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# taz.de -- Krankenhäuser: Kurz vor dem Infarkt
> Berlins Gesundheitssystem baut auf zwei Säulen: Vivantes und Charité.
> Doch für beide reicht das Geld längst nicht mehr. Was tun?
Bild: Einer der größten Patienten der Stadt: das Charite-Bettenhaus
Als der Regen durch die Decken des Bettenhochhauses in Mitte drang und
medizinische Geräte zu beschädigen drohte, ließ die Charité Innendachrinnen
bauen, um das Wasser abzuleiten. Als es im Steglitzer Krankenhauskoloss
Benjamin Franklin in die Operationsräume tropfte, wurden die Stellen
einzeln abgedichtet. Und als in einer Nacht im Bettenhaus gleich vier
Heizungsrohre platzten, merkten selbst die Patienten: Es ist etwas faul in
dem international renommierten Uniklinikum. "Die bauliche Substanz, die
veralteten Geräte - im Prinzip können Sie hier überall sanieren", sagt
Bernd Leidel, stellvertretender Leiter der Rettungsstelle am Uniklinikum
Benjamin Franklin (UKBF).
Kein Wunder: Seit Jahren wird kaum etwas in den Häuserkomplex investiert.
Den anderen Standorten der Charité geht es ähnlich, und beim zweiten
landeseigenen Krankenhaus-Konzern Vivantes sieht es nicht viel besser aus.
Auf 1,6 Milliarden Euro schätzt Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos)
den Investitionsbedarf der zwei Großunternehmen. Die Gebäude sind marode,
Geräte müssten modernisiert, Nachwuchswissenschaftler mit guten Konditionen
angelockt werden. Finanzielle Spielräume haben beiden Krankenhäuser nicht:
Die Charité verbucht seit Jahren Verluste, Vivantes ist nur dank einer
Entschuldung im Plus, die das Land dem Konzern 2003 gewährte.
Um die Zustände wussten die verantwortlichen Politiker schon 2002. Damals
wollte der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) dem UKBF im
Südwesten Berlins den Uni-Status aberkennen und es zu einem reinen
Versorgungskrankenhaus machen. Fast 100 Millionen Euro wollte er damit
sparen, das Geld hätte auf andere medizinische und wissenschaftliche
Einrichtungen verteilt werden können.
Doch Wowereit scheiterte an einer Front von CDU, FDP, Wissenschaftlern und
nicht zuletzt dem Springer Verlag, der mit der Kampagne "Rettet das UKBF"
die Öffentlichkeit mobilisierte: Der alte Westberliner Klüngel fürchtete
den Machtverlust gegenüber dem Osten, Wissenschaftler um Ruf und Job. Der
große Wurf blieb aus. In den folgenden Jahren überwog die Flickschusterei.
Die Politik drückte sich vor einer Entscheidung; Vivantes und Charité
hingegen geraten in immer größere Not. Längerfristige Planungen sind kaum
möglich, weil Schließung und Verkauf wie ein Damoklesschwert über den
Krankenhäusern hängen. Investiert worden ist so wenig, dass einigen
Standorten wegen ihrer Baufälligkeit das Aus droht. Ganz zu schweigen
davon, dass die Charité als Aushängeschild der Uni-Landschaft Berlins
längst modernere Geräte brauchen könnte: In ihrem derzeitigen Zustand
schadet sie ihrem Ruf.
Erst mit dem Amtsantritt von Senator Nußbaum vor einem Jahr kam wieder
Schwung in die Debatte. Zu teuer, zu groß, befand er nach erster Analyse
für die Charité. Zu viel Versorgung auf kleinem Raum, urteilte er über den
Südwesten. Nußbaum schlug vor, das UKBF dem Vivantes-Konzern zuzuschustern
- der solle dafür seinen einträchtigen Standort Auguste-Viktoria (AVK)
schließen. Das AVK liegt wenige Kilometer vom UKBF entfernt in Schöneberg.
