# taz.de -- Interview mit Hamburgs Milli Görüs-Spitze: "Wir werden als Muslim… | |
> Immer noch wird die als islamistisch geltende Organisation vom | |
> Verfassungsschutz beobachtet, bei der Islamkonferenz am Montag ist sie | |
> nicht dabei. Ein Gespräch mit der Hamburger Milli-Görüs-Spitze über den | |
> Islam, das Kopftuch und Erbakan. | |
Bild: Stehen unter Generalverdacht, sagen die Hamburger Milli-Görüs-Chefs: Mu… | |
taz: Herr Ucar, Herr Yoldas, Herr Yazici, Sie vertreten in Hamburg Milli | |
Görüs. Das ist eine Organisation, die vom Verfassungsschutz beobachtet | |
wird, weil sie als islamistisch gilt. | |
Mustafa Yoldas: Punkt. Mehr nicht. Keine Vorwürfe. | |
In Hamburg nicht, nein. | |
Yoldas: Woanders auch nicht. Es wird von einer vermeintlichen | |
integrationsfeindlichen Grundeinstellung gesprochen. | |
Ahmet Yazici: Ne wieso, Schleswig-Holstein sagt, wir sind antizionistisch, | |
und wir würden Ungleichheit zwischen Mann und Frau predigen. | |
Yoldas: Antizionistisch oder antisemitisch? | |
Yazici: Antizionistisch! Und weißt du auch warum? Ich habe in einem Bericht | |
vom NDR gesagt: Ich bin kein Antisemit und ich habe nichts gegen Juden. | |
Aber gegen Zionismus, dagegen habe ich was. Wie kommt ein deutsches | |
Verfassungsorgan dazu, Antizionismus als etwas Negatives darzustellen? | |
Warum ist das negativ? | |
In Deutschland gab es die Geschichte mit dem Holocaust. | |
Yazici: Sorry, aber die teilen wir ja nicht. Da waren wir nun wirklich | |
nicht dabei. | |
Yoldas: Aber auch darüber ließe sich streiten. Es gibt Leute, die einen | |
Zusammenhang herstellen über den Mufti von Jerusalem. | |
Yazici: Der mit Hitler zusammen paktiert hat. | |
Yoldas: Wenn wir zufällig damals in Deutschland gelebt hätten, hätten wir | |
am Holocaust mitgewirkt. | |
Yazici: So deren Verständnis. | |
Yoldas: Ja, aber anschließend wären wir selber in den Ofen gewandert. | |
Was ist mit Milli-Görüs-Gründer Erbakan, hat der kein | |
Antisemitismus-Problem? | |
Yazici: Erbakan ist ein Politiker aus der Türkei, der nach türkischen | |
innenpolitischen Verhältnissen spricht. Erbakan ist Chef einer politischen | |
Bewegung, nicht einer Religionsgemeinschaft. Milli Görüs, die wir hier in | |
Europa haben, ist seinerzeit ein Teil dieser türkischen politischen | |
Bewegung gewesen. Aber in den letzten Jahren hat sie sich immer weiter | |
entfernt von der politischen Linie in der Türkei. | |
Yoldas: Für große Teile der Milli-Görüs-Bewegung hier in Europa ist Erbakan | |
so etwas wie der Patriarch, der Übervater, dem man ungern laut | |
widerspricht, aber im Grunde wissen alle: Er muss weg, seine Zeit ist um. | |
Ramazan Ucar: Ich als Muslim, der in Hamburg lebt, möchte mit Erbakan | |
nichts zu tun haben, das sage ich auch in meiner Gemeinde. Seit fünf Jahren | |
kommt die Milli Gazete … | |
…die Zeitschrift von Erbakan … | |
Ucar: … nicht hierher, und das war unsere Entscheidung. Ich habe diese | |
Meinung in der deutschen Milli-Görüs-Zentrale vertreten, ich habe gesagt: | |
Leute, so geht das nicht. Jeder weiß, dass ich so denke, das habe ich auch | |
in Ankara gesagt, wo wir Erbakan getroffen haben. Ich habe gesagt: Wir | |
wollen eine eigenständige Gemeinde sein. Du darfst nicht nach Deutschland | |
kommen und uns Befehle geben. Wenn der Verfassungsschutz Erbakan benutzt, | |
um Milli Görüs zur Seite zu drängen, dann haben Menschen wie ich Probleme. | |
Dann sagen die, egal was ihr tut, ihr werdet als Muslime bestraft, nicht | |
als Milli-Görüs-Anhänger. | |
Yazici: Für uns sind nicht Grundsätze von Erbakan wichtig, sondern die | |
Grundsätze des Koran. Das Leben des Propheten ist das Beispiel für uns, und | |
das ist das Problem. Stellvertretend dafür werden wir in Deutschland | |
verprügelt. Wir werden verprügelt, weil wir den Islam als Religion | |
wahrnehmen und versuchen, uns mit den Wurzeln unserer Religionsgemeinschaft | |
auseinander zu setzen. | |
Wer sollte etwas dagegen haben, wenn sich jemand mit seiner Religion | |
identifiziert? | |
Yazici: Der Staat will ein bestimmtes religiöses Islamverständnis von uns | |
haben, im Rahmen einer Leitkultur. Wir sagen, wir lassen uns gerne auf ein | |
