, entwarf "Wanderpapst" [1][Rainer | |
| Brämer] daraufhin ein Verfahren der Qualitätskontrolle, aus dem zwei | |
| miteinander konkurrierende Gütesiegel hervorgingen: das | |
| Premiumweg-Zertifikat seines [2][Deutschen Wanderinstitut]s und eine | |
| Lightversion, die vom [3][Deutschen Wanderverband] propagiert wird. Wen | |
| wunderts, dass inzwischen auch die Radwege an der Reihe sind? | |
| Hier bietet der [4][Allgemeine Deutsche Fahrrad Club] (ADFC) seine Dienste | |
| an. Sein Zertifizierungsverfahren besteht darin, die wesentlichen | |
| Qualitätselemente von Radfernwegen zu quantifizieren. Die Gesamtpunktzahl | |
| berechnet sich durch die Addition der Punkte, die für Befahrbarkeit, | |
| Oberfläche, Wegweisung, Routenführung, Sicherheit, Infrastruktur, | |
| öffentlichen Nahverkehr und Marketing erreicht werden. | |
| Inzwischen wurde das kostenpflichtige Verfahren auf eine Handvoll | |
| überregionale Radfernwege angewandt, unter anderem den [5][Ems-Radweg] und | |
| den [6][Maintalradweg], der mit fünf Sternen die Höchstnote erhielt. | |
| Ausschlaggebend dafür waren das professionelle Marketing, die einheitliche | |
| Beschilderung, die gastronomische Vielfalt am Wegrand, die komfortable | |
| Breite des Weges und ihr minimaler Rollwiderstand - mehr als neunzig | |
| Prozent der Route bestehen aus homogenen Teerdecken. | |
| Alle anderen Oberflächen führen beim ADFC zu Punktabzügen: Während "glatter | |
| Asphalt" pro Kilometer Strecke zwei Punkte bekommt, erhält eine | |
| "wassergebundene Decke" in "tadellosem" Zustand nur 1,5 Punkte, weist sie | |
| Wellen und Unebenheiten auf, so gibt es nur einen Punkt. | |
| Dem Radler wird damit garantiert, dass die Strecke auch bei Regen gut | |
| befahrbar bleibt und er sich sein Rad nicht schmutzig macht. Allerdings hat | |
| die Sache auch einen Haken: Naturnah ausgebaute Wege werden abqualifiziert | |
| - wer mit vielen Sternen werben will, muss die Asphaltmaschine auffahren | |
| lassen. | |
| Naturschützer sind darüber natürlich sauer, besonders, wenn dies in | |
| renaturierungsfähigen Auen geschieht. Es ist aber nicht mal sicher, ob sich | |
| Radler überhaupt endlose Teerbahnen wünschen. Die neue | |
| "[7][Grundlagenstudie Fahrradtourismus]" des [8][Deutschen | |
| Tourismusverbands] (DTV) fand nur heraus, dass dem Reiseradler verkehrsarme | |
| Strecken und eindeutige Beschilderungen am wichtigsten sind. | |
| Gleichauf mit dem "Abwechslungsreichtum" der Routen folgt der Zustand der | |
| Wege. Bei der Frage nach der Oberflächenbeschaffenheit optierten zwar 64 | |
| Prozent der Befragten für "Asphalt", die Antwort muss aber als wenig | |
| aussagekräftig betrachtet werden. Alternativ zu Asphalt konnten ja nur | |
| "Schotter/Kiesweg", "Wald-/Feldweg", "Kopfsteinpflaster" oder | |
| "Betonplatten" angekreuzt werden. | |
| Dass Langstreckenradler gut befahrbare Wege bevorzugen, liegt auf der Hand. | |
| Dass es unbedingt und überall Asphalt sein muss, hingegen nicht. Das gilt | |
| offenbar auch für ADFC-Mitglieder. Einer internen Befragung zufolge | |
| empfindet nur jeder Zehnte "glatte asphaltierte Oberflächen" als "sehr | |
| wichtig". | |
| Wer viel fährt, weiß auch, welche große Rolle der Abwechslungsreichtum für | |
| die Erlebnisintensität spielt. Steht dieses Kriterium bei der | |
| Wanderwegzertifizierung im Zentrum des Interesses, so spielt es beim ADFC | |
| praktisch keine Rolle. | |
| Aufhorchen lässt auch ein Einzelergebnis der Studie: Auf die Qualität der | |
| regionalen Angebote befragt, urteilten die Radfahrer weit kritischer als | |
| die Normaltouristen und bemängelten vor allem das Kultur- und | |
| Unterhaltungsangebot und den öffentlichen Personennahverkehr. Mit den | |
| Radwegen erklärten sie sich hingegen sehr zufrieden. | |
| Am zufriedensten sind sie mit dem [9][Elberadweg], der seit Jahren die | |
| Beliebtheitsskala der Radfernwege anführt, ohne je zertifiziert worden zu | |
| sein. | |
| In den östlichen Bundesländern befürchtet man mit Recht, die übertriebenen | |
| Hardware-Standards der Radlerlobby nicht erfüllen zu können. Um | |
| Höchstpunktzahlen in den Bereichen "Befahrbarkeit" und "Oberfläche" zu | |
| erhalten, braucht man schließlich eine drei Meter breite asphaltierte | |
| Rollbahn ohne jede Unebenheit - eine uniforme Schneise durch die | |
| Landschaft, kurz: eine Zweiradautobahn. | |
| 14 May 2010 | |
| ## LINKS | |
| [1] http://www.staff.uni-marburg.de/~braemer/ | |
| [2] http://www.wanderinstitut.de/ | |
| [3] http://www.wanderverband.de | |
| [4] http://www.adfc.de/ | |
| [5] http://www.ems-radweg.de/ | |
| [6] http://www.mainradweg.com/ | |
| [7] http://www.deutschertourismusverband.de/content/files/gu_fahrradtourismus_w… | |
| [8] http://www.deutschertourismusverband.de/ | |
| [9] http://www.elberadweg.de/start.html | |
| ## AUTOREN | |
| Gerhard Fitzthum | |
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