Ein Sturm der Entrüstung brach los. Fast wöchentlich präsentieren seither
Politiker und andere teils selbst ernannte Experten ihre Vorschläge und
Forderungen. Ermutigt werden sie dadurch, dass der Senat uneins ist. Seit
Ende letzten Jahres sitzen Nußbaum, seine Kollegin Katrin Lompscher aus der
Gesundheitsverwaltung (Linke) und Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD)
in einer Steuerungsgruppe - und streiten sich.
Nußbaum findet die Charité zu teuer und schert sich wenig um deren
wissenschaftliche Leistung; Zöllner hat genau Letztere im Blick und will
die Professoren schützen; Lompscher sieht das Ganze aus Verbraucher-, also
Patientensicht. Ihr geht es um die Anzahl und Verteilung der Betten. Längst
sollte ein Strategiepapier vorgelegt sein, doch kaum einer glaubt mehr an
dessen Erscheinen vor der Sommerpause. "Vor der Abgeordnetenhauswahl 2011
passiert nichts mehr, und danach dauert es ein halbes Jahr, bis Sachthemen
auf die Tagesordnung kommen", unkte gar unlängst Vivantes-Chef Joachim
Bovelet.
Vivantes ging 2001 aus der Zusammenführung von neun städtischen Kliniken
hervor. Zum Start gab das Land dem Konzern 200 Millionen Euro Altschulden
mit. So begannen die Probleme: Vivantes hatte nicht genug Kapital, um
Personal sozialverträglich abzubauen, Arbeit neu zu organisieren, Schulden
zu tilgen. Nach der Entschuldung 2003 verzichteten die Mitarbeiter
zeitweise auf Weihnachts- und Urlaubsgeld. Seitdem schreibt Vivantes
schwarze Zahlen.
Die Charité macht wie fast alle Unikliniken in Deutschland seit Jahren
Verluste. Dank Sparmaßnahmen wurde das Defizit zwar verringert, viel mehr
Spielraum gibt es nach den Worten von Charité-Chef Karl Max Einhäupl aber
nicht. Zwar könnten im Verwaltungsbereich noch wenige Stellen abgebaut
werden, bei den Kliniken "ist die Grenze der Belastbarkeit erreicht", so
Einhäupl.
Charité und Vivantes sind bedingt vergleichbar: Im Uniklinikum soll
hauptsächlich geforscht und gelehrt werden, Vivantes hat den Auftrag,
Kranke zu versorgen. Demnach erhält die Charité zusätzlich zu den
Investitionszuschüssen vom Senat Geld für Lehre und Forschung.
Beide Unternehmen bestreiten nicht, dass durch mehr Kooperation gespart
werden könnte. Beschlossen ist nach zähen Verhandlungen etwa eine
gemeinsame Laborgemeinschaft. Auch bei Einkauf und der Nutzung teurer
Spezialgeräte gibt es Sparpotenzial. Gescheitert sind solche Synergien in
der Vergangenheit jedoch nicht zuletzt am inneren Widerstand und
Konkurrenzdenken. "Früher war das UKBF schlicht ,das Klinikum' in
Westberlin", sagt der Rettungsstellenleiter am Benjamin Franklin, Rajan
Somasundaram. "Viele Beschäftigte sehen sich noch in dieser Definition."
Inzwischen scheint die Not indes so groß, dass Gräben überwunden werden:
Vivantes-Chef Bovelet betont, dass er nur noch eine Lösung wolle - egal wie
sie aussehe. Bei der Jahrespressekonferenz lobte er gar die Charité für
deren Sparkurs und bestätigte den kollegialen Umgang auf Vorstandsebene.
Auch Einhäupl spricht von einem "respektvollen Umgang". Mit der politischen
Bewertung kursierender Lösungsvorschläge halten sich beide Vorsitzende
zurück; Vivantes lehnt gar Pressegespräche ab, offiziell aus Sorge, die
eigene Position zu gefährden. Bei den Modellen, die im Gespräch sind, geht
es um Sparmöglichkeiten innerhalb der Charité, aber auch um das
Zusammenspiel der Uniklinik und Vivantes.
