# taz.de -- Afrikanischer Superstar Waris Dirie: "Brutalste Form der Unterdrüc… | |
> Waris Dirie floh von Afrika nach Europa, weil sie zwangsverheiratet | |
> werden sollte. Sie wurde als Model berühmt und engagiert sich gegen | |
> Genitalverstümmelung. Jetzt hat sie ihr viertes Buch gescherieben. | |
Bild: "Irgendwo in ihrem Inneren wissen die Männer, wie stark wir Frauen in Wi… | |
Frau Dirie, mit 13 Jahren sind Sie aus Ihrer Heimat Somalia geflohen. | |
Seitdem leben Sie in Europa, zuletzt in Wien, sind österreichische | |
Staatsbürgerin. Warum haben Sie sich nun entschlossen, nach Afrika zurück | |
zu gehen und dort eine Farm aufzubauen? | |
Das war ein Prozess und geschah im Zuge meines Kampfes gegen die weibliche | |
Genitalverstümmelung. Darüber zu sprechen und ein Bewusstsein in der | |
Öffentlichkeit dafür zu schaffen, ist enorm wichtig - aber eben nicht | |
genug. Ich muss dieses komplexe Problem an seinen Wurzeln packen, und das | |
bedeutet eben auch, nach Afrika zurück zu kehren und den Frauen dort zu | |
helfen. | |
Wohin genau werden Sie ziehen und wie sieht Ihre Hilfe dort aus? | |
Ich werde auf jeden Fall nach Ostafrika ziehen und habe mir bereits Häuser | |
in Äthiopien und Tansania angesehen. Es sollte ein Ort sein, der trotz der | |
Nähe zu meiner Heimat Somalia sicher genug ist, um meine Familie dort | |
unterzubringen. Ich liebe die Natur und lebe auch jetzt außerhalb von | |
Danzig im Grünen. Mein Traumanwesen wäre eine Lodge mit angrenzender | |
landwirtschaftlicher Fläche, die man auch bewirtschaften kann. Mit meinem | |
neuen Projekt, dem African Fund ich will Einheimische dort, vor allem | |
Frauen, dabei unterstützen, eigene Firmen zu gründen. | |
In Ihrem neuen Buch, "Black women, white country" schreiben Sie, dass Sie | |
hier in einer Gesellschaft leben, die Sie nicht verstehen. Warum ist es so | |
schwer für uns alle, sich in einer fremden Gesellschaft zurechtzufinden? | |
Weil wir uns eben auf die Gesellschaften konzentrieren, und nicht auf die | |
Individuen. Auf der Ebene des Individuums sind wir alle gleich. Aber wir | |
wachsen in unterschiedlichen Umgebungen auf, leben unter verschiedenen | |
Bedingungen und folgen verschiedenen sozialen Regeln, die für Außenstehende | |
oft schwer zu verstehen sind. Wir sollten uns mehr auf das konzentrieren, | |
was wir als Menschen gemeinsam haben anstatt auf das, was uns als Gruppen | |
oder Gesellschaften trennt. | |
Eines Ihrer Ziele ist es, die afrikanischen Gesellschaften zu verändern. | |
Das klingt nach einer Aufgabe, für die es mehr als einen Menschen | |
braucht... | |
Natürlich kann ich das nicht alleine. Aber ich hoffe, mit meinen Projekten | |
anderen ein Beispiel zu geben und zu zeigen, dass man eine Menge erreichen | |
kann und zwar mit weitaus weniger Geld, als derzeit in Afrika für solche | |
Projekte sonst verwendet wird. Soziale Veränderungen bewirkt man nur durch | |
Handeln, nicht alleine durch Reden. Also mache ich den Anfang und hoffe, | |
dass andere mitziehen. | |
Entwicklungsgelder aus Europa werden mittlerweile von vielen nicht mehr als | |
Lösung, sondern als Teil des Problems angesehen. Auch Sie sagen, dass | |
Afrika sich selbst helfen müsse. Dennoch gibt es globale politische und | |
ökonomische Machtstrukturen, die Afrika alleine nicht durchbrechen wird. | |
Was müssen die westlichen Industrienationen also tun, um Afrika wirklich zu | |
helfen? | |
Manche Dinge kann niemand von uns ändern, aber als Afrikanerin muss ich | |
mich auf die Dinge konzentrieren, die in Afrika falsch laufen. Afrika ist | |
ja nicht nur Opfer, und es sollte auch nicht als solches agieren. Es muss | |
sich seinen Problemen stellen, der Korruption zum Beispiel. Das Beste, was | |
die westlichen Länder dabei tun können ist, nicht länger korrupte und | |
illegitime Regierungen zu finanzieren. | |
Glauben Sie denn wirklich, dass die EU jemals ihre Importbeschränkungen | |
aufgeben wird? | |
Da hat sich bereits manches verändert. Immerhin kann nun bereits gerösteter | |
Kaffee aus Äthiopien importiert werden ohne lächerlich hohe Steuern | |
bezahlen zu müssen, was jahrzehntelang unmöglich war. Aber natürlich | |
entstehen in Afrika nach Jahren des Protektionismus nun nicht über Nacht | |
Firmen, die Kaffee oder andere Naturprodukte weiterverarbeiten könnten. Ich | |
möchte Firmen dabei unterstützen, Rohstoffe in Afrika weiterzuverarbeiten | |
und dadurch Arbeitsplätze und Wohlstand zu schaffen, mehr, als durch den | |
Export von Rohstoffen jemals möglich wäre. | |
Die Genitalverstümmelung von Frauen, gegen die Sie seit Jahren kämpfen, ist | |
also nur Teil eines größeren, ökonomischen Problems? | |
Irgendwie wusste ich immer, dass Armut eine große Rolle für die | |
Hartnäckigkeit spielt, mit der Genitalverstümmelung praktiziert wird. Viele | |
Familien haben finanziell keine andere Wahl als sich auf das System der | |
Heirat, oder besser gesagt: den Verkauf ihrer Töchter, zu verlassen. Und | |
das können sie nur, wenn diese Töchter verstümmelt sind. Ich wusste das, | |
suchte aber nach einem Weg, das in Eigeninitiative zu bekämpfen. Und nun | |
habe ich, glaube ic eine gute Idee, wie ich das mache. | |
Genitalverstümmelung wird aber doch nicht nur in Afrika, sondern weltweit, | |
auch in Europa, praktiziert. Warum wird es in der Öffentlichkeit noch immer | |
als "afrikanisches Problem" betrachtet? | |
Weil es nirgendwo so verbreitet ist und so konsequent weitergegeben wird. | |
Außerdem ist es immer einfacher, ein Problem zu beschreiben, das weit von | |
der eigenen Haustür entfernt ist. Mit Religion hat die Verstümmelung | |
übrigens nichts zu tun, der einzig wahre Grund und Zweck ist die | |
Unterdrückung von Frauen. Es ist die brutalste Form der Unterdrückung. | |
Überall auf der Welt versuchen Männer, Frauen auf die verschiedensten Arten | |
zu unterdrücken. Warum, glauben Sie, haben die solche Angst vor Frauen? | |
Weil sie irgendwo in ihrem Inneren wissen, wie stark wir in Wirklichkeit | |
sind! | |
20 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Ariane Lemme | |
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