# taz.de -- Hamburger Bischöfin Jepsen: "Maria war keine Jungfrau" | |
> Die Bischöfin von Hamburg über das Revolutionäre und das Weibliche an | |
> Maria, das Schöne am Begriff der Demut, die Aufrichtigkeit der Margot | |
> Käßmann und die ausbleibenden Fortschritte der Ökumene. | |
Bild: Ökumenisches Kreuztragen: Bischöfin Maria Jepsen und der Hamburger Erzb… | |
taz: Frau Jepsen, war Maria Jungfrau, als sie Jesus von Nazareth gebar? | |
Maria Jepsen: Sie war eine junge Frau. Die Vorstellung Jungfrau, die sich | |
ja nachher sehr weit entwickelt hat, ist eine theologische Aussage. | |
Inwiefern? | |
Weil man durch die Jungfräulichkeit Mariens ausdrücken wollte, dass Jesus | |
ein ganz besonderes Kind, ein Gotteskind ist. Es ist keine biologische | |
Aussage aus meiner Sicht. | |
Das trennt Sie klar von der katholischen Auffassung. | |
Das trennt mich klar von der katholischen und orthodoxen Auffassung - für | |
die Maria sogar die immerwährende Jungfrau ist. Wir Protestanten bekennen | |
im Glaubensbekenntnis ja auch: "Geboren von der Jungfrau Maria." Das kann | |
ich gut nachsprechen, weil ich die Glaubensaussage teile, dass Jesus von | |
Anfang an von Gott gewollt, in die Welt geschickt und ein besonderer Mensch | |
ist, der Himmel und Erde miteinander verbindet. Da interessiert mich die | |
biologische Wertung überhaupt nicht. | |
Aber der Glaube an die Jungfräulichkeit hat weite Konsequenzen. | |
Ja, denn dahinter stehen ja der Gedanke der Erbsünde und die Abwertung der | |
Sexualität, die daraus gesponnen wird, dass ein Mensch beim | |
Geschlechtsverkehr mit Lust gezeugt wird, also auch durch den bösen Trieb | |
geprägt ist - das alles sind Aussagen, die ich gut respektieren kann bei | |
der katholischen und orthodoxen Kirche, die aber für mich keine Relevanz | |
haben. | |
Wenn man die Jungfräulichkeit Mariens nicht biologisch sieht, nimmt man der | |
Geburt Jesu natürlich etwas von dem Wunder, das man darin sehen kann. | |
Nein, das Wunder ist, dass Gott seinen Sohn nicht in einem Palast hat zur | |
Welt kommen lassen, sondern von einer einfachen Frau in einem kleinen Ort | |
in Galiläa. Gott will sich nicht mit der Macht und dem Glanz verbünden, | |
sondern lässt sich auf einen einfachen Menschen des Volkes ein. Das | |
Wichtige bei Jesus ist nicht seine Verwandtschaft, sondern das, was er | |
sagt. Die Frage der Jungfräulichkeit ist ja auch erst im 3. und 4. | |
Jahrhundert aufgekommen. | |
Also die schon ältere Idee, das Glaubensbekenntnis zu verändern und zu | |
sagen "Geboren von der jungen Frau Maria" fänden Sie nicht schlecht? | |
Ich würde die alte Sprache lassen. Bestimmte alte Ausdrücke, wie auch | |
"Hinabgestiegen in das Reich des Todes", sind gut, auch wenn die Gefahr | |
besteht, dass die Menschen sie sofort wörtlich nehmen. Wer das tun will, | |
kann es auch, aber es darf kein Hindernis sein. | |
Sie haben ja auch dagegen votiert, dass man "Mutter unser" statt "Vater | |
unser" sagt. | |
Ich bin sehr vorsichtig, die biblische Sprache zu ändern. Die alten Texte | |
können wir nicht in jeder Generation völlig neu auslegen. So ist es | |
erschreckend zu lesen, wie man manches in der Bibel während der NS-Zeit neu | |
ausgelegt hat. Die Interpretation darf neu sein. Und es darf auch | |