Eine Möglichkeit: Der Steglitzer Campus wird geschlossen, die Forschung der
Charité wird in einem Neubau in Mitte konzentriert. Das haben unter anderem
die Industrie- und Handelskammer (IHK) und Teile der CDU-Fraktion im
Abgeordnetenhaus vorgeschlagen. Allerdings ist die CDU gleichzeitig
dagegen, das UKBF abzuwickeln - ebenso wie die FDP sitzen im Südwesten die
meisten Wähler der Partei. Die Grünen-Fraktion ist sich ebenfalls uneins,
ob Steglitz bleiben soll oder nicht. Eine Debatte im Plenum des
Abgeordnetenhauses wurde in der vergangenen Woche kurzfristig von der
Tagesordnung genommen - nachdem die unterschiedlichen Positionen von
Fraktionschef Volker Ratzmann und dem gesundheitspolitischen Sprecher
Oliver Schruoffeneger bekannt geworden waren.
Charité-Beschäftigte wollen das UKBF natürlich auch nicht aufgeben - nicht
nur, weil sie sich der Klinik verbunden fühlen, sondern auch der
Wissenschaft zuliebe. "Wir brauchen die Patienten zum Forschen", sagt etwa
Oberarzt Leidel. Es habe wenig Sinn, in Mitte zu sitzen, wenn die Patienten
in Steglitz lägen. Charité-Chef Einhäupl fürchtet zudem einen Verlust an
Forschungskompetenz und finanzielle Einbußen: "Zwei Kardiologie-Professuren
an einem Standort sind auf Dauer nicht sachgerecht." Weniger
Wissenschaftler bedeuten geringere Drittmitteleinwerbung. Im vergangenen
Jahr erwirtschaftete die Charité auf diesem Weg knapp 127 Millionen Euro,
die Zahlen steigen seit Jahren an.
Eine andere diskutierte Variante: Vivantes und Charité fusionieren. Die IHK
schlägt vor, beide Häuser in einer Holding zu vereinigen. Damit könnten
laut der Kammer 45 Millionen Euro jährlich gespart werden. Die IHK plädiert
als Rechtsform für eine Aktiengesellschaft - mit dem Land als einzigem
Aktionär, aber ohne direktes Weisungsrecht. Zunächst soll die Steuerung
zusammengelegt werden, die Teilbereiche sollen sich dann schrittweise
annähern. Für gut befindet das etwa die Grünen-Fraktion. Indes sieht
Fraktionschef Ratzmann dies als langfristigen Prozess. Die CDU-Fraktion
hingegen findet eine Holding völlig abwegig - wenn die Eigentümerfamilie
zerstritten sei, helfe auch eine Holding nichts, sagt der
gesundheitspolitische Sprecher Mario Czaja. Er verweist auf die
unterschiedlichen Positionen innerhalb des Senats.
Die Charité selbst verweigert sich der Idee nicht, will aber zunächst
"eigene Hausaufgaben machen" dürfen, wie Einhäupl sagt. Also: zuerst den
Investitionsstau beseitigen, dann Fusionsmöglichkeiten ausloten.
Eine dritte Möglichkeit: Kooperation in Teilbereichen. Dabei geht es im
Kern um den Südwesten. Nach dem Vorschlag von Finanzsenator Nußbaum soll
Vivantes von der Charité das UKBF übernehmen. Damit wäre der
Universitätsstatus in Steglitz verloren, das Klinikum ein reines
Versorgungskrankenhaus. Im Gegenzug wird das AVK dichtgemacht.
Problematisch dabei: Das Auguste-Viktoria ist eines der rentabelsten Häuser
der Stadt. Außerdem würde die Entscheidung nichts am Sanierungsbedarf am
UBKF ändern. Auch zeigen die Patientenzahlen, dass das Einzugsgebiet
durchaus Bedarf für zwei Häuser hat. Aus der SPD-Fraktion verlautete
jüngst, beide Standorte im Südwesten halten zu wollen.
