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# taz.de -- Südamerika Online: Mit dem Arsch nach oben
> Antanas Mockus will der erste grüne Präsident Kolumbiens werden. Dank
> seines modernen Internetwahlkampfs gelingt ihm das wohl auch.
Bild: Seit Monaten führt der mittlerweile 58-Jährige Antanas Mockus den origi…
Bogotá, Oktober 1993: Als Präsident der Nationalen Universität zeigt der
Mathematiker und Philosoph Antanas Mockus einem tobenden Auditorium das
nackte Hinterteil, um sich Gehör zu verschaffen. Eine Videoaufnahme der
Szene in den Abendnachrichten macht ihn schlagartig in ganz Kolumbien
berühmt. Ein Jahr darauf wählen die Einwohner Bogotás den Antipolitiker
nach einem Antiwahlkampf ohne teure Plakate oder Werbespots mit einem
Rekordergebnis zu ihrem Bürgermeister.
In zwei erfolgreichen Amtszeiten gelang es dem Sohn litauischer
Einwanderer, die chaotische Millionenstadt liebens- und lebenswerter zu
machen. Er organisierte Entwaffnungskampagnen, setzte weiß geschminkte
Mimen als Verkehrspolizisten ein, verweigerte sich jeglicher
Vetternwirtschaft und hielt die Finanzen zusammen. Unter Mockus und seinen
Nachfolgern Enrique Peñalosa und Lucho Garzón wurde Bogotá mit seiner
drastisch gesunkenen Zahl von Morden, seinen Fahrradwegen und dem
Schnellbussystem Transmilenio zum Vorbild für Metropolen in aller Welt.
Ähnlich wie damals in der Hauptstadt soll Mockus nun in ganz Kolumbien, das
seit Jahrzehnten in einem scheints endlosen Mehrfrontenkrieg steckt, eine
zivile Wende einleiten. Darauf setzen inzwischen Millionen, in den Umfragen
liegt der Grüne leicht vor Juan Manuel Santos, der das rechtsautoritäre
Projekt von Staatschef Álvaro Uribe fortsetzen will.
Ein Antipolitiker ist Mockus heute nicht mehr, aber treu ist er sich
geblieben. Seit Monaten führt der mittlerweile 58-Jährige mit gestutztem
und ergrautem Seemannsbart den originellsten Präsidentschaftswahlkampf in
der Geschichte Kolumbiens. Der begann bereits mit den betont harmonischen
Vorwahlen der neuen Grünen Partei, in denen er sich gegen Peñalosa und
Garzón durchsetzte. Als er Anfang April auch noch Sergio Fajardo, einen
ähnlich gepolten Exbürgermeister aus Medellín, als Vize gewann, begann sein
kometenhafte Aufstieg in den Umfragen.
Die grüne Fangemeinde ist ziemlich jung und sehr urban, sie drückt dem
Wahlkampf ihren Stempel auf. Wie die Anhänger Barack Obamas 2008 setzt sie
vor allem aufs Internet. Einen "substanziellen Wandel in der Politik"
registrierte Mockus vor Tagen erfreut und twitterte an seine gut 40.000
"Followers": "Sehr beeindruckend, dass siebzig bis neunzig Prozent der
Anwesenden bei den Veranstaltungen antworten, dass sie wegen fb dorthin
gekommen sind".
Facebook, das ist seine wohl wichtigste virtuelle Wunderwaffe. Der
einschlägigen Statistik zufolge ist er jener Politiker, der im letzten
Monat am meisten zulegte. In der Politweltrangliste liegen nur die zwei
Obamas, Sarah Palin und zwei Politiker aus den Philippinen vor ihm, er
selbst nähert sich bereits der Marke von 700.000 Fans. Hinzu kommt seine
professionell gestaltete Website. Auf YouTube hat sich der dänische
Dokumentarfilm "Bogotá Change" über seine Amtszeiten als Bürgermeister zum
Renner entwickelt.
Auf Mockus Facebookseite folgt fast im Sekundenrhythmus ein Eintrag dem
anderen, während der Fernsehdebatten wird es noch hektischer. Der
Journalist Germán López ist so ein Netzaktivist, der von Panama aus "rund
um die Uhr" für Mockus streitet. "Die Leute organisieren sich selbst, sie
schaffen, ergreifen die Initiative", schreibt er begeistert. Seit Januar
habe er viele Gleichgesinnte kennengelernt.
Das Internet fasziniert den bisherigen Nichtwähler als "Werkzeug der
Zivilgesellschaft und der Bürgerkontrolle". Auch nach Panama, wo 300.000
Kolumbianer wohnen, sei die "grüne Welle" geschwappt", berichtet López, die
zahlreichen "Illegalen" könnten aber in der Botschaft nicht wählen.
Insgesamt hat erst rund die Hälfte der KolumbianerInnen regelmäßigen Zugang
zum Internet. Besonders in jenen ländlichen Gebieten, die von
paramilitärischen Gruppen kontrolliert werden, haben die Grünen einen
schweren Stand. Dennoch sei er dieser Tage auch mitten in der Provinz immer
wieder auf Mockus-Plakate gestoßen, sagt Nicolás Vargas, 24, der in Bogotá
Ökologie studiert. Er schwankt noch zwischen Mockus, dessen
wirtschaftspolitische Vorstellungen er "gar nicht grün" findet, und dem
Linken Gustavo Petro.
Der Kandidat des "Alternativen Demokratischen Pols" setzt ebenfalls auf die
sozialen Netzwerke, seit neuestem auch Juan Manuel Santos. Doch die grüne
Hegemonie bei Facebook und Twitter bleibt ungebrochen. Mit seinem Beharren
auf Ethik und Legalität hat Mockus einen Nerv der kolumbianischen
Gesellschaft getroffen, die der Gewalt, der Bespitzelungsskandale und der
grassierenden Korruption der achtjährigen Uribe-Ära überdrüssig ist.
Über das Internet findet eine Repolitisierung breiter Schichten statt, in
den Städten häufen sich grüne Flashmobs. Die Wahlbeteiligung am 30. Mai
dürfte sämtliche Rekorde brechen. In den letzten TV-Debatten wirkte Santos,
als hätte er schon verloren. "Wenn wir 10 Millionen Nichtwähler erreichen,
dann ist sogar auf Anhieb die absolute Mehrheit drin", gibt sich
Netzaktivist López siegesgewiss.
20 May 2010
## AUTOREN
Gerhard Dilger
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