widerborstig sein. Die Menschen sollen nachfragen: Warum heißt es Jungfrau? | |
Dann kommen sie nämlich auf die Bedeutung Jesu. Wenn es nur hieße "junge | |
Frau", kommen die Leute nicht darauf. | |
Luther konnte ja mit der Aussage "Jungfrau" sehr viel anfangen. Er hat | |
sogar an die immerwährende Jungfräulichkeit geglaubt, also auch an die | |
Jungfräulichkeit nach der Geburt Jesu und nach den Geburten der Geschwister | |
Jesu, die Maria hatte. | |
Biblisch gesehen, also bei Jesaja, heißt es "junge Frau". Ich habe von | |
Luther gelernt, die Bibel nicht zu kopieren. Manches konnte er eben als | |
Kind seiner Zeit im 16. Jahrhundert anders sagen. So schön er das | |
"Magnificat" Mariens ausgelegt hat … | |
… "er stößt die Gewaltigen vom Stuhl und erhebt die Niedrigen", übersetzt | |
Luther … | |
Ja, aber in manchen Bereichen würde er das Geschriebene heute bestimmt | |
anders auslegen. Außerdem sehen wir ja schon im Neuen Testament, welche | |
unterschiedlichen Ansichten dort von Maria zu finden sind. | |
Zum Beispiel? | |
Bei Johannes ist es die Mutter, die Jesus gar nicht versteht und noch nicht | |
einmal mit Namen genannt wird. Und bei anderen Evangelisten ist sie das | |
Vorbild des Glaubens. Das ist das Reizvolle, dass es mehrere Marienbilder | |
gibt. Das ist eine Offenheit, die auch ein Angebot an uns Protestanten ist, | |
uns unserer Marienfrömmigkeit zu erinnern. | |
Sie sprechen heute sehr warm über Maria, als Kind aber war das ganz anders, | |
haben Sie einmal erzählt. | |
Ja, es war ein Graus. Ich bin in den Fünfzigerjahren in Norddeutschland | |
aufgewachsen. Ich hieß Maria, meine Schwester Elisabeth. Wir waren | |
verdächtig, katholisch zu sein - und das war das Allerschlimmste. Das hat | |
sich dann für mich geändert durch die feministische Theologie und die | |
Begegnung mit Katholiken. Fasziniert hat mich im "Magnificat", wie Maria | |
auch die Umkehr der Ordnung verkündet. | |
"Er stürzt die Mächtigen vom Thron und erhöht die Niedrigen", übersetzt die | |
katholische Einheitsübersetzung. | |
Ja, das ist mir gerade in Lateinamerika deutlich geworden, wo Maria | |
Symbolfigur des Umsturzes ist. Jedoch nicht als Revolution, sondern als | |
Umsturz der Werte: Gott ist auch bei den kleinen und schwachen Menschen. | |
Leider wurde auch das in der Kirchengeschichte oft ausgenutzt, nach dem | |
Motto: Frauen, seid demütig wie Maria. | |
Also hat das "Magnificat" doch etwas mit Revolution zu tun? | |
Mit Revolution hat es schon zu tun, aber nicht mit Gewalt und Terror. Es | |
ist eine Revolution der Werte. Es geht um die Gerechtigkeit Gottes, nicht | |
um Gewalt von oben. Es ist eine Revolution in Richtung Gerechtigkeit und | |
Barmherzigkeit, und es ist immer ein Aufstand gegen Diktatur, ob es die | |
politische Diktatur ist oder die des Geldes. Was ich an Maria zudem sehr | |
schön finde: Sie hat in der Geschichte auch die weiblichen, weichen, | |
barmherzigen Seiten Gottes zum Ausdruck bringen können, die wir lange fast | |
verloren hatten, als Gott nur der Herr, der König, der Krieger und der | |
Richter war. | |
Maria als Sehnsucht nach dem weicheren, weiblichen Gott? | |
Es ist das Gemütvolle und das Weibliche, das wir Gott vielfach entzogen | |
haben. So heißt er etwa "El schaddaj", also Gott der Allmacht, was wörtlich | |