Möglich wäre auch eine Privatisierung von Vivantes. Von ihr will CDU-Mann
Czaja zwar nicht sprechen, faktisch aber peilt er sie an, wenn er davon
spricht, "private Partner ins Boot zu holen". Das ist nicht neu, Czaja
fordert es seit Jahren. Auf diese Weise könne etwa ein neues Bettenhaus für
die Charité gebaut werden. Czaja denkt zudem darüber nach, im Südwesten den
Krankenhausbetrieb aus den Konzernen zu lösen und ein
"Interessenbekundungsverfahren" einzuleiten, also einmal zu schauen,
welcher Privatanbieter sich für den Betrieb interessiert. Denkbar wäre etwa
eine Beteiligung des Helios-Konzerns, der zuletzt schon massiv in Buch
investiert hat. "Das Land hat nicht das Kapital, das Vivantes braucht",
sagt Czaja.
Vivantes-Chef Bovelet hat die Umwandlung in eine kommunale
Aktiengesellschaft (AG) ins Spiel gebracht. Damit käme der Konzern zu
frischem Kapitel, könnte Kliniken zukaufen und damit den Umsatz ankurbeln.
Anteilseigner könnten zunächst Land und Kommune werden; an die Börse müsste
Vivantes als Aktiengesellschaft nicht zwangsläufig. Es wäre also eine Art
"Privatisierung light".
Für die Charité erscheint die Umwandlung der Rechtsform unrealistisch;
Lehre, Forschung und Versorgung sind zu stark miteinander verwoben.
Allerdings würde die Klinik ebenfalls gern die Möglichkeit erhalten,
Kredite aufzunehmen. Ein Beispiel: Einhäupl würde die Klinik für
Psychiatrie in der Eschenallee gern ans UKBF verlegen. Einmalig bräuchte er
dafür 10 Millionen Euro, sparen würde er die Betriebskosten für den
Standort Eschenallee - 1,5 Millionen Euro im Jahr. Der Finanzsenator lehnt
es ab, der Charité die eigene Kreditaufnahme zu ermöglichen. Er sieht das
als Schattenhaushalt.
Doch was ist, wenn alles so bleibt, wie es ist? Das will keiner. "Die
derzeitige Situation ist völlig unbefriedigend und frustrierend", heißt es
unisono von Opposition, Krankenhausleitungen und Beschäftigten. "Die
Mitarbeiter empfinden die Situation als extrem unangenehm, weil sie sich
hängen gelassen fühlen", sagt der Charité-Personalratsvorsitzende Kilian
Tegethoff. Auch er fände jede Lösung besser als den derzeitigen Zustand.
Einhäupl warnt vor einem Aus für das UKBF, wenn nicht in absehbarer Zeit
etwas passiere. Realistischerweise müsse ein Standort geschlossen werden,
weil die Gelder hinten und vorn nicht mehr reichten. Buch steht außer
Frage, es ist ein reiner Wissenschaftsstandort. Auch Mitte muss bleiben,
der Wedding steht nicht zur Disposition - bleibt der vierte Standort
Steglitz. Eine derartige Entscheidung dürften die Politiker so lange wie
möglich hinauszögern.
Für Nußbaum könnte die Reform zum ersten Fiasko seiner Amtszeit werden:
Jegliche Entscheidung wird auf erbitterten Widerstand stoßen, keine
Entscheidung zu treffen führt zwangsläufig zur Havarie im Krankenhaus und
gefährdet das Patientenwohl. Charité-Chef Einhäupl hofft nun auf ein
Eingreifen des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit (SPD). In der Tat
kündigte der an, von seiner Richtlinienkompetenz Gebrauch zu machen - noch
vor der Sommerpause.
26 May 2010
## AUTOREN
Kristina Pezzei
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