# taz.de -- Kolumne Das Tuch: Der Sabbat-Lift | |
> Wie kommt ein Jude am Sabbat in den fünfzehnten Stock, ohne einen Knopf | |
> zu drücken? | |
"Wenn Juden am Sabbat keine Knöpfe betätigen dürfen, was machen dann die, | |
die in einem Hochhaus den Aufzug benutzen müssen?", frage ich Benji. Es ist | |
früher Abend und wir sitzen zusammen mit Freunden in einem Imbiss im | |
Londoner Stadtteil Golders Green, berühmt für seine große jüdische | |
Gemeinde. Wir essen koschere Schawarma. Schon den ganzen Nachmittag habe | |
ich Benji Löcher in den Bauch gefragt. Benji ist Jude. Und in einem Jahr | |
wird er mit seiner Ausbildung zum Rabbi fertig sein. | |
Als eine Freundin ihn mir vorstellt, bin ich überrascht. Benji entspricht | |
so gar nicht den gängigen Vorstellungen von einem Rabbi - oder zumindest | |
nicht den meinen. Er hat keine langen Schläfenlocken und trägt keine Kippa | |
auf dem Kopf. Er ist dünn und groß, Ende 20, hat die kurzen schwarzen Haare | |
zur Seite gekämmt. Auf der Straße könnte ich ihn nicht von anderen Londoner | |
Jungs unterscheiden. | |
Ich frage und frage und frage. Kann er Hebräisch? Sind seine Eltern auch | |
religiös? Wir sind mit Freunden da, aber die sind bald vergessen. Von uns | |
gelangweilt reden sie über andere Themen. Egal. Dafür kann ich Benji in | |
Ruhe löchern. | |
Er erzählt, dass er weder Kippa noch Locken trägt, weil er sich als | |
liberaler Jude versteht. Seine Eltern waren Teil einer spirituellen, | |
sufistischen Gruppe in England, die sich von verschiedenen Religionen | |
inspirieren ließ. Ihn und seine Brüder zogen sie jüdisch auf. Sie feierten | |
den Sabbat, und einmal in der Woche ging Benji in die Religionsschule. | |
Hebräisch lernt er erst jetzt in seiner Rabbiner-Ausbildung am College. | |
Während wir miteinander sprechen, sagen wir zwei Dinge immer wieder "Echt?" | |
Und: "Bei uns auch!" Vieles ähnelt sich in Islam und Judentum. Das wusste | |
ich ganz allgemein, aber konkret hatte ich es bis dahin nicht erfahren. | |
Sogar die Begriffe sind oft ähnlich. In beiden Religionen gibt es ein | |
Wohltätigkeitsgebot - wir sollen Armen und Bedürftigen spenden. Benji nennt | |
es "Zedaka", ich "Sadaka" oder "Zekat". Wir beide haben unsere Fastenzeiten | |
und beten beide mehrfach am Tag - Benji zweimal Richtung Jerusalem, ich | |
fünfmal Richtung Mekka. "Darf ich mal mit in die Synagoge?", frage ich ihn | |
schließlich. | |
Und da stutze ich. Und muss innerlich grinsen. | |
Stelle ich hier etwa genau die gleichen, oft nervigen Fragen, die ich sonst | |
zu hören bekomme? Kübra, darf ich mal mit in die Moschee, obwohl ich kein | |
Muslim bin? Kübra, wie hältst du das Fasten aus? Oder auch gern genommen: | |
Kübra, wie ist es denn so unter dem Kopftuch? "Grrr. Das kann man doch | |
nachlesen", denke ich dann oft. | |
Eben nicht. Religion ist erst einmal abstrakt. Menschen wie Benji machen | |
sie lebendig. So erzähle ich am Abend meinen Mitbewohnerinnen begeistert | |
vom ersten angehenden Rabbi, den ich kennen gelernt habe. Und gebe mit | |
meinem neuen Wissen an. Wie kommt der Hochhausbewohner am Sabbat in seine | |
Wohnung? Mit dem Sabbat-Lift. Die gibt es in Hochhäusern mit mehrheitlich | |
jüdisch-orthodoxen Bewohnern. Sie halten automatisch an jedem Stockwerk. | |
Kann lange dauern. Aber einen Knopf muss niemand drücken. | |
26 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Kübra Yücel | |
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