eigentlich heißt: "Gott der Brüste". Wörtlich übersetzt hat Gott den | |
Menschen auch "geboren", nicht gezeugt. Gott ist ja kein männlicher Gott, | |
sondern er hat die Fülle. | |
Glauben Sie, dass die Marienfrömmigkeit der katholischen Kirche etwas mit | |
dem Zölibat zu tun hat, etwa als Sublimierung ungelebter Sexualität? | |
Das Seltsame ist ja, dass Maria entsexualisiert wurde, weil sie ja nach | |
diesem Verständnis ohne Sexualität schwanger geworden sei und auch ihre | |
Sexualität nicht gelebt habe. | |
Dabei erscheint Maria zuweilen vernachlässigenswert. "Frau, was habe ich | |
mit dir zu schaffen?", schnauzt Jesus sie im Johannes-Evangelium an. | |
Hier geht es darum, nicht Angehöriger einer Familie zu sein, sondern Gott | |
zu hören. Und dann entscheidet sich das. Ähnlich ist es mit den Heiligen: | |
Wir beten nicht zu ihnen, sondern sie sind Hilfe in unserem Glauben, | |
Vorbilder darin: Wie können wir auf Gott hören? Sie zeigen uns, wie | |
konsequent wir im Glauben sein können. Und wie schwach wir sind. | |
Was gefällt der feministischen Theologie so an Maria? | |
Na ja, manche feministische Theologinnen haben etwas Probleme mit der Demut | |
der Maria. Ich finde das Wort Demut ja sehr schön. Es sagt doch: Ich bin | |
gar nicht viel, und trotzdem kann Gott mich auserwählen. Von dieser | |
Theologie können wir lernen, dass Frauen eine Gleichwertigkeit vor Gott und | |
in unserer Institution haben. | |
Es gibt ja ein paar Seiten an Maria, die sind recht modern: früh schwanger, | |
zunächst ohne Ehemann, sie war ein Flüchtling, zeitweise alleinerziehend, | |
einige Wohnorte, sie erträgt viel Not und lebt diese Frauensolidarität zu | |
Maria Magdalena. | |
Andererseits finden wir in der Bibel relativ wenige Aussagen über Maria. | |
Mit ihr wurde ja zum Teil etwas Ähnliches gemacht wie mit Miriam, die zur | |
Schwester von Moses gemacht wurde, obwohl sie eine Prophetin war. So etwas | |
passierte vielen Frauen in der Bibel. Die Aussage ist dennoch da: Gott | |
schaut nicht auf das ganz Große. Wenn wir die anderen Stammmütter Jesu | |
sehen, sind das nicht die großen Stammmütter Israels wie Sara, Rebekka und | |
so weiter, sondern Frauen, die zum Teil aus anderen Völkern stammten. Viele | |
dieser Frauen standen für etwas Offenes, Weiches und für die Zukunft, nicht | |
für das Heutige und Starre. | |
Warum gibt es bei den Katholiken dieses Bedürfnis, in die wenigen Aussagen | |
über Maria so viel hineinzulesen? | |
Ich habe es mal gelernt, weiß aber nicht, ob es stimmt: Gerade bei der | |
Mission ist in manchen Teilen der Welt viel Verkündigung über eine | |
"Göttin-Frömmigkeit" geschehen, etwa bei den Iren und Kelten, weil Maria | |
etwas näher, bodenständiger und vertrauter schien als Gott, der in der | |
Ferne ist. | |
Ist Ihnen Maria auch so nahe? | |
Man kann, das gilt vor allem für Katholiken, Maria ganz viel anvertrauen, | |
ganz viel Nähe. Ich muss keine Angst vor ihr haben. Aber wir als | |
Protestanten sagen dies von Jesus und von Gott: Habt keine Angst, habt | |
Vertrauen, wagt Nähe. | |
Zu einer anderen starken Frau, die nun auf dem Kirchentag in München | |
erstmals wieder in der Öffentlichkeit auftritt: Margot Käßmann. Die | |
EKD-Ratsvorsitzende war im Februar wegen einer Alkoholfahrt zurückgetreten, | |
was die Evangelische Kirche erschüttert hat. Dabei war der Rücktrittsgrund, | |
im Nachhinein gesehen und im Vergleich zu den jüngsten Skandalen bei den | |
Kirchen, eine Kleinigkeit, oder? | |
Das weiß ich nicht. Wenn das, sagen wir mal: 0,5 oder 0,6 Promille gewesen | |
wären. Aber es war eine ziemlich große Menge Alkohol - dann muss man auch | |
dazu stehen. So bedauerlich das ist, dann erwarte ich auch eine Konsequenz. | |
Ich hoffe auch, dass das einen Vorbildcharakter hat. | |
Wahrscheinlich hätte ein Mann das einfach ausgesessen. | |
Ja, aber das ist kein Weg. Nach dem Motto: Die anderen schummeln auch und | |
sind auch korrupt etc. Margot Käßmann war anders. Sie hat gezeigt, ich bin | |
klar. Auch wenn es für sie hart und nun alles kaputt ist. | |
Hätte sie die Häme nicht durchstehen müssen, damit weiter eine wichtige | |
Frau im Protestantismus wirken kann? | |
Nein. Wir als Kirche stehen dazu, dass dies ein Fehler gewesen ist. Ich | |
fand das auch als Frau gut. Frauen sitzen das nicht einfach aus, sie stehen | |
dazu. Aber dass das für uns ein unglaublicher Verlust ist, das ist klar. | |
Als ich das erste Mal dazu Stellung nehmen musste, schlackerten mir die | |
Beine. | |
Hat sie so nicht dennoch der Frauensache in Deutschland geschadet? | |
Zumindest hat Alice Schwarzer so argumentiert. | |
Einerseits ja, weil sie nicht mehr da ist. Andererseits hat Margot Käßmann | |
gezeigt, dass sie Stärke hat, mehr Stärke als die vielen starken Männer, | |
die sonst so auftreten. Das fand ich ein Zeichen von Größe. Es steht ein | |
Mensch für das, was er gemacht hat. | |
Auf dem Kirchentag aber wird sie gefeiert. | |
Ja. Aber ob das so hilfreich ist, wird man nachher sehen, weil sie ja auch | |
ein ganz normaler Mensch ist. | |
Wird es auf dem Kirchentag irgendeinen ökumenischen Fortschritt geben? | |
Ich hoffe es, aber glaube es nicht. | |
Was macht Sie so skeptisch? | |
Ich wüsste nicht, wo das sein könnte. Vielleicht in dem gemeinsamen | |
Brotbrechen, das geplant ist. Die entscheidenden Fragen sind ja die nach | |
dem unterschiedlichen Verständnis vom Priesteramt in den beiden Kirchen, | |
womit ja auch die Abendmahlfrage zusammenhängt. Und da wird es keine | |
Annäherung geben. | |
Sehen Sie irgendwo Fortschritt in der Ökumene seit Beginn des Pontifikats | |
von Papst Benedikt XVI.? | |
Ich habe keinen Fortschritt gesehen. | |
Nur Rückschritte? | |
Es gab jedenfalls keine Ermutigung. Zurückhaltende Stimmen sind lauter | |
geworden. | |
Der Papst hat das Schreiben "Dominus Jesus" aus dem Jahr 2000 noch | |
bekräftigt, wonach die evangelischen Kirchen nach katholischem Verständnis | |
keine Kirchen seien. | |
Das finde ich manchmal außerordentlich schmerzhaft. Unter Bischöfen heißt | |
es dann oft: Natürlich erkennen wir euch an. Aber dann sind wir doch wieder | |
nur eine Kirche anderen Typs oder bloß eine kirchliche Gemeinschaft. | |
Sind Sie manchmal persönlich beleidigt, wenn man Sie derart abwertet? | |
Nein, bin ich nicht. Ich bin nur enttäuscht für die katholische Kirche, | |
weil ich mir da mehr wünschte. Es ist manchmal schmerzhaft. Aber meine | |
Würde oder meine Ehre empfange ich ja nicht von der katholischen Kirche. | |
15 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Philipp Gessler | |
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