# taz.de -- Israelischer Badeort Eilat: Eiland des Vergessens | |
> In Eilat machen die Einheimischen Urlaub von der alltäglichen | |
> Ungewissheit. Doch die Gesellschaft polarisiert sich zunehmend. | |
Bild: Strandhotels von Eilat. | |
Sie treffen sich abends, wenn die Sonne die jordanischen Berge auf der | |
anderen Seite der Grenze in tiefrotes Licht taucht. Sie tragen Flipflops | |
und Shorts, die Mädchen Silikon und Pumps. Sie stehen an der Theke des | |
Underground Pubs, bestellen Campari und tanzen zu Dr. Alban. „Its my life“, | |
grölen alle im Chor und nicken bestimmt. Es ist ihr Leben für ein paar | |
Tage, hier in Eilat, einem israelischen Badeort inmitten der Wüste am Roten | |
Meer. | |
Für die Soldaten der nationalen Streitkräfte ist der Urlaub ein Fluchtpunkt | |
aus der routinierten Angespanntheit. 4.000 Schekel, rund 800 Euro, habe er | |
für eine Woche hier ausgegeben, sagt Oren, ein junger Israeli. Monatelang | |
sei die Reise geplant gewesen, doch schon am nächsten Tag solle es | |
zurückgehen ins Camp an der jordanischen Grenze, wo er jeden Tag | |
patrouilliert. „Eilat ist so angenehm, weil es hier kaum Konfliktpotenzial | |
gibt“, ruft er durch die dröhnende Musik. Bis zum Januar 2007 wurde der | |
Badeort von Angriffen verschont. Dann sprengte sich ein | |
Selbstmordattentäter in einem Einkaufszentrum in die Luft und riss drei | |
Menschen mit in den Tod. Doch noch immer gilt die Stadt mit ihren 60.000 | |
Einwohnern als Rückzugsort. Sie bietet alles, wofür das moderne | |
Touristenherz schlägt: mildes Klima, ein IMAX-3D-Kino, Kameltouren, | |
Freizeitparks, Pubs und Einkaufsstraßen. | |
Grinsend wedelt Oren mit einem Prospekt für russische Prostituierte, die | |
überall ausliegen. Fast eine Million russische Immigranten zählt das Land | |
heute, die meisten kamen in den 1990er-Jahren. Doch viele lernen kein | |
Hebräisch, bleiben lieber unter sich. „Die Russen leben in einer anderen | |
Welt. Überall hängen Schilder in ihrer Sprache“, sagt Oren. Und dann | |
beschwört er beiläufig jene Kluft herauf, die das Land von jeher spaltet. | |
Er sagt: „Das einzige Problem ist die arabische Kultur, die ist ganz anders | |
als die jüdische, die macht alles hier kaputt.“ | |
Rund zwei Millionen Touristen besuchten Eilat im letzten Jahr, davon kamen | |
nur knapp 250.000 aus dem Ausland. Franzosen, Amerikaner oder Deutschen | |
überqueren oft nur die Grenze, um per Sammeltaxi nach Ägypten oder | |
Jordanien weiterzufahren. Bei guter Sicht ragen die Silhouetten der | |
Nachbarstaaten links und rechts des Meeres empor, in der Ferne schimmern | |
die Ausläufer Saudi-Arabiens. Nur 12 Kilometer umfasst der israelische | |
Küstenabschnitt, doch er ist Sinnbild nationaler Selbstbehauptung in einer | |
arabischen Umgebung, die viele hier als Heimat des Terrors ansehen. Und | |
doch mehren sich die Gegenstimmen, Kritiker, die das tradierte Feindbild | |
infrage stellen, den eigenen propagierten Kurs anzweifeln. | |
„Die meisten wissen gar nicht, worum es im Islam geht“, sagt Orens Kollege | |
Amir. Er selbst studiert in seiner Freizeit den Koran, lernt seit einigen | |
Monaten Arabisch. „Wenn wir nicht einsehen, dass wir nur mit den | |
Palästinensern leben können, wird es nie Frieden geben.“ Die Gesellschaft | |
breche auf, sagt Ahmed, Betreiber eines Falafelladens, 28 Jahre alt, | |
dunkelblaues Polohemd, gepflegter Dreitagebart, in dem jordanischen | |
Wüstenort, zwei Autostunden nördlich von Eilat. „Junge Paare sind heute | |
zusammen, weil sie sich lieben, nicht mehr, weil die Eltern sie aussuchen. | |
Viele Jordanierinnen studieren in Amerika“, sagt er. | |
Es sind hauptsächlich Beduinen vom Stamm der Bdoul, die sich in den | |
sandfarbenen und unverputzten Häusern von Wadi Musa niedergelassen haben. | |
Viele leben vom Tourismus, die antike Felsenstadt Petra ist einen Steinwurf | |
entfernt. Ahmeds Cousin Halet, der als Einziger der Familie noch in einer | |
Höhle haust, schleust jeden Tag schwitzende Ausländer durch die rot | |
schimmernden Sandsteinformationen. | |
Er blickt über das Hochplateau in die karge Weite der jordanischen Wüste, | |
sein weißes Gewand flattert nervös im Wind. Er sagt: „Mittlerweile kommen | |
die israelischen Touristen wieder. Das ist gut so.“ Nach dem Ausbruch der | |
Zweiten Intifada im Jahr 2000 und dem Terroranschlag in New York im darauf | |
folgenden Jahr gingen die Zahlen drastisch zurück. In den vergangenen | |
Monaten kamen erstmals wieder fast zwei Millionen Besucher aus dem | |
Judenstaat. | |
Das Verhältnis zwischen beiden Ländern sei entspannter geworden, sagt | |