Islamverständnis ein, das mit dem Grundgesetz übereinstimmt. Wir lassen uns | |
aber nicht darauf ein, dass irgendwelche Leute sich hinstellen und uns auf | |
eine deutsche Leitkultur verpflichten, von der sie uns nicht näher | |
erzählen, was das ist. Das ist das, was die Deutsche Islamkonferenz | |
versucht, mit ihrer Asymmetrie der Teilnehmer, bei der man 15 | |
Behördenvertreter hat, zehn, elf Personen, die man willkürlich auswählt, | |
möglichst noch aus dem Spektrum der Islamkritiker, und dann noch drei | |
konservative Religionsgemeinschaften, konservativ in Anführungsstrichen. | |
Religionsgemeinschaften sind immer konservativ. | |
Die Wunschvorstellung wären vermutlich aufgeklärte Muslime, Frauen, die | |
keine Kopftücher tragen und sich schminken. | |
Yazici: Und Schweinefleisch essen und Bier trinken. Genau das ist es. Und | |
was sagt die deutsche Familienministerin? Sie sagt, dass die alevitische | |
Gemeinde das erfüllt, und deswegen arbeitet sie mit ihnen zusammen. Damit | |
zeigen sie uns als Milli-Görüs-Muslimen: Wenn ihr so werdet wie die, dann | |
belohnen wir euch auch. | |
Feministinnen werfen Ihnen vor, dass Frauen bei Ihnen Kopftuch tragen | |
sollen. | |
Yoldas: Das ist ihre freie Entscheidung, darum geht es. | |
Okay, man soll also niemand zwingen, es abzulegen? | |
Yoldas: Oder anzulegen. | |
Ucar: Die Feministinnen sollten mit den muslimischen Kopftuch tragenden | |
Feministinnen sprechen. Auf welche Seite wollen wir die tun? | |
Yoldas: Frauen, die Kopftuch tragen, betrachten das eher als eine | |
Emanzipation aus den patriarchalischen Strukturen. Ich kenne viele junge | |
Frauen, die kein Kopftuch getragen haben, aber mit zunehmendem islamischen | |
Bewusstsein sagen: Jetzt erst recht. Ihr grenzt mich aus? Ihr wollt, dass | |
ich ununterscheidbar werde? Und ich bemühe mich darum, ich spreche besser | |
Deutsch als ihr, ich habe bessere Noten, und trotzdem komme ich nicht | |
weiter. Dann setze ich mich ab. | |
Kopftuch bedeutet, sich vor den Blicken der Männer zu verbergen, dahinter | |
stecken doch Besitzverhältnisse. | |
Yoldas: Die Emanzipationsgeschichte des Abendlandes ist nicht eins zu eins | |
übertragbar auf die der muslimischen Frau. Man kann bei uns sehr wohl | |
emanzipiert sein und ein Kopftuch tragen, das schließt sich nicht aus. | |
Wobei für viele Frauen ist es sogar ein Ausdruck von Autonomie, zu | |
behaupten, mein Körper gehört mir, ich zeige ihn, wem ich will. | |
In Niedersachsen gibt es jetzt eine türkische Sozialministerin, die sich | |
auch gegen das Tragen eines Kopftuches in der Schule ausspricht. | |
Yoldas: Nein, sie ist nicht gegen das Kopftuchtragen in der Schule. Sie | |
nimmt die Vorgaben des Grundgesetzes ernst. Ich weiß, dass ihre Familie | |
eigentlich nicht zu der Gruppe der Hardcore-Kemalisten gehört, die sich | |
prinzipiell gegen Religion im öffentlichen Leben positionieren. Sondern sie | |
hat gesagt, aus dem Gleichheitsgebot heraus, dass die Schule ein neutraler | |
Ort sein soll. | |
In Belgien gibt es jetzt ein Burka-Verbot. | |
Ucar: Das zeigt, wie ehrgeizig diese Menschen sind, die gegen die Burka | |
sprechen. Es geht um 18 Menschen in ganz Belgien, und Belgien hat große | |
Probleme, das Land wird entzwei gespalten. Und mit was beschäftigt es sich? | |
Mit der Burka. | |
Es steht als Symbol dafür, dass Frauen den Blicken entzogen werden. | |
Ucar: In der Türkei werden sie weniger Frauen finden, die Burka tragen als | |
in Belgien. Die Menschen, die Frauen verkaufen in Europa, das ist schlimm | |
und das wird nicht annähernd so diskutiert wie die Menschen, die gezwungen | |
werden, ein Kopftuch zu tragen oder zu heiraten. Ich als Vertreter der | |
islamischen Gemeinde diskutiere mit staatlichen Stellen, wie wir dagegen | |
kämpfen können. Gleichzeitig stellen sie aber auch uns in diese Ecke. Das | |
geht nicht. Ich bin gegen Zwangsheirat. Ich bin gegen Zwangskopftuch. | |
Yazici: Stimmt. Mit dem Islam, der uns unterstellt wird, haben wir nichts | |
zu tun. Das ist nicht unser Islam. | |
14 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Daniel Wiese | |
## ARTIKEL ZUM THEMA |