# taz.de -- Afrikanischer Musiker Youssou N'Dour: "Die Kultur stirbt ohne Schö… | |
> Selbstwahrnehmung, Bootsflüchtlinge, Musik und Internet – der | |
> senegalesische Weltstar Youssou N'Dour sprach mit der taz über seinen | |
> Kontinent. Am Sonntag spielt er auf dem Africa Festival in Würzburg. | |
Bild: Der internationale Musiker Youssou N'Dour: "Ich bin nicht allein. Es gibt… | |
taz: Herr N'Dour, in diesem Jahr 2010 versucht sich Afrika anders zu | |
präsentieren: Nicht mehr der Elendskontinent, sondern der Kontinent der | |
Fußballweltmeisterschaft, einladend und offen. Entspricht dieses neue Image | |
der Realität? | |
Youssou N'Dour: Ein wenig schon. Man darf das negative Bild eines Afrika | |
der Konflikte, der Armut und der Krankheiten nicht leugnen. Aber man sollte | |
nicht nur davon reden. Das marginalisierte Afrika, von dem die Welt nicht | |
spricht, ist das neue Afrika mit einer aufgeweckten Jugend, die weiß, was | |
in der Welt passiert, die vorankommen will. Es gibt zwei Seiten zu Afrika. | |
Hat die neue Generation denn die Mittel, sich zu verwirklichen? | |
Es ist keine Frage der Mittel, es ist eine Frage der Ideen. Ich finde, die | |
neue Generation hat eine sehr klare Vision. Wir haben vielerorts politische | |
Systeme, in denen sich die Menschen nicht frei ausdrücken können. Aber | |
immer mehr Bevölkerungen nehmen sich der öffentlichen Sache an, beteiligen | |
sich an Wahlen, damit sie Menschen mit klaren Ideen wählen können. Die | |
Mittel sind also da. Aber es müssen jetzt die Wege freigeräumt werden, der | |
soziale Druck, die Wahlen, damit die Jugend ihre Visionen umsetzen kann. | |
Vor kurzem schrieb bei uns ein ugandischer Journalist, Wahlen in Afrika | |
dienten vor allem der Legitimation des Diebstahls. Gibt es nicht | |
tatsächlich Enttäuschung, nachdem so viele Wahlen nicht wirklich frei | |
gewesen sind? | |
Ja gut, aber es gibt Länder, die vorankommen. Und wenn Wahlen nicht gut | |
verlaufen, dürfen die Leute nicht zu Hause bleiben. Sie müssen sich wehren, | |
sie müssen sich engagieren! Nicht nur ausländische Beobachter, sondern die | |
gesamte Bevölkerung muss sich einsetzen. | |
Sie haben ja selbst in Senegal vor zwanzig Jahren den Wandel besungen, das | |
Reinemachen, "sopi" und "set-setaal". Hat das etwas gebracht? | |
Ich blicke immer nach vorn. Seit Abdoulaye Wade vor zehn Jahren Präsident | |
wurde, hat sich viel getan, und es gibt auch vieles, was sich nicht getan | |
hat. Das ist normal. Es wurde viel Infrastruktur gebaut, das ist nicht | |
schlecht. Es gibt öffentliche Debatten. Auch ich äußere mich, zum Beispiel | |
als letztes Jahr die Energieprobleme und die Stromknappheit Themen waren, | |
habe ich ein Lied darüber gemacht. In anderthalb Jahren gibt es Wahlen, und | |
dann kann das senegalesische Volk urteilen. | |
Werden Sie zu den Wahlen kandidieren, wie es manche behaupten? | |
Nein. Ganz klar: Ich kandidiere nicht. Ich interessiere mich für das Land, | |
ich habe keine persönlichen Interessen. Jetzt konzentriere ich mich auf | |
mein neues Album "Dakar-Kingston", auf die Tourneen, den Großauftritt in | |
Bercy, dann komme ich nach Hause zurück und werde mich zur Lage äußern, | |
nicht vorher. | |
Ihre Heimat Senegal macht hier vor allem als Auswanderungsland | |
Schlagzeilen. Man sieht die Elendsboote auf dem Weg auf die Kanaren, voll | |
mit Leuten, die eine gewisse Idee von Europa im Kopf haben, die wohl nicht | |
der Realität entspricht, und man fragt sich, wie verzweifelt wohl diese | |
Jugend sein mag. | |
Es gibt in unterentwickelten Ländern immer Auswanderung, auch in Senegal, | |
weil die Jugend keinen Platz findet. Jugendliche, die sich keine | |
abgeschlossene Schulbildung leisten können, denen niemand eine | |
Berufsausbildung bietet, haben nichts und sind verzweifelt. Ich rate den | |
Jungen immer davon ab, in die Boote zu steigen, denn Europa ist nicht das | |
Eldorado, das sie denken. Aber es schwierig, ihnen das verständlich zu | |
machen. Man muss ja auch vom Ungleichgewicht zwischen Europa und Afrika | |
sprechen. Das sieht man überall. Entwicklungshilfe kommt nicht bei den | |
Menschen an, die Zusammenarbeit zwischen Reichen und Armen ist | |
unterentwickelt. Wenn die Leute sich selbst überlassen sind, gehen sie | |
Risiken ein. Dann fallen sie bei Ihnen ein. | |
Warum suchen die Leute das Glück anderswo, statt es bei sich aufzubauen? | |
Ich verstehe das nicht. Ich regiere ja nicht das Land, ich bin nicht dafür | |
verantwortlich, ich kann es Ihnen nicht erklären, und ich verstehe nicht | |
wirklich, warum diese Jugend unnütze Risiken eingeht. | |
Wie gibt man dieser perspektivlosen Generation Hoffnung? Wo sind positive | |
Vorbilder? | |
Die positiven Vorbilder sind Leute wie ich, die hier bleiben und arbeiten, | |
die zeigen, dass man normale Dinge tun und sich an der Entwicklung seines | |
Landes beteiligen kann. Dieses Image versuche ich zu geben. Ich bin nicht | |
allein. Es gibt Afrikaner, die in Afrika Erfolg haben, die den Weg weisen. | |
Das mag einige überzeugen. Aber letztendlich ist es die Verantwortung der | |
Familien, und mehr noch des Staats. | |
Können die Leute auf etwas Eigenes zurückgreifen, um ihre Zukunft zu bauen? | |
Sich nicht nur an der Fremde orientieren, sondern an der eigenen | |
Vergangenheit, der eigenen Kultur? Oder ist das unnütze Nostalgie? | |
Die Dinge sind ganz einfach. Das Problem ist ökonomisch. Rein ökonomisch. | |
Es hat nichts mit Vergangenheit zu tun. Die Leute haben keine Arbeit, weil | |
sie die Schule nicht abschließen konnten. Nun stehen sie mit 25 bis 30 | |
Jahren da und sehen keine Zukunft für sich. Also gehen sie Risiken ein, um | |
doch ein wenig Geld zu verdienen. Sie haben gar keine Zeit, sich der | |
Vergangenheit zu widmen. | |
Also ist es Unsinn, von einem neuen Afrika zu reden, das sich intellektuell | |
emanzipiert, das stolz ist, das nicht mehr nach Europa blickt… | |
Wenn das ökonomische Problem nicht geregelt wird, wenn Sie nicht die Welt | |
etwas ausgeglichener gestalten, dann werden die Leute ständig zu Ihnen | |
kommen, und das ist völlig legitim. Die Welt muss ins Gleichgewicht kommen. | |
Heute befindet sich der Reichtum nur auf einer Seite. Das ist nicht normal. | |
Wir leben alle in einer Welt, wir sehen dieselben Dinge, und die Jugend | |
revoltiert. | |
Ist die internationale Musikindustrie auch unausgeglichen? | |
Auch das ist ein ökonomisches Problem. Heute kann jedermann mit | |
Internetanschluss zu Hause die Filme sehen, die er will, und die Musik | |
hören, die er will. Die Leute haben immer weniger Zeit, Platten zu kaufen. | |
Wir hatten schon das Problem der Piraterie, nun verschwindet auch noch der | |
Verkauf völlig. Man kauft keine Musik mehr, man lädt sie herunter. | |
Gleichzeitig wird die Musik- und Filmschöpfung dadurch einfacher, auch in | |
Afrika… | |
Ja sicher. Aber es sind die Telefongesellschaften, die daran verdienen. Sie | |
haben den Markt übernommen. Sie sollten die Musikindustrie subventionieren, | |
in Kreativität investieren, die Gründung von Musikverlagen finanzieren, mit | |
denen man Geld durch das Herunterladen von Musik verdienen könnte. Ich weiß | |
nicht, wie das geht, aber es ist eine Idee. Ohne Schöpfung stirbt die | |
Kultur und das Leben wird finster. | |
Interessieren sich Senegalesen – und Afrikaner insgesamt – für die gleiche | |
afrikanische Musik wie das globale Publikum? | |
Wissen Sie, viele Länder der Welt schotten sich derzeit ab. In Afrika wird | |
viel lokale Musik gespielt. In Senegal spielt man zumeist den lokalen | |
Mbalax, aber der kommerzielle Erfolg senegalesischer Musiker kommt nicht | |
vom Mbalax, sondern von der sogenannten Weltmusik. Ich habe ein | |
Reggae-Album herausgebracht, und es verkauft sich in Senegal gut, aber im | |
Rest der Welt viel besser. In den meisten Ländern ziehen die Leute die | |
lokale Musik vor und öffnen sich nur ein wenig. Das ist nicht schlimm und | |
auch nicht dumm. Wir leben einfach in einer Zeit, in der alle Welt | |
versucht, sich auf sich selbst zu besinnen. Die Schallgrenzen werden erst | |
mal geschlossen. Ich hoffe, dass das nur eine Übergangszeit ist und dass | |
wir bald zu mehr Vielfalt zurückkehren. | |
Es gibt also in Afrika keine "afrikanische Identität", kein geeintes | |
"afrikanisches Bewusstsein"? | |
Es gibt das, aber es ist nicht geeint. Es ist keine Sammlung aller | |
afrikanischen Identitäten. Ich glaube, wir denken alle gleich, aber wir | |
warten noch, dass daraus eine einheitliche Identität wird, die auf ganz | |
Afrika und die Welt ausstrahlt. Ich wünsche mir eine afrikanische | |
Renaissance, ein Afrika, das wieder träumen kann. | |
Und wie geht das? Wie wird Afrika glücklich? | |
Indem die Afrikaner wieder Selbstvertrauen gewinnen. Indem die Jugend die | |
Stimme erhebt, so laut wie möglich. Indem es Stolz an der Entwicklung | |
Afrikas gibt. Und indem die Welt Afrika mit zwei Augen sieht. Nicht nur ein | |
negatives Auge, sondern auch ein positives. | |
21 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Dominic Johnson | |
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