Abdullah, Geschäftsführer eines rustikalen Hostels im Zentrum von Wadi | |
Musa. Die schweren Teppiche schlucken das Sonnenlicht, die Ventilatoren | |
brummen um die Wette. Im Fernsehen überschlagen sich die Stimmen schriller | |
Kommentatoren. Abdullah sagt, er schaue viel fern in letzter Zeit, am | |
liebsten die Reden von US-Präsident Barack Obama. Abdullah sagt, viele der | |
Dorfbewohner begrüßten den neuen, strengeren Kurs der Amerikaner, das | |
Signal, auch vor Sanktionen nicht zurückzuschrecken, sollte Israel seinen | |
Siedlungsbau nicht stoppen. „Wir alle hier setzen große Hoffnungen auf | |
Obama“, sagt er. Die israelische Anerkennung der Zweistaatenlösung als | |
Grundlage von Frieden, das sei es, was sie hier alle wollten. „Die Chancen | |
stehen gut, dass Obama Ruhe in den Mittleren Osten bringt“, fügt er hinzu, | |
während er Zucker in seinen Tee rührt. | |
Es ist Freitagmittag in Eilat. Bei Sonnenuntergang beginnt der | |
allwöchentliche Schabbat, der kleine Ort platzt aus allen Nähten. | |
Unermüdlich pendeln die Taxifahrer zwischen Flughafen, palmenumsäumten | |
Betonburgen und nahtlos aneinandergereihten Strandabschnitten. Statt | |
hymnischer Gebete ertönt donnernder Goa-Trance von den Freiluftdiskotheken | |
herüber. Eilat ist ein säkularer Mikrokosmos, ein Ort der Sünde, den | |
orthodoxe Juden aufs Tiefste verabscheuen. Als „Pinguine“ werden sie von | |
der modernen Jugend schon mal bezeichnet wegen ihrer prägnanten | |
schwarz-weißen Kleidung. Sie verkörpern das Fremde im eigenen Land. | |
„Die müssen hier ihre angestauten Emotionen abbauen“, erklärt Uri, groß, | |
sportlich, Surferfrisur, den hemmungslosen Hedonismus seiner | |
Altersgenossen. Er lässt den Blick umherschweifen in dem quirligen | |
Strandcafé, wo von der Sonne gebräunte Schönheiten dicht gedrängt in weißen | |
Plastikstühlen der Mittagssonne trotzen. „Die prägendsten Jahre, in denen | |
sie sich Fragen zu sich und ihrem Leben stellen, verbringen sie mit Drill | |
und Disziplin. Nach der Ausbildung explodieren sie förmlich“, sagt er. | |
Ab dem 18. Lebensjahr werden die Männer für drei, Frauen für zwei Jahre in | |
die Armee einberufen. Die Soldaten werden von Schulklassen umringt wie | |
Popstars, mit starken Preisnachlässen in die Läden gelockt. Junge Frauen | |
führen ihre Maschinengewehre zu fliederfarbenen Handtaschen und | |
spätpubertären Pickeln auf der überfüllten Strandpromenade aus. Sie werden | |
ausgebildet für ein Leben im israelischen Staat. | |
Doch die Sehnsucht nach Normalität, einem Leben ohne nationale | |
Verpflichtungen wächst. Sie alle seien erschöpft nach den Krisenjahren, | |
erklärt Aviv, der studierte Architekt, am Nachbartisch. Aviv hat mit seinen | |
28 Jahren schon fast die ganze Welt gesehen. Nach der Armee wollte er nur | |
noch weg aus einem Land, das den Anschluss an den Westen irgendwann | |
verpasst hat. In dem all jene, die den Kriegsdienst aus politischer | |
Überzeugung verweigern, ihr Leben lang gesellschaftliche Ächtung erfahren. | |
Er wurde 2006 verwundet im Libanonkrieg gegen die radikal-islamische | |
Hisbollah, heute trägt er eine Metallplatte unter der Kniescheibe. „Die | |
sollen den Palästinensern das Land geben, das sie wollen. Und die | |
Orthodoxen müssen aufhören mit dem Siedlungsbau. Wir haben keine Lust mehr | |
auf politische Machtspiele“, sagt Aviv. „Wir können unsere Mission doch | |
nicht aufgeben“, entgegnet sein Freund Assaf energisch. | |
Beide stehen sie für den Bruch in einer Gesellschaft, die sich zunehmend | |
polarisiert. Mit Obama sei für sein Land eine schwierige Zeit angebrochen, | |
sagt Assaf. „Unter der Bush-Regierung ging es uns richtig gut. Der | |
Irakkrieg war das Beste, was Israel passieren konnte.“ Und Aviv sagt: | |
„Obama wird mit seiner Diplomatie vielleicht Frieden bringen.“ Dann | |
herrscht Schweigen zwischen den Freunden. | |
Abends in Three Monkeys, einem angesagten Pub, wenige Minuten von der | |
Vergnügungsmeile mit Tattoo-Shops und Döner-Ständen entfernt. Aus 80 Kehlen | |
ertönt „Hey Jude“ von den Beatles, die Coverband gibt sich alle Mühe, das | |
Publikum mitzureißen. Schwer ist das nicht. Sie alle leben im Hier und | |
Jetzt, genießen jede Sekunde ihrer jugendlichen Unbeschwertheit, solange | |
sie da ist. | |
Im Gazastreifen, knapp vier Autostunden nördlich, kämpfen palästinensische | |
Familien um jedes Stück Normalität oder das, was von ihr noch übrig blieb. | |
Alles liegt so nah und doch so fern, hier in Israel. | |
28 May 2010 | |
## AUTOREN | |
Andrea Backhaus | |
## TAGS | |
Reiseland Israel